Edward Snowden oder Julian Assange, Wiki-Leaks, Doping-Skandal, Panama-Papers - wer Missstände im großen Stil enthüllt, wird von der Öffentlichkeit meist als Held gefeiert. Weniger spektakulär, aber wesentlich alltäglicher sind die vielen kleine Fälle von Whistleblowing: Hinweisgeber in Unternehmen, Organisationen oder Behörden. Sie gelten oft als Verräter. Sie werden von Arbeitgebern oft gestellt und gekündigt. Das zumindest zeigen viele Fälle aus der Praxis. Zuverlässige Daten gibt es darüber nicht.

Ein Praxisworkshop über Whistleblowing an der Uni Köln: Prof. Bernd Irlenbusch, Wirtschaftsethiker und Mitglied wissenschaftlichen Beirat des Berufsverbandes der Compliance Manager, erarbeitet mit seinen Studenten Lösungen in einem realen Fall: Im Jahr 2003 wies der ehemalige Leiter des staatlichen Umweltamtes in Aachen das Umweltministerium in Nordrhein-Westfalen auf die Gefahr von Rota-Viren im Trinkwasser hin.
Strafe für Retter
Proben aus den Wasserwerken rund um Aachen hatten das ergeben. Er stieß auf taube Ohren und wandte sich danach an die Presse. Die Folge: Der Aufgabenbereich wurde ihm entzogen, er wurde zum Amtsarzt geschickt, suspendiert und in eine andere Behörde versetzt. Dann wurde er krank und schließlich frühpensioniert.
Im Workshop suchen die Wirtschaftsstudenten nach Gründen: Warum wird jemand suspendiert, der Menschenleben retten will? Schließlich sind Rota-Viren für Säuglinge lebensgefährlich. Das Fazit der Arbeitsgruppe: Hier liegt ein Tabubruch vor. Schließlich trägt man keine Behörden-Interna nach außen. Außerdem wollte keiner der Behördenmitarbeiter mit seinen Fehlern konfrontiert werden. Denn auf dem Weg zum kontaminierten Trinkwasser müssen mehrere Beamte schlampig gearbeitet haben.

Um Whistleblower zu schützen, haben Professoren in Deutschland das Whistleblower Netzwerk gegründet: Es ist ein gemeinnütziger Verein, der Whistleblower berät, wie sie am besten vorgehen. Denn kaum ein Vorgesetzter möchte etwas über Missstände in seinem Unternehmen, in seiner Behörde hören. In der Psychologie und in der Organisationslehre nennt man das „Das Paradoxon der Macht“:
Der stellvertretende Leiter des Netzwerkes, Johannes Ludwig rät von der direkten Konfrontation mit dem Arbeitgeber grundsätzlich ab. Das Risiko sei unkalkulierbar. Viele Whistleblower gehen deshalb zuerst an die Medien. Sie versprechen sich einen gewissen Schutz dadurch, dass ihr Fall und ihr Name dann öffentlich sind.
Doch für Unternehmen sind Leaks, Internetblogs und Medienberichte der Supergau. Das wollen sie vermeiden, denn hier haben sie keinerlei Kontrolle mehr. Also haben zumindest die großen Unternehmen in den letzten Jahren Frühwarnsysteme eingerichtet: Mitarbeiter können Missstände einer internen Hotline melden, in ein internetbasiertes anonymes Meldesysteme eingeben oder einen externen Ombudsanwalt einschalten.
Leiden durch das Schweigen aller
Whistleblower sind einsame Kämpfer. Sie wünschen sich Verbündete, machen aber meist die Erfahrung, dass die meisten Kollegen lieber wegschauen und schweigen. Wovor hat die schweigende Mehrheit eigentlich Angst? Gammelfleisch, VW-Skandal, Love-Parade, Doping, Odenwaldschule - unzählige Mitwisser haben geschwiegen, in einigen Fällen Jahre lang.
Kündigung wegen "Verletzung der Loyalitätspflicht."
Meldesysteme sind nur dann empfehlenswert, wenn sie hundertprozentige Anonymität gewährleisten. Und auch dann sind immer noch Rückschlüsse auf den Whistleblower möglich. Denn oft ist der Kreis derer, die überhaupt Zugriff auf bestimmte Informationen haben, überschaubar und klein. Ein Arbeitgeber darf außerdem seinem Mitarbeiter kündigen, wenn dieser geschäftsschädigende Dinge ausplaudert. Wegen "Verletzung der Loyalitätspflicht."
Ist es also am Ende fast unmöglich, eklatante Missstände öffentlich zu machen, ohne ein unkalkulierbares Risiko einzugehen? Whistleblowern wird das Leben in Zukunft sogar noch schwerer gemacht. Schuld daran ist die 2016 erlassene EU-Richtlinie zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen. Sie macht Enthüllungen wie etwa die Lux-Leaks fast unmöglich. Hier hatten zwei Unternehmensberater dubiose Steuersparmodelle zwischen Luxemburg und Konzernen wie Ikea und Amazon veröffentlicht. Beide wurden "wegen Verrat von Geschäftsgeheimnissen" zu Bewährungsstrafen verurteilt.
Whistleblower in Deutschland sind rechtlich schlechter geschützt als in den USA

Das Justizministerium will die EU-Richtlinie zugunsten von Unternehmen auslegen
Der jüngste Gesetzesentwurf aus dem Justizministerium macht Whistleblowing noch gefährlicher. In Zukunft sollen nur jene Whistleblower vor Strafverfolgung geschützt, die selbstlos in der Absicht handeln das allgemeine öffentliche Interesse zu schützen.
Die Grünen kritisieren das: Maßstab für den Schutz von Whistleblowern sollte das Ergebnis, nicht das Motiv ihres Handelns sein. Eine Gesinnungsprüfung sei ausdrücklich nicht Absicht des europäischen Gesetzgebers gewesen.
Außerdem erstreckt sich der Schutz von Whistleblowern nach dem Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums nur auf die Aufdeckung von rechtswidrigen Handlungen, nicht jedoch auf die Offenlegung von regelwidrigem Verhalten, wie es die EU-Richtlinie vorsieht.
All dies zementiert Missstände, die von vielen ängstlichen Mitwissern geduldet werden. Ein Skandal in einer Demokratie, in der jeder mutig und aufrecht Position beziehen dürfen sollte.