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Stanislaw Lem – Visionär zwischen Science und Fiction

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Sven Ahnert
Sven Ahnert (Foto: Sven Ahnert)
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Ulrike Barwanietz
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Der polnische Autor Stanislaw Lem (1921 - 2006) hat in seinen Schriften schon früh die Grenzen menschlicher Erkenntnisfähigkeit und die Möglichkeiten zukünftiger Technologien erkundet.

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Stanislaw Lem: origineller Erfinder – und Philosoph der Technik

Für viele Leser und Leserinnen gilt der polnische Science-Fiction Autor Stanislaw Lem als origineller Erfinder verwegener Theorien und utopischer Schauplätze. Doch Zeit seines Lebens blieb Lem enttäuscht darüber, dass er immer nur als phantastischer Autor wahrgenommen wurde und nicht als ein Philosoph der Technik.

Lem überlebt deutsche Okkupation: Automechaniker mit falschen Papieren

Ursprünglich wollte der 1921 im galizischen Lemberg geborene Stanislaw Lem die Familientradition fortsetzen und wie sein Vater Arzt werden. Von 1940 bis 1941 studierte er in seiner Heimatstadt Medizin. Bereits nach der Besetzung durch deutsche Truppen verschaffte Lem sich mit gefälschten Ausweisen eine neue Existenz, die seine jüdische Herkunft unkenntlich machte. Als Automechaniker überlebte er die Okkupation und unterstützte den polnischen Widerstand mit kleinen Sabotage-Aktionen.

Unter sowjetischer Besatzung nahm er das Medizinstudium für zwei Jahre wieder auf, entschied sich aber 1951 endgültig für den Beruf des Schriftstellers. Es war der Beginn seines Aufstiegs zum wohl populärsten polnischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, dessen Werke in 57 Sprachen übersetzt wurden, und Millionenauflagen erlebten.

Fotografie von Stanislaw Lem mit kleiner Astronautenfigur: Der polnische Privatgelehrte Stanislaw Lem mit dem Hang zum Skurrilen wird zu einer Art Kultfigur, im Osten wie im Westen (Foto: IMAGO, IMAGO / Eastnews)
Der polnische Privatgelehrte Stanislaw Lem mit dem Hang zum Skurrilen wird zu einer Art Kultfigur, im Osten wie im Westen

1960er: Weg von der abenteuerlustigen Sputnik-Ära

Wie Sputnik und das Raumfahrtprogramm stehen seine Romane anfänglich für den sozialistischen Griff nach den Sternen. Doch Anfang der 1960er-Jahre beginnt sich das Spektrum von Lems Romanen ins Düstere zu verschieben. Die abenteuerlustige Aura weicht einem Tonfall, der nichts mehr mit dem kämpferischen Schwung der Sputnik-Ära zu tun hat.

Kosmischer Satiriker: durchschnittliche Polizisten auf Streife im Weltall

1959 erscheint die erste Erzählung aus der Reihe um den tolpatschigen Piloten Pirx. Sie macht Lem in Osteuropa als kosmischen Satiriker populär. In einer kleinen Kapsel schwirrt der Held in bedrückender Enge durch den Kosmos. Er erlebt nicht aufregende Abenteuer in der unendlichen Weite des Weltalls, es herrscht allzu irdische Routine.

Der Raum, so schreibt Lem, „war wirklich leer“. Keine kosmischen Staubwolken in Sicht oder farbenfrohe Spiralnebel. Einfach nur nichts. Pirx reist in seiner Rakete, als wäre er ein ganz gewöhnlicher interstellarer Streifenpolizist. Pilot Pirx ist ein durchschnittlicher Mensch. Lieber starrt er einer Fliege auf dem Glas der Bullaugen hinterher, als in die beklemmende Unendlichkeit dahinter zu schauen. 1961 erscheint zudem Lems international bekannter Roman „Solaris“.

Szene aus "Solaris: Mit seinem 1961 veröffentlichten Roman „Solaris“ wurde Stanislaw Lem international bekannt. Andrej Tarkowskij hat, neben Boris Nirenburg und Steven Soderbergh, den Stoff 1972 verfilmt (Foto: IMAGO, IMAGO / Prod.DB)
Mit seinem 1961 veröffentlichten Roman „Solaris“ wurde Stanislaw Lem international bekannt. Andrej Tarkowskij hat, neben Boris Nirenburg und Steven Soderbergh, den Stoff 1972 verfilmt

Summa Technologiae: Stanislaw Lem als Technikphilosoph

Nahezu unbekannt ist jedoch das theoretische Hauptwerk Lems, seine 1964 publizierte "Summa Technologiae". Sie ist der ambitionierte Versuch einer logisch schlüssigen und gleichzeitig märchenhaften Theorie über die Entwicklungsmöglichkeiten zukünftiger Technologien. Wie der Scholastiker Thomas von Aquin im 13. Jahrhundert mit seiner "Summa Theologica" will Stanislaw Lem die Summe all dessen ziehen, was technisch gedacht werden kann.

Der Grundgedanke ist einfach: Im Zentrum der "Summa Technologiae" steht ein "Held", wie Lem es nennt, ein vernünftiger Weltenkonstrukteur, der Pankreator. Er verkörpert das gesamte Wissen der technischen Welt und der in ihr verborgenen Möglichkeiten. Lem entwickelt dafür nichts weniger als eine Kosmogonie, in der die Menschen eine passive, geradezu demütige Position einnehmen. Der Mensch, so Lem, ist alles andere als das Maß aller Dinge.

Jüdischer Mythos des Golem: Vorbild für allwissenden Roboter

Der schweigende Kosmos mit seinen für die Menschen nicht lösbaren Rätseln führt Lem zur Grundfrage seines Philosophierens: Kann die menschliche Vernunft etwas schaffen, das über sie hinausreicht?

In der Erzählung "Golem XIV" findet Lem eine originelle literarische Form für seine Sicht auf das Thema "Künstliche Intelligenz", das ihn seit den 1950er-Jahren beschäftigt. Lems Golem ist ein menschenähnlicher allwissender Roboter, der auf Waffen und Krieg verzichtet, um Zivilisationen zu schützen.

Allein durch die Verwendung des Namens setzt sich Lem in Bezug zur jüdischen Tradition. In der Prager Tradition des Judentums gibt es eine ganze Reihe von Erzählungen über diesen Golem, ein künstlich hergestelltes Geschöpf, das die Aufgabe hat, die Juden zu schützen. Lem implantiert den Mythos in seine Geschichte von der allmächtigen Maschine.

Spöttischer Blick des Privatgelehrten auf Internet und Biowissenschaften

1989 verabschiedete sich Lem aus der Welt der Science-Fiction und schrieb keine Romane mehr. Als Essayist beäugte er mit skeptischem Blick die Geburt des Internet, die Entwicklungen der Biowissenschaften und auf zukünftige Waffensysteme. Alles ein wenig mit dem spöttischen Blick des von der Dummheit der Menschheit enttäuschten Privatgelehrten – der vermutlich auch seine eigenen Grenzen kannte.

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