SWR2 Wissen: Aula

Der Glaube – Auf den Spuren eines Phänomens (1/2)

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INTERVIEW
Ralf Caspary im Gespräch mit Ulrich Schnabel

Wissenschaft und Religion sind sehr wohl gut zu vereinbaren. Es gibt viele seriöse Forschungen etwa zum Phänomen des Glaubens, die religiöse Erfahrungen bekräftigen. Gespräch mit dem Wissenschaftsjournalisten Ulrich Schnabel.

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Glaube beginnt, wo Wissen endet

Glauben beginnt dort, wo man die Wissensgrenzen überschreitet. Und das tun wir zwangsläufig immer wieder, weil wir natürlich nicht alles, was wir tun und von dem wir überzeugt sind, jeweils hundertprozentig belegen können.

Sonst würden wir keinen Schritt mehr aus der Tür wagen. Wir können schließlich nicht nachweisen, ob uns nicht ein Blumentopf auf den Kopf fällt.

In diesen Kontext kann man auch Religion einordnen. Der katholische Theologe Johann Baptist Metz sagt:

Religion ist eine Unterbrechung des Alltags

Mal innehalten, reflektieren. Damit beginnt für ihn die Reflexion. Für mich ist das ein sehr guter Startpunkt.

Der Theologe Johann Baptist Metz (Foto: dpa Bildfunk, Friso Gentsch/dpa)
Der Theologe Johann Baptist Metz

Religiöse Systeme als Grundkonstante

Wenn man Religion strikt naturwissenschaftlich betrachtet, dann stellt man fest, dass gerade die vielfach verpönte Evolutionsbiologie die besten Argumente liefert, warum der Mensch ohne Religion gar nicht leben kann.

Denn: In allen Zeiten und zu allen Kulturen hat der Mensch so etwas wie religiöse Systeme gehabt. Das scheint eine Grundkonstante des menschlichen Lebens zu sein.

Manche Evolutionsbiologen definieren den Menschen sogar als "das betende Tier".

Der Mensch ist das einzige Tier, das religiöse Rituale entwickelt. Alle anderen Abgrenzungsmerkmale wie Sprache oder Werkzeuggebrauch finden sich in rudimentärer Form auch bei Tieren.

Religion und Toleranz

Viele Regionen haben diesen Aspekt der Öffnung des Geistes, die Erkenntnis der Demut, der Grenzen der eigenen Erkenntnismöglichkeiten. Sie führt gleichzeitig dazu, weniger an Vorurteilen festzuhalten.

Denn wenn mir bewusst ist, dass ich einen beschränkten Horizont habe, macht mich das offener für die Meinungen anderer. Das hat etwas Toleranz-Förderndes.

Nächstenliebe und Offenheit sind ja auch Werte, die Religionen transportieren. Ich glaube, davon brauchen wir viel mehr.

Gleichzeitig liegt in religiösen Systemen leider auch die umgekehrte Tendenz: der Fundamentalismus, ein festgefahrenes Weltbild und das Gefühl "ich weiß schon alles, und die anderen liegen alle falsch".


(Teil 2, Donnerstag, 26. Dezember, 8.30 Uhr sowie Teile 1 und 2, Mittwoch, 25. Dezember, 23.03 Uhr)

Ulrich Schnabel, Physiker und Autor (Foto: Martina van Kann)
Ulrich Schnabel
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