Marie Gediehn (Foto: SWR, Patricia Neligan )

"Zwei Minuten": Die Kolumne zum Wochenende

Meinung: Alles "Lumbung", oder was?

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Marie Gediehn

Antisemitismus-Skandal in Kassel: Trotzdem sollte das Documenta-Prinzip Lumbung uns inspirieren, wie wir die Chancen in unserer Gesellschaft gerechter verteilen, meint Marie Gediehn.

Lumbung ist indonesisch. Das können Sie nicht als Nummer 27 auf der Speisekarte bestellen, aber mit Essen hat es trotzdem zu tun: Lumbung, damit ist eine gemeinschaftlich genutzte Reisscheune gemeint. Und es geht dabei um ein Prinzip: Die überschüssige Ernte wird zum Wohl der Gemeinschaft gelagert.

Die Kolumne von Marie Gediehn können Sie hier auch als Audio hören:

Und, muss uns das interessieren? Ja, denn Lumbung ist hier in Deutschland, es ist die Idee der Documenta in Kassel. Und man hätte es ahnen können, dass das mindestens kompliziert bis maximal desaströs wird. Denn Lumbung klingt lustig, ein bisschen nach Seeräuberlied von Pipi Langstrumpf, aber die Reisscheune hat es in sich.

Da treffen Konzepte von Kunst und Kultur aufeinander, vom globalen Süden und dem privilegierten Norden. Weil Kassel weder in Indonesien liegt, noch klassisches Reisanbaugebiet ist, ist Lumbung vermutlich maximal anstrengend für durchschnittlich ambitionierte und trainierte Museumsbesucher, die mit dem Neun-Euro-Ticket nach Kassel kommen, um die internationale Kunstwelt in drei Stunden fußläufig, kompakt und eingängig in Augenschein zu nehmen.

Nach dem Antisemitismus-Eklat musste das umstrittene Großbanner abgehängt werden (Foto: picture-alliance / Reportdienste, dpa Bildfunk, Uwe Zucchi)
Nach dem Antisemitismus-Eklat musste das umstrittene Großbanner abgehängt werden

Diese Kolumne wäre jetzt auch gleich zu Ende, wäre die Documenta mit Lumbung nicht gewaltig auf die Nase geflogen. Eindeutig antisemitische Darstellungen waren da prominent ausgestellt, mitten auf den imaginären Kasseler Reisfeldern, und nicht nur das: In der imaginären Reisscheune fühlte sich keiner richtig zuständig. Es kamen keine echten Entschuldigungen - also zumindest nicht ohne Ausflüchte - und es war nicht rauszubekommen, wie das überhaupt passieren konnte. Alles maximal unbefriedigend, skandalös, ätzend, bis heute.

Lumbung in Kassel war bislang ein Reinfall

Und ist diese Kolumne jetzt zu Ende? Nein, denn wenn Sie mich fragen, ist es mindestens jammerschade, wenn nicht sogar tragisch, dass das mit Lumbung in Kassel so ein Reinfall ist bislang, denn wir brauchen das doch! Dringend! Neue Konzepte und Ideen wie wir unser Zusammenleben gestalten. Sie wissen schon: Klimanotstand, Ernährungskrise, Krieg. Wie, wenn nicht gemeinschaftlich, sollen wir das hinkriegen?

Kürzer duschen gegen Energiekrise

Wirtschaftsminister Habeck scheint ja genau auf dem Trip, wenn er sagt, da müssten jetzt eben alle mitmachen, beim Energiesparen und vielleicht mal etwas kürzer duschen. Und wenn dann einer sagt, ich mach das nur, wenn ich 50 Euro kriege, dann sagt der Habeck: "die kriegst du nicht, Alter". Denn, und da sind wir wieder bei Lumbung: Dafür ist die überschüssige Ernte eben nicht gedacht!

Apropos: Überschüssig ist ja genau genommen gar nichts mehr, alles Mangelware, erst Klopapier, dann Rapsöl, jetzt Panzer und Energie. Aber ist die Reisscheune für die kollektive Ernte darum überholt? Oder nicht umso wichtiger, damit das Wenige wenigstens gerecht verteilt wird, zum Wohl der Gemeinschaft?

Darüber müssen wir doch endlich mal streiten: Ob es nicht langsam an der Zeit ist, dass auch wirklich alle ihren Ernteüberschuss in die gemeinschaftliche Reisscheune, den Kartoffelkeller, oder was auch immer bringen, also auch die Superreichen, die Immobilienbesitzer, die Erben, usw. Denn wenn jetzt die einen kürzer duschen, während die anderen weiter im eigenen Pool planschen, ist das eben nicht Lumbung, sondern schlicht unfair.

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