Die Babylon-Ausgrabungen von 1899 bis 1917 gelten bis heute als eines der ehrgeizigsten archäologischen Projekte. Ihr Leiter, der deutsche Archäologe Robert Koldewey (1855 - 1925), war ein Star-Forscher und Liebling des orientbegeisterten Kaisers Wilhelm II.
Wettrennen der europäischen Großmächte
Wilhelm II. wollte das Deutsche Reich im Wettrennen der europäischen Großmächte um die Schätze des Altertums positionieren und in Berlin mit einer eigenen Orient-Sammlung glänzen. Babylon schien ihm dafür auf Anraten Koldeweys besonders geeignet. Antike Schriftsteller beschrieben die Stadt als atemberaubende Metropole. In den biblischen Texten des Alten Testaments galten die Erzählungen von der Hure Babylon, vom herrschsüchtigen König Nebukadnezar oder dem Turm, der bis in den Himmel reichen sollte, als Sinnbilder für menschlichen Größenwahn und Sündhaftigkeit schlechthin.
Koldewey entdeckt Babylon – und bringt es nach Berlin
Neunzig Kilometer südwestlich von Bagdad stieß Koldewey tatsächlich auf die Überreste der größten Stadt der antiken Welt. Mehr als siebzehn Jahre sollte der Architekt und Archäologe in Babylon graben – unterstützt von einer Handvoll deutscher Forscher und Hundertschaften ansässiger Arbeiter, Beduinen aus den umliegenden Dörfern. Tonnenweise schafften diese Schutt beiseite und legten die gewaltigen Anlagen Babylons frei, Lehmziegel-Mauern, die zum Teil noch mehr als zehn Meter hoch und fast zwanzig Meter dick waren.
Publikumsmagnet Ischtar-Tor
Koldeweys Funde befeuerten die Debatten über den Wahrheitsgehalt der Bibel und liefern Wissenschaftlern bis heute neue Erkenntnisse über das Leben in der antiken Mega-Stadt. Die Rekonstruktion des blauen Ischtar-Tores sowie der Thronsaalfassaden von König Nebukadnezar und der babylonischen Prozessionsstraße sind nach wie vor Publikumsmagneten auf der Berliner Museumsinsel.
Koldewey war eine extravagante Erscheinung. Von seinen Mitarbeitern als Meister verehrt, fuhr er mit dem Motorrad über das Ausgrabungsgelände und versuchte, einen Überblick von der riesigen antiken Stadt zu bekommen. Seine Grabungsberichte waren Bestseller im Deutschen Reich. Vor Auseinandersetzungen mit anderen Wissenschaftlern, die sein Vorgehen kritisierten, oder Diplomaten, die sein Vorhaben immer wieder störten, schreckte er nicht zurück. Er war der Mann, der Babylon nach Berlin brachte und die Archäologie revolutionierte.