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Windkraft ohne Vogelsterben – Geht das?

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Richard Fuchs
Richard Fuchs (Foto: Richard Fuchs / privat)
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Candy Sauer

Damit Deutschland die Klimaschutzziele erreicht, müssen in den nächsten Jahren viele neue Windkraftanlagen gebaut werden – zusätzlich zu den 31.000 bestehenden. Doch Naturschützer sorgen sich: Besonders geschützte Greifvogelarten können mit den Rotorblättern der Windräder kollidieren. Und die Anlagen stören Lebensräume seltener Arten. Bedeutet mehr Klimaschutz also weniger Artenschutz?

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Mit neuen technischen Systemen soll sich die Gefahr von Vogelschlag minimieren lassen. Naturschützer schlagen auch vor, die Naturlandschaften aufzuteilen in Vogelschutz- und Windkraftzonen.


KI: IdentiFlight soll Vögel erkennen und Abschaltsignal senden

Wie viele Tiere und welche Vogelarten genau werden tatsächlich durch Windkfraftanlagen beeinträchtigt und getötet? Die Datenlage ist schwierig, da eine systematische Erfassung Tiere fehlt. Bei der staatlichen Vogelschutzwarte Brandenburg führen Naturschützer eine Datenbank, die in ganz Deutschland Zufallsfunde von getöteten Greifvögeln und Fledermäusen an Windrädern festhält. Immerhin: Lars Lachmann, Biologe und Vogelschutzexperte beim Naturschutzbund Deutschland (NABU), in Berlin, sagt, dass „sehr, sehr wenige Vogelarten“ betroffen seien. Vor allem Rotmilan, Mäusebussard und größere Adlerarten. „Kleine Vögel wie Singvögel sind eben nur relativ selten betroffen.“

Doch wie kommt man weg von den Zufallsfunden hin zu belastbaren Zahlen und Informationen darüber, welche Vögel genau und wie viele betroffen sind?

Testaufbau des Kamerasystems IdentiFlight  in Plate in Mecklenburg-Vorpommern  (Foto: SWR, Richard Fuchs)
Testaufbau des Kamerasystems IdentiFlight in Plate in Mecklenburg-Vorpommern

Ein Hamburger Projektentwickler will das Kamerasystem IdentiFlight in den deutschen Markt einführen. Die Mitarbeiterin Maria Rohde beschreibt das System, das sich auf einem 10 Meter hohen Turm befindet: „Obendrauf befindet sich das Kamerasystem, das aus den zwei einzelnen Systemen besteht. Man sieht die acht Weitwinkelkameras, die unten kreisförmig angeordnet sind. Die sind dafür da, den Luftraum permanent zu überwachen. 360 Grad. Und obendrauf sitzt eine Stereo-Kamera. Die ist frei beweglich und kann, wenn die acht Weitwinkelkameras einen Vogel entdecken, sich auf diesen ausrichten, an den Vogel heranzoomen. Und die kann dann tatsächlich unterscheiden: Ist das ein Rotmilan, ein Seeadler oder ein anderer Vogel?“

Kamerasystem IdentiFlight: 8 Weitwinkelkameras sind unten kreisförmig angeordnet und sollen den Luftraum rundum überwachen. Obendrauf sitzt eine Stereo-Kamera. (Foto: SWR, Richard Fuchs)
Kamerasystem IdentiFlight: 8 Weitwinkelkameras sind unten kreisförmig angeordnet und sollen den Luftraum rundum überwachen. Obendrauf sitzt eine Stereo-Kamera.

Mithilfe künstlicher Intelligenz (KI) solle das System lernen, die Arten zuverlässig zu unterscheiden. Unterschreitet ein Vogel dann einen kritischen Radius und kommt den Rotorblättern zu nahe, werde vom „System aus ein Abschaltsignal direkt an die Windkraftanlage gesendet", so Maria Rohde.

Dank neuer Technik könnten konfliktträchtige Standorte genutzt werden

Das Entwickler-Team kalkuliert mit knapp 1.000 Abschaltungen im Jahr, was für den Windrad-Betreiber im Durchschnitt einen Ertragsverlust von vier Prozent bedeuten könnte. Weniger Gewinn, dafür könnten im Gegenzug auch konfliktträchtige Standorte genutzt werden. Das wäre der große Vorteil.

Im Auftrag des Kompetenzzentrums Naturschutz und Energiewende hat ein unabhängiges Gutachterbüro den Einsatz des Kamerasystems an sechs unterschiedlichen Standorten untersucht. Das überaus positive Fazit von Elke Bruns, Leiterin der Abteilung Fachinformation im Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende, kurz KNE, in Berlin: Das System sei reif für die Praxis – als Erstes aus einer Reihe von Neuentwicklungen.

Repowering: alte Windräder gegen neue, leistungsstärkere tauschen

Damit Deutschland seine Klimaziele erreicht, fordern wissenschaftliche Gutachten eine Verdreifachung des jährlichen Windkraftausbaus. Naturschützer sind besorgt, weil nicht nur geschützte Greifvögel mit den Rotorblättern der Windräder kollidieren könnten, sondern z.B. auch Auerhühner gestört würden.

Prof. Ulrich Schraml ist in Baden-Württemberg für den Schutz des Auerhuhns zuständig. Der Vogel ist akut vom Aussterben bedroht. Sein Lebensraum ist durch Massentourismus, Zersiedelung und Straßenbau zerschnitten – und vielleicht auch durch Windräder im Wald.

Andreas Markowsky wiederum ist Windmüller. Er plant und betreibt mit seiner „Ökostromgruppe Freiburg“ Solarparks, Wasserkraftwerke und Windräder. Eines seiner dienstältesten Projekte steht in 1.100 Metern Höhe auf dem Gipfel des Rohardsbergs bei Elzach. Eine lichte Bergkuppe im Schwarzwald.

Waldbesitzer Paul Traenkle (links) und Windmüller Andreas Markowsky (rechts). Markowsky würde sein bestehendes Windrad auf dem Rohardsberg im Schwarzwald gerne modernisieren. Unter anderem wegen der Auerhuhnpopulation ist das nicht so einfach. (Foto: SWR, Richard Fuchs)
Waldbesitzer Paul Traenkle (links) und Windmüller Andreas Markowsky (rechts). Markowsky würde sein bestehendes Windrad auf dem Rohardsberg im Schwarzwald gerne modernisieren. Unter anderem wegen der Auerhuhnpopulation ist das nicht so einfach.

Das Windrad erzeugt an diesem für den Süden Deutschlands sehr windreichen Standort im Schnitt 2,5 Millionen Kilowattstunden Ökostrom im Jahr. Das entspricht der Strommenge, die knapp 1.000 Haushalte verbrauchen. Eigentlich will Andreas Markowsky mehr für den Klimaschutz rausholen – indem er das alte durch ein neues, leistungsstärkeres Windrad ersetzt. In der Windbranche heißt das Repowering. Markowsky erhofft sich von einer neuen Anlage die fünffache Strommenge.

Windkraftgebiete und Schutzzonen trennen?

Das Problem: Das Gebiet ist Lebensraum des Auerhuhns. Und das zuständige Landratsamt Emmendingen teilt mit: „Das Repowering am geplanten Standort würde nach der fachlichen Bewertung zu einer Verschlechterung des Erhaltungszustands der lokalen Population führen.“

Prof. Ulrich Schraml ist in Baden-Württemberg für den Schutz des Auerhuhns zuständig. Doch der heimische Großvogel aus der Gruppe der Raufußhühner ist akut vom Aussterben bedroht.  (Foto: SWR, Richard Fuchs)
Prof. Ulrich Schraml ist in Baden-Württemberg für den Schutz des Auerhuhns zuständig. Doch der heimische Großvogel aus der Gruppe der Raufußhühner ist akut vom Aussterben bedroht.

Ulrich Schraml sagt, durch seine Forschung sei gut dokumentiert, dass Windräder einen Einfluss auf die Nutzung des Lebensraums von Auerhühnern haben könnten. Also dass in einem Umkreis von bis zu 850 Metern rund um ein Windrad ein potenziell geeigneter Lebensraum nicht bzw. seltener von den Auerhühnern genutzt wird. „Wir hatten vor zehn Jahren noch mehr als doppelt so viele von den Tieren im Schwarzwald“, so Schraml. In absoluten Zahlen bedeutet das: Die Auerhuhn-Population im Nord- und Südschwarzwald dürfte nur noch bei 200 bis 250 Tieren liegen.

Auerhuhn-Forscher Schraml möchte Windmüller sensibilisieren, bei der Standortsuche das Vorkommen des Auerhuhns zu berücksichtigen. In mehr als der Hälfte der Fläche des Schwarzwalds spiele das Auerhuhn gar keine Rolle. Und in den zahlreichen grauen Bereichen der Landkarte – wo Auerhühner lebten, es sich aber um keine sensible Kernzone der geschützten Art handle –, da könnten Windräder genehmigungsfähig sein, wenn Schutzmaßnahmen ergriffen oder Lebensräume fürs Auerhuhn an anderer Stelle aufgewertet werden. Schramls Credo: Die Balance zwischen Eingriff und Ausgleich muss stimmen.

Klimaziele: Windkraftausbau müsste bis 2030 verdreifacht werden

Doch wie viel Zeit bleibt für das Ringen zwischen Arten- und Klimaschutz? Das von der Denkfabrik Agora Energiewende publizierte Gutachten mit dem Titel "Das Klimaschutz-Sofortprogramm" geht davon aus, dass der jährliche Windkraftausbau an Land bis 2030 glatt verdreifacht werden muss, um die deutschen Klimaziele und das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 erreichen zu können. Andere Studien und Prognosen stützen diesen Befund. 

Dass der Ausbau der Windenergie in Deutschland seit 2018 eingebrochen ist, rückt das Ziel in weite Ferne. Bis 2025 wird ein rundes Viertel aller bestehenden Windräder in Deutschland – also rund 8.000 Stück – die 20-jährige Betriebslaufzeit erreichen. Viele der alten Anlagen werden dann wohl abgebaut – außer es gelingt, sie durch neue zu ersetzen. Das wird – wie das Auerhuhn-Beispiel zeigt – ziemlich kompliziert.

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