Da hat Familie Kuhn unterm Tannenbaum wahrscheinlich große Augen gemacht. Der kleine Paul, sechs Jahre alt, hatte zu Weihnachten 1934 gerade ein gebrauchtes Akkordeon geschenkt bekommen und direkt "Stille Nacht" gespielt - ohne Noten, einfach nach Gehör. Zwei Jahre später, 1936, gab er sein Fernsehdebüt, als auf der Berliner Funkausstellung Deutschlands beste Akkordeonspieler gesucht wurden. Dabei schlug er sämtliche Konkurrenz aus dem Rennen.
Vom Akkordeon zum Swing am Klavier
Paul Kuhn wurde ein gefragter Solist auf dem Akkordeon und für 50 Reichsmark Tagesgage spielte er bei allen möglichen Festlichkeiten. Damit sich das Talent weiterentwickeln konnte, wurde ein gebrauchtes Klavier angeschafft, was auch höhere Gagen einbrachte.
Am Wiesbadener Konservatorium machte ihn ein älterer Mitschüler mit der Swingmusik bekannt und spielte ihm heimlich Platten von Glenn Miller und Benny Goodman vor. Dies war für Paul Kuhn auch Inspiration, sein erstes Arrangement zu schreiben.

Paul Kuhn macht sich einen Namen im Jazz
Den Krieg überlebte Paul Kuhn, zwischendurch als Klavierspieler zur Truppenbetreung in Frankreich, unbeschadet. Er arbeitete als Musiker bei den amerikanischen Besatzern, beim Soldatensender AFN, schlug sich in Düsseldorf als Barpianist durch und bekam einen Aushilfsjob beim Tanzorchester des Nordwestdeutschen Rundfunks in Köln. Er galt aber schon als feste Jazz-Größe im Nachkriegsdeutschland.
1946 gründete er seine erste eigene Combo ("The Swing Stars"). 1949 ging er nach Berlin und spielte im Quintett des Schlagzeugers Freddie Brocksieper. Nach dessen Auflösung 1953 nahm ihn die Schallplattenfirma Electrola als Pianist und Arrangeur unter Vertrag. Von Singen war damals noch keine Rede. Das änderte sich, als der Produzent Nils Nobach für ein Lied noch einen Interpreten suchte:
"Du bist genau der richtige Typ dafür, mit Deiner Zahnlücke und Deinem Grinsen".

Durchbruch im Schlager mit dem "Mann am Klavier"
Paul Kuhn war anderer Meinung. Als Musiker, der sich in der Jazzszene einen Namen gemacht hatte, konnte er unter keinen Umständen ein Stimmungslied mit dem Text "Geben Sie dem Mann am Klavier noch ein Bier" aufnehmen. Der Produzent wandte alle Überredungskünste an und Paul Kuhn willigte schließlich ein - allerdings unter der Bedingung, dass ein Pseudonym für die Veröffentlichung herhalten muss: "Paulchen am Klavier".
Innerhalb eines Jahres gingen vom "Mann am Klavier" eine Viertelmillion Exemplare über die Ladentische. Paul Kuhn wurde nun auch als Sänger einem großen Publikum bekannt und in Anbetracht dieser Erfolge legte er die gehegten Vorbehalte ab. Ob als Solist, im Duett mit beispielsweise Bibi Johns, als Arrangeur, Produzent oder als Begleiter mit seinem Ensemble bei Hits von Chris Howland oder Ralf Bendix - er zeigte verlässliche Hitparaden-Präsenz.
"Paul Kuhn macht weiterhin keine Konzessionen an musikalische Moden und Maschen. Er mimt weder den Schreier noch den Schluchzer, wenn das gerade gefragt ist. Sondern singt unbeirrt sich selbst - einen sympathischen großen Jungen! In 5 Worten: Platten von Paul - immer prima!"

"Paulchen" bekommt seine eigenen Fernsehshows
Paul Kuhn blieb dem Jazz aber treu und ging 1955 beispielsweise mit Erwin Lehn und dessen Südfunk-Tanzorchester auf Deutschland-Tournee. Dazu kamen seine eigenen Fernsehsendungen. Anfang der 1960er Jahre flimmerte seine eigene Show "Hallo Paulchen" über die Bildschirme, später war es "Paul’s Party".

Weltruhm mit Orchester als Bigband-Leader
Die Berufung zum Sender Freies Berlin im Jahr 1968 als musikalischer Leiter des damaligen SFB-Tanzorchesters schlug ein vollkommen neues Kapitel auf. Unter seiner Leitung entwickelte sich das Orchester zur weltberühmten SFB Big Band. Auftritte in der halben Welt wurden selbstverständlich. Auszeichnungen wie der "Goldene Taktstock" oder der "Große deutsche Schallplattenpreis" waren Lohn für seine Arbeit:
"Ich spiele zwar Klavier, doch mein eigentliches Instrument ist meine Band."
Nachdem 1980 bei der SFB Big Band aus Kostengründen die Lichter ausgegangen waren, gründete Paul Kuhn ein neues Orchester und übernahm beispielsweise die musikalische Leitung der Tourneen von Peter Alexander und weiterhin im Fernsehen präsent.
Ab den 1990er Jahren kehrte er mehr und mehr zu seinen musikalischen Wurzeln zurück, widmete sich überwiegend dem Jazz und machte unter anderem häufig Aufnahmen mit der SWR Big Band. Außerdem gründete er das Paul Kuhn-Trio, mit dem er viele Standards aus dem American Songbook neu einspielte.

"Swing-Legenden" mit Max Greger und Hugo Strasser
Im Sommer 2000 startete eine besondere Konzertreihe: Paul Kuhn ging mit Max Greger und Hugo Strasser erstmals als "Swing-Legende" in Begleitung der SWR Bigband auf Tournee. Sensationelle Erfolge machten die Entscheidung leicht, diese Veranstaltungen immer wieder neu aufzulegen, denn überall zeigte sich dasselbe Bild: volle Säle und ein begeistertes Publikum, welches sich aus allen Altersklassen zusammensetzte. Er schien ein Geheimrezept dafür zu haben, wie er immer noch solch ein Pensum bewältigen konnte.
"Stress nehme ich einfach nicht zur Kenntnis. Und dann gibt es für alles zwei Währungen: Geld und Spaß. Sie können sich denken, welche Währung für mich die wichtigere ist."
Bis ins hohe Alter blieb der Vollblutmusiker auf der Bühne präsent und veröffentlichte zu seinem 85. Geburtstag noch ein Album, das er mit US-Jazzgrößen in den legendären "Capitol Studios" in Los Angeles eingespielt hatte. Wenige Monate später verstarb der auf Grund einer Augenerkrankung fast blinde Paul Kuhn während einem Kuraufenthalt in Bad Wildungen, nachdem ihn schon seit einiger Zeit Herzprobleme belastet hatten.
Geboren | 12. März 1928, Wiesbaden |
Gestorben | 23. September 2013, Bad Wildungen |
Familie | ab 1988 in dritter Ehe mit Ute Hellermann (Künstlername: Ute Mann) verheiratet. Aus seiner ersten Ehe stammt Sohn Daniel. |
Größte Hits | 1954 "Der Mann am Klavier", 1958 "Die Farbe der Liebe", 1963 "Es gibt kein Bier auf Hawaii" |
Auszeichnungen | 1972 "Goldene Kamera", 2003 "Klavierspieler des Jahres", 2010 "Echo" in der Kategorie Jazz für sein Lebenswerk |
Bücher | "Swingende Jahre - Der Mann am Klavier erzählt seine Lebensgeschichte" (1988) |
Filme | In den 50er und 60er Jahren trat er in mehreren Filmen auf, u. a. "Wie werde ich Filmstar" (1955) und "Drillinge an Bord" (1959). Zuletzt sah man ihn 2011 in der Tragikkomödie "Schenk‘ mir Dein Herz". |