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Tanzen – Fitness für Körper und Geist

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AUTOR/IN
Reinhard Krol
ONLINEFASSUNG
Anja Braun

Tanzen ist für Menschen jeden Alters ein Gewinn. Es fordert auf entspannte Weise das Gehirn, hält den Körper beweglich, trainiert die Muskeln an Bein und Rücken. Es hält fit und macht glücklich. Wer tanzt ist in Kontakt mit anderen Menschen. 

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Tanz wird heute auch für Therapien genutzt, in der Sportausbildung und in der Arbeit mit Senioren. Immer geht es um Bewegung, Koordination, Rhythmusgefühl, Einfühlungsvermögen und das Spüren von uns selbst.

Der Mensch tanzt, seitdem es ihn gibt

Die ersten Bilder von tanzenden Menschen, die wir kennen, haben Steinzeitkünstler auf Felswände gemalt.

Getanzt wurde, um sich Mut und Kraft zu geben, um sich in Trance zu versetzen, wie bei den muslimischen Sufis. Getanzt wurde als Form des Gebets, aus Lebensfreude oder um Rituale wie die Aufnahme von Jungen und Mädchen in die Erwachsenengesellschaft zu feiern.

Im Mittelalter schaukelte und rumpelte das Volk auf den Tanzböden herum, während der Adel sich feinere Schritte ausdachte. Tanz war und ist ein Spiegel der Gesellschaft und somit auch von gesellschaftlichen Umbrüchen. Als der Walzer Mitte des 18. Jahrhunderts in Wien aufkam, wurde er erst einmal verboten. Er sei "der Gesundheit schädlich und auch der Sünden halber sehr gefährlich." Die Sünde bestand darin, sich in der Öffentlichkeit so schamlos zu umfassen und herumzuwirbeln.

Die Sportuni Köln verpflichtet alle Studierenden zu tanzen

Deutschlands einzige Sportuniversität in Köln schickt alle ihre Studierenden erstmal in einen Basiskurs Gymnastik und Tanz. Denise Temme, Professorin am Institut für Tanz und Bewegungskultur berichtet, dass sich viele von ihnen erst einmal schwer tun mit dem Tanzen. Doch Tanzen sei wichtig. Es schule ihre Bewegungswahrnehmung. Und auch ihr Rhythmusgefühl. Das Tanzen bringt den jungen Sportlerinnen und Sportlern für fast alle Sportarten Vorteile, vom Fußball bis zur Gymnastik.

Durch Tanzen lernt man Bewegungsvariabilität

Wer sich diese Bewegungsvariabilität angeeignet hat, ist gegenüber denen, die das nicht können, eindeutig im Vorteil. Er reagiert schneller auf Richtungsänderungen, Stopps, Tempowechsel, Störungen durch den Gegner – gerade bei den Ballsportarte

Was beim Tanzen im Gehirn passiert

Zunächst wandelt das Ohr akustische Reize in elektrische Impulse um und schickt sie an das Hörzentrum, den auditiven Cortex, wo Töne und Rhythmus entschlüsselt und verarbeitet werden. In einem anderen Teil des Großhirns, nämlich im Frontallappen, werden die Informationen aus dem Hörzentrum aufgenommen und die dazu passenden Schritte geplant. Soweit, so bewusst.

Je routinierter dieses Zusammenspiel passiert, je geübter jemand tanzt, umso automatischer läuft dieser Vorgang ab und verlagert sich ins Kleinhirn, ins Cerebellum, das die unbewusste Motorik steuert. Und zum Beispiel auch dafür sorgt, dass wir nicht vom Fahrrad fallen, auf einem Bein stehen oder uns um unsere eigene Achse drehen können.

Tanzen im Alter hält fit

Die weltberühmte Tänzerin und Choreografin Pina Bausch hatte für ihre Compagnie in Wuppertal das Stück „Kontakthof“ choreografiert. Eines Tages ließ sie eine Annonce in die Zeitung setzen: Suche Damen und Herren ab 65, die den Kontakthof tanzen wollen. Sie wollte damit zeigen, dass auch ältere Menschen noch sehr gut tanzen lernen können. Wie überzeugend die Seniorinnen und Senioren dieses Stück auf die Bühne brachten zeigt die Tatsache, dass die Truppe – natürlich dann in wechselnder Besetzung – 11 Jahre lang damit in ganz Europa gastierte, nach Madrid, London, Amsterdam, Marseille eingeladen wurde.

Es wäre aber falsch, Tanz nur als Fitnessübung gegen Gedächtnisschwund zu betreiben. So wie einer in die Muckibude rennt, um ordentlich Muskeln zu kriegen. Es ist genau anders herum. Ich tanze, weil es mir Spaß macht. Und also bleibe ich fit – körperlich wie geistig. Der Gewinn stellt sich dann auf vielen Ebenen ein.

Spaß am Tanzen wird oft durch die Tanzstunde ausgetrieben

Vielen von uns ist der Spaß am Tanzen leider schon in der Tanzstunde ausgetrieben worden. Leicht verklemmt saß man sich gegenüber. Dann auffordern oder aufgefordert werden von einer Person, die man nicht kannte. Ist das jetzt ein Dreiviertel- oder Viervierteltakt. Welche Schritte beim Walzer, mit welchem Fuß beginnt der ChaCha und wie ging das nochmal mit beim Rumbatanzen…. Die Blamage war vorprogrammiert. Wir Mitteleuropäer machen es uns dabei viel schwerer als es notwendig wäre, sagt Tanzprofessorin Denise Temme von der Kölner Sporthochschule.

Man braucht dafür kein Schrittrepertoire um starten zu können. Und das finde ich einen wesentlichen und wahrscheinlich auch kulturellen Unterschied, dass man drauf wartet, dass man gesagt bekommt, du machst jetzt den Schritt und damit tanzt du. Dieses Selbsterlauben einfach von vielen Bewegungen zur Musik, das Selbstausprobieren ist glaube ich einfach noch ein gesellschaftlicher Lernprozess.

Lateinamerikaner tanzen wie es ihnen gefällt

Die lateinamerikanische Tanzkultur zeichnet sich dadurch aus, dass es fast alle tun ohne jemals Unterricht genommen zu haben. Wer aus Lateinamerika kommt, hat eine komplett andere Idee vom Tanzen. Es geht dabei im Wesentlichen um einen sozialen Aspekt: dieses Miteinander zwischen Mann und Frau zu dieser Musik zu genießen. Die Leute treffen sich, um dem anderen Geschlecht zu begegnen. Es geht also nicht darum, ein paar Kombinationen hinzubekommen, sondern es geht einfach um dieses Gefühl des gemeinsamen Bewegens.

Tanz und Bewegung können auch ein Zugang zur Psyche sein

Das nutzt die Tanztherapie, ein anerkanntes Verfahren in der Psychotherapie. Hier wird Tanz und Bewegung als Medium benutzt, um emotionale Prozesse anzuregen. Tanztherapie bedeutet durch Bewegung seinem Körper und in der Folge seinen Emotionen näher zu kommen.

Imke Fiedler hat diese Technik bereits in den 70er Jahren in den USA studiert. Heute leitet sie das Tanztherapiezentrum Berlin. Zu ihr kommen Klienten, die oft schon eine Gesprächstherapie oder eine Psychoanalyse durchlaufen haben, es aber immer noch nicht schaffen, Dinge positiv zu verändern. Mit ihnen erarbeitet die Tanztherapeutin tänzerische Lösungen.

So hat eine Klientin zum Beispiel Schwierigkeiten ihrer Chefin zu widersprechen. Dann stellt Imke Fiedler einen Stuhl in den Raum, der diese Person darstellen soll. Nun wird die Klientin aufgefordert, immer wieder auf die vorgestellte Chefin zuzugehen. Und zwar mit musikalischer Untermalung:

Bei dieser nonverbalen Interaktion gibt es Körpersignale: Mein Brustkorb wird eng. Meine Atmung fängt an zu rasen. Ich spüre Verspannungen im Nacken. Das sind die körperlichen Reaktionen auf Angst und Unbehagen. Und dann sagt die Klientin: Okay. Ich wiederhole jetzt diese Schritte in Richtung Stuhl. Ich gehe drauf zu und gehe davon weg. Im Takt der Musik. Ich nenne das dann den Tanz der Annäherung.

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