Chansonlegende

Charles Aznavour - Napoleon des Chansons

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Hans-Jürgen Finger
Hans-Jürgen Finger (Foto: SWR, Alexander Kluge)

"Sich mit einer solchen Stimme, mit einem solchen Aussehen vor ein Publikum zu stellen und zu singen, ist einfach anmaßend" urteilte die Pariser Presse. Später erhielt Charles Aznavour in Anerkennung seiner künstlerischen Größe den Beinamen "Napoleon des Chansons".

Der Vater war Textdichter, die Mutter Schauspielerin, doch mangelnde französische Sprachkenntnisse erlaubten den armenischen Auswanderern nicht, ihre Berufe auszuüben. Statt dessen betrieben die Asnawurjans in Paris ein Lokal. Ihre Talente konnten sie aber ihrem Sohn Charles weitergeben.

Als junger Mann überreichte er Maurice Chevalier ehrfürchtig ein neues Chanson. Nie erhielt er eine Antwort und war darüber verärgert. "Nach vielen Jahren stellte ich fest, dass ich in der Eile und aus Nervosität vergessen hatte, meinen Namen und die Adresse auf dem Notenblatt anzugeben."

Der kleine Charles war gerade mal fünf Jahre alt, als er zum ersten Mal öffentlich auftrat. Zusammen mit seiner Schwester trug er bei einem Emigrantenfest orientalische Gedichte vor und sang armenische Volkslieder. Sein Vater sorgte dafür, dass seine Ambitionen gefördert wurden und meldete ihn bei einer Art Theater- und Gesangsschule an. Bereits elfjährig bekam er seine erste Rolle, imitierte Maurice Chevalier und Charlie Chaplin und nahm öfter an Sängerwettbewerben teil.

 Charles Aznavour mit Udo Jürgens in Berlin (Foto: dpa Bildfunk, Picture Alliance)
Charles Aznavour mit Udo Jürgens in Berlin

Ausgelacht und ausgepfiffen

1941 begegnete er dem jungen Komponisten Pierre Roche, der seine Texte vertonte. Sie bildeten ein Duo und traten fortan gemeinsam auf. Der berühmte Verleger Raoul Breton nahm sie unter Exklusivertrag. Doch ihre Bemühungen, beim Publikum anzukommen, waren vergeblich. Die Chansons gefielen, aber die brüchige, rauchige Stimme von Charles war zu ungewöhnlich. Nicht selten wurde er ausgelacht und ausgepfiffen. Kurz nach Kriegsende traten die beiden bei einem Rundfunkkonzert auf, wo sie Edith Piaf auffielen. Der Spatz von Paris glaubte an den jungen Sänger und überredete das Duo, sie auf ihrer Gastspielreise durch Amerika zu begleiten.

Die Mistinguett wollte bei Aznavour und seinem Freund Chansons bestellen, doch nur solche in Dur: "Die Dur-Tonart hebt die Wangen, während sie bei Moll nach unten fallen, das sieht entsetzlich aus!"

Charles Aznavour (Foto: dpa Bildfunk, Horst Ossinger)
Charles Aznavour bei einem Auftritt in Düsseldorf

"Du beklopptes Genie"

In einem Interview antwortete er Jahre später auf die Frage "Was war ihre Chance?": "Keine Chance zu haben! Meine Trümpfe waren, dass ich nicht besonders gut aussehe, ich eine ausgefallene Stimme besitze und ein Allerweltsgesicht, mit dem sich jeder Mann auf der Gasse nach Belieben identifizieren kann." Und doch unterschied er sich von anderen durch seine auffällige Nase. Edith Piaf überredete ihn auf einer Amerika-Tournee, sich einer Operation zu unterziehen. Er tat es und als die Piaf Wochen später zurückkehrte, erkannte sie ihn beim Empfang am Flughafen nicht. Erst als er sie direkt ansprach, sagte sie: "Ach, Du bist das. Ich habe die ganze Zeit gedacht, wer ist bloß dieser aufdringliche dumme Kerl, der sich mir immer in den Weg stellt. Und da bist Du es, Du beklopptes Genie!"

"Wir glaubten beide an die Freundschaft, aber vor allem waren wir bereit, sehr viel für das Chanson zu opfern".

"Sobald die Erkältung vorbei ist..."

Acht Jahre zählte Charles Aznavour als "Mann für alle Fälle" zum Ensemble der Piaf. Er arbeitete für sie als Texter, Komponist, Sekretär, Chauffeur und Beleuchter. Eines Tages hatte er von ihren Eskapaden genug und beschloss, eigene Wege zu gehen. Jedoch fiel die künstlerische Trennung schwer. Zwar hatte er als Autor bereits große Anerkennung gefunden, doch sie selbst erfolgreich zu interpretieren, lag nach wie vor in weiter Ferne. Seine Kollegin Patachou, selbst Chansonnière und Clubbesitzerin sagte nach einem ersten Treffen zu ihm: "Ich engagiere Sie als Sänger. Kommen Sie zu mir, sobald Ihre Erkältung vorbei ist." Aber die "Erkältung" war seine Stimme…

"Ich glaube an meinen Beruf wie an eine Religion."

Charles Aznavour bei einem Auftritt 2007 (Foto: dpa Bildfunk, Picture Alliance / Abaca 127562)
Charles Aznavour bei einem Auftritt 2007

Der Durchbruch mit "Sur ma vie"

1953 verließ er für ein Jahr Frankreich und feierte triumphale Erfolge in Marokko. Nach seiner Rückkehr trat er für drei Wochen im "Alhambra" auf und legte das Fundament für weitere Erfolge. Bei seinen Auftritten 1955 im legendären "Olympia" urteilten die Kritiker dann deutlich milder: "Wir mögen seine Chansons, doch an seine Stimme muss man sich erst gewöhnen". Dem Publikum fiel die Gewöhnung leichter, denn mit seinem Lied "Sur ma vie" eroberte er im Handumdrehen ganz Frankreich. Damit war ihm endlich gelungen, was er immer wollte: Chansons zu schreiben und selbst zu singen.

Charles Aznavour - der Steckbrief

Geborenam 22. Mai 1924 in Paris
Gestorbenam 1. Oktober 2018 in Alpilles
FamilieSeine Eltern, Künstler, waren aus Armenien geflüchtet. Charles Aznavour hat eine Schwester. Aznavour war drei Mal verheiratet und hat sechs Kinder.
KarriereAls Schauspieler trat Aznavour in einigen sehr bekannten Filmen auf: "Die Fantome des Hutmachers" (Claude Chabrol) oder "Die Blechtrommel" (Volker Schlöndorff) oder "Schießen Sie nicht auf den Pianisten" (François Truffaut).
ArmenienAznavour setzt sich sehr für die Heimat seiner Eltern, Armenien, ein. 2008 wurde ihm die armenische Staatsbürgerschaft verliehen, er vertritt sein Land bei der UNICEF und an der Genfer Niederlassung der Vereinten Nationen.
EhrungUnzählige Preise und Auszeichnungen. 2017 bekam er einen Stern auf dem Hollywood Walk of Fame.

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