Hirn-Computer-Schnittstelle

Rollstuhl steuern durch Gedanken

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Ulrike Till
Portraitbild von Ulrike Till, Reporterin und Redakteurin SWR Wissen aktuell. (Foto: SWR, Jochen Krumpe)
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Veronika Simon
Portraitbild von Veronika Simon, Multimedia-Reporterin und Redakteurin SWR Wissen aktuell (Foto: SWR)

Es klingt nach Science Fiction: Gelähmte Menschen sollen ihren Rollstuhl nur mit Hilfe ihrer Gedanken bewegen. Eine Pilotstudie läuft gerade an der Uniklinik Bochum - die ersten Ergebnisse sind vielversprechend.

Noch ist es extrem mühsam, einen Rollstuhl nur mit den Gedanken zu steuern. Aber dass es überhaupt möglich ist, ist verblüffend und weckt neue Hoffnungen für schwer Gelähmte. Beim Pressetermin in Bochum konnte ein Patient gestern seinen Spezialrollstuhl immerhin durch einen einfachen Parcours aus Hütchen lenken – allein mit der Kraft seiner Vorstellung.

Gedanke an die Hände: rechts fahren. An die Füße: links

Das Prinzip dahinter ist nicht neu: Brain-Computer-Interface heißt die Technik. Auch Greifarme oder Roboter lassen sich so in Studien schon bewegen. Die Idee dabei: Immer wenn wir uns etwas vorstellen, entstehen bestimmte Hirnwellen. Die lassen sich über Elektroden auf dem Kopf messen und in Steuerungsbefehle für eine Maschine umsetzen.

Bei der Bochumer Studie müssen die Probanden an ihre Hände denken, dann fährt der Rollstuhl nach rechts. Wenn sie an ihre Füße denken, dreht der Rollstuhl nach links. Das klingt simpel, erfordert aber enorme Konzentration – eine Unterhaltung ist dabei nicht möglich. Und es klappt nur nach intensivem Training: Rund drei Monate lang mussten die ersten Probanden mehrmals die Woche üben.

Dabei sind dann auch unerwartete Probleme aufgetreten:

  • Mal haben Beatmungsgeräte die Messung der Hirnaktivität gestört,
  • mal mussten Patienten wegen Druckstellen pausieren,
  • manchmal haben die Messungen auch nicht richtig funktioniert und der Rollstuhl fuhr anders als der Patient es wollte.

Aber es gab auch positive Überraschungen: Selbst ein Patient mit geistigen Einschränkungen konnte seinen Rollstuhl mit Gedankenkraft steuern.

Noch umständlich: Rollstuhl lenken per Gedankenkraft

Insgesamt vier Probanden haben bisher in Bochum erfolgreich trainiert; sechs weitere Studien-Teilnehmer sollen dazukommen. Noch sind viele entscheidende Fragen offen: Für welche Patienten ist die innovative Technik am besten geeignet? Lassen sich damit wirklich in der Stadt oder zu Hause auch größere Strecken bewältigen? Gerade schwer gelähmte Patienten, die weder Arme noch Beine bewegen können, sind vom anstrengenden Training mit dem Spezialrollstuhl schnell erschöpft.

Unpraktisch ist auch die Haube mit den 32 Mess-Elektroden auf dem Kopf: Wie eine Badekappe sieht sie aus; von dort führen Kabel zum Steuerungscomputer des Rollstuhls. Das ist im Alltag lästig – und auch deshalb nicht ideal, weil Elektroden außen auf dem Kopf die Hirnaktivität nur grob erfassen können. Viel exakter sind Messungen mit eingepflanzten Elektroden – in den USA laufen dazu erste Studien, allerdings ist die Infektionsgefahr erheblich.

In Europa forscht vor allem die Technische Hochschule Lausanne an der innovativen Rollstuhltechnik, die Schweizer arbeiten eng mit der Uniklinik Bochum zusammen. Entscheidend ist bei der jetzt angelaufenen Studie vor allem eines: die Wissenschaftler arbeiten mit Patienten unter realistischen Bedingungen – nur so lassen sich die vielen praktischen Probleme, die es noch gibt, eines Tages hoffentlich ausräumen.