Erst ist sie "Kohls Mädchen". Dann wird Angela Merkel zur "Mutti" der Nation. Und zur mächtigsten Frau der Welt: bewundert, aber auch beschimpft. Wie aber sieht die Kanzlerin sich selbst? "Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer oder so, sagt man, glaube ich", sagt Merkel darüber, dass sie als erste Frau vor 15 Jahren das mächtigste Regierungsamt in Deutschland übernommen hat. Und ihr ist auch klar:
"Aus der Tatsache, dass es mich gibt, darf kein Alibi werden."
Kein Alibi, aber doch ein Paukenschlag: Merkels Vereidigung als Bundeskanzlerin im November 2005. Sie ist die erste Frau in diesem Amt. Geholfen hatte ihr zuvor ausgerechnet der machohafte Gerhard Schröder. Damals in der "Elefantenrunde" bei ARD und ZDF nach der Bundestagswahl reagiert Merkel nicht einmal und holt sich die SPD dann doch ins Boot.

"Sie sind damit die erste demokratisch gewählte Regierungschefin in Deutschland. Das ist ein starkes Signal für viele Frauen und für manche Männer sicherlich auch."
Merkel sieht sich nicht als Feministin
Aber hat Merkel etwas für Frauen erreicht? Eine Feministin - so nennt sich die Kanzlerin jedenfalls nie. Als sie bei einem G20-Frauengipfel mit der niederländischen Königin Maxima und Trump-Tochter Ivanka danach gefragt wird, will sich Merkel kein Etikett anheften lassen: "Die Geschichte des Feminismus ist eine, bei der gibt es Gemeinsamkeiten mit mir, und es gibt auch Unterschiede. Und ich möchte mich auch nicht mit einem Titel schmücken, den ich gar nicht habe."
Als Türöffnerin für Frauen sieht sie sich hingegen schon, allein weil sie als Vorbild fungiert. Ihr könnt es schaffen! - das ist das Bild, die Botschaft, die sie vor allem jungen Frauen und Mädchen vermitteln will.
Ambivalentes Verhältnis zur Frauenpolitik
Zur Frauenpolitik hat Merkel jedoch von Beginn an ein ambivalentes Verhältnis. Sie ist erst gegen eine Quote. Gegen Teilzeitregelungen, die Frauen die Rückkehr in den Beruf erleichtert hätten. Gleichzeitig unterstützt sie ein Betreuungsgeld für Eltern, die ihre Kleinkinder zu Hause erziehen: kein Modell für Gleichberechtigung, weil es fast immer Frauen sind, die daheim bleiben. Merkel wirft ihr politisches Gewicht auch nicht dagegen in die Waagschale, dass Frauen weiterhin deutlich weniger als Männer verdienen - bei gleicher Qualifikation.
Aber sie stellt auch Frauen nach vorn. Sie ebnet Ursula von der Leyen erst den Weg ins Verteidigungsministerium, dann auf den EU-Chefsessel, macht Annegret Kramp-Karrenbauer zur CDU-Generalsekretärin und ihre Partei für Frauen attraktiver.
Frauenbezogene Schwerpunkte bei Auslandsreisen
Reuters-Korrespondent Andreas Rinke beobachtet Merkel, seit sie im Amt ist - und bescheinigt ihr ein großes Engagement für Gleichberechtigung. "Sie hat auf Auslandsreisen immer wieder versucht, Schwerpunkte zu setzen, die frauenbezogen waren", sagt Rinke. In Saudi-Arabien zum Beispiel hat Merkel die erste Universität, an der Männer und Frauen gemeinsam studieren dürfen, besucht. Sie sei überzeugt, dass Gesellschaften besser funktionieren, in denen Frauen etwas zu sagen haben - dieses Credo verfolge sie im In- und Ausland.

Dazu hilft Merkel ihr pragmatischer Politikstil: umzusteuern, wenn sie Irrtümer erkennt. Freiwillige Selbstverpflichtungen von Firmen, für mehr Frauen in Führungspositionen? Das reichte der Kanzlerin zu Beginn ihrer Amtszeit - später nicht mehr: "Nun gibt es immer wieder Unternehmen, die sich die Zielgröße Null setzen", moniert Merkel. Dafür habe sie "null Verständnis".
Engster Führungskreis Frauen - aber ein männlicher Regierungssprecher
Merkels engster Führungskreis im Kanzleramt sind Frauen plus ein männlicher Regierungssprecher und Männer als Abteilungsleiter. "Vielleicht ist genau das der große Unterschied zu ihren Vorgängern, weil sie eben keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern macht", sagt Reuters-Korrespondent Rinke.

Am Ende ihrer Amtszeit agiert Merkel freier, bei allem: in der Corona-Politik oder eben auch bei Gleichberechtigung. Als ihr eine alte Dame bei einem Bürgerdialog kürzlich beschreibt, wie sie sich umgeben fühle von starken Frauen, ist das nach Merkels Geschmack:
"Aber es muss ja nicht schlecht sein, wenn Frauen was zu sagen haben."
Dass das heute in Deutschland so ist, hat auch mit Angela Merkel zu tun.