SWR2 Wissen: Spezial | Das Tier und Wir (7/10)

Tiere vor Gericht

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AUTOR/IN
Claudia Heissenberg
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Justina Bretzel
Candy Sauer

Von der Antike bis heute – Tiere spielten vor Gericht immer eine Rolle. Doch sie können nicht selbst gegen Ausbeutung oder schlechte Haltungsbedingungen klagen. Tierschutzorganisationen weltweit fordern mehr Rechte für Tiere.

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Ohne eigene Klageberechtigung: Tieren fehlt vor Gericht die Stimme

Seit 1990 gelten Tiere in Deutschland vor Gericht nicht mehr bloß als "Sache". Trotzdem sind sie weiterhin meist nur Gegenstand der Verhandlungen. Egal ob im Fischerei-, Jagd- oder Landwirtschaftsrecht, im Tierhalte- oder Tierzuchtrecht: Auf der Anklagebank sitzen Menschen.

Leiden Tiere unter schlechten Haltungsbedingungen und unzureichender Versorgung, können sie nicht einfach vor Gericht gehen und ihre Rechte einfordern. Das kritisiert der Schweizer Jurist Antoine F. Goetschel. Mit seiner Organisation Global Animal Law kämpft er für ein weltweites Tierschutzrecht.

"Haben Tiere Rechte in Deutschland? Da muss ich als Anwalt klar sagen: Im rechtlichen Sinn haben sie keine Rechte."

Damit ist Goetschel nicht allein. Mehr als 20.000 Vereine und Organisationen setzen sich auf der ganzen Welt für Tiere ein. In Deutschland wurde der Schutz von Tieren 2002 sogar zum Staatsziel erhoben und im Grundgesetz festgeschrieben. Trotzdem geht es vielen Tieren schlecht.

Massentierhaltung, Zoo, Tierversuche: menschliche Interessen stehen über dem Tierschutz

"Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen."

Das deutsche Tierschutzgesetz besteht seit 1972. Dennoch leiden nach wie vor viele Tiere. Möglicherweise liegt das an der schwammigen Formulierung "vernünftiger Grund" im Gesetzestext. So kritisiert es auch Ursula Wolf, Seniorprofessorin für Philosophie an der Universität Mannheim. Ihr fallen viele wirtschaftliche, medizinische oder persönliche Interessen ein, die mit dem Tierschutz nicht vereinbar sind.

Laut dem Rechtshistoriker Andreas Deutsch von der Universität Heidelberg war das nicht immer so. Doch mit der modernen Massentierhaltung ab den 1930ern verschlechterte sich der Umgang mit Nutztieren deutlich. Zuvor lebten die meisten Menschen von der Landwirtschaft. Von der Aufzucht bis zur Schlachtung – der alltägliche Kontakt zu Tiere gehörte dazu. Inzwischen ist das anders: Woher das Steak oder die Bratwurst auf dem Teller kommt, das wissen und hinterfragen heute wohl die wenigsten. Mensch und Tier, so Andreas Deutsch, sind einander fremd geworden.

Kuh in Stallhaltung: Eng zusammengepfercht anstatt auf der Weide: Die meisten Nutztiere in Deutschland werden in Massenställen gehalten. Einer der Gründe: Wegen der niederigen Fleisch- und Milchpreise ist eine artgerechte  Freilandhaltung für landwirtschaftliche Betriebe kaum finanzierbar.  (Foto: picture-alliance / Reportdienste, Picture Alliance)
Eng zusammengepfercht anstatt auf der Weide: Die meisten Nutztiere in Deutschland werden in Massenställen gehalten. Einer der Gründe: Wegen der niederigen Fleisch- und Milchpreise ist eine artgerechte Freilandhaltung für landwirtschaftliche Betriebe kaum finanzierbar.

Nicht nur der Konsum tierischer Produkte wird zunehmend kritischer betrachtet. Auch das Thema Tierversuche ist höchst kontrovers. Aber stehen Leben und Gesundheit von Menschen grundsätzlich über dem Tierwohl? Dagegen erheben Tierschutzverbände vehement Einspruch. Für sie ist die Grenze zwischen Mensch und Tier komplett willkürlich. Ihr Ziel: die Befreiung der Tiere aus systematischer Unterdrückung.

Neue Gesetze und öffentliche Debatten: Tierethik wird zunehmend politisch

Zwar ist Tierschutz in unserer Gesellschaft bereits etabliert, allerdings geht er meist nicht über moralische Normen hinaus. Vielen genügt das nicht. Ihre Forderung: Der Staat soll Haustieren, vor allem aber Nutz- und Wildtieren, wirkliche Rechte verleihen. Ursula Wolf bezeichnet diese Bewegung als "Political Turn" in den "Animal ethics", also eine politische Wende in der Tierethik. Aber ist es mit strengeren Gesetzen getan? Dem Tierschützer und Juristen Antoine F. Goetschel zufolge braucht es ein tiefergehendes Umdenken, um den Umgang mit Tieren wirklich zu verbessern:

"Tierschutz hört nicht auf mit etwas weniger Fleischkonsum. Tierschutz geht auch wesentlich weiter als der Umgang mit dem eigenen Hund oder der eigenen Katze. Tierschutz beginnt mit der Erkenntnis und der tiefsitzenden Überzeugung, dass Tiere Lebewesen sind mit einem Eigenwert, mit einer Individualität und mit Interessen, die von Menschen anders sind."

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