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Psychokardiologie – Wie die Seele das Herz schwächt oder stärkt

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Silvia Plahl
Silvia Plahl (Foto: SWR, privat)
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Candy Sauer

Herz und Seele reagieren aufeinander. Wie genau, das erforscht die noch junge Disziplin der Psychokardiologie.

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Gestärktes Herz fördert seelisches Wohlbefinden

Die Forscher*innen haben einerseits erkannt, dass Depressionen, Stress oder Misshandlungen Herzerkrankungen auslösen können. Und andererseits Patient*innen nach einem Infarkt oder einer Herz-OP oft unter Albträumen und Ängsten leiden.

Studien zeigen auch, dass spezielle Psychotherapien bei Herzproblemen entlasten und im Idealfall für den besseren Krankheitsverlauf sorgen. Ein gestärktes Herz wiederum fördert das seelische Wohlbefinden.

Herz und Psyche in der Medizin gleichermaßen berücksichtigen

Wie wichtig es ist, Herz und Psyche gleichermaßen zu berücksichtigen, steht mittlerweile in den internationalen wie nationalen Leitlinien für die Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Professor Christoph Herrmann-Lingen, Psychosomatische Medizin Universitätsmedizin Göttingen, nennt drei wichtige Aspekte:

Man hat es lange Zeit nur fühlen können und nicht wirklich nachweisen. Das Faszinierende ist, dass wir jetzt das Herz sehr gut beobachten können, die Psyche inzwischen immer besser beschreiben können und die wechselseitige Beziehung zwischen Herz und Seele untersuchen können. Das ist der wissenschaftliche Teil.

Der andere Teil ist, dass es manchmal verblüffend ist, wie mit einer psychosomatisch-psychokardiologischen Behandlung sich das Befinden von Herzpatientinnen und -patienten nicht immer, aber doch recht häufig nachhaltig bessern kann.

Der dritte Teil ist, dass das auch ein Ansporn ist, die Herzpatientin oder den Herzpatienten noch mehr mit seiner ganzen Person zu behandeln.

Auf die Angst ums Herz eingehen

Prof. Herrmann-Lingen kritisiert, dass all das noch zu selten umgesetzt wird. Es gibt Reha-Kliniken, die sich auf die Psychokardiologie spezialisiert haben. Einzelne Krankenhäuser haben Ambulanzen und sogar psychokardiologische Stationen eingerichtet. Der ehemalige Herzchirurg Rainer Moosdorf findet das richtig:

Ursprünglich war das ein Fach, was insbesondere mit der Transplantation zu tun hatte. Aber mittlerweile kapieren viele, dass auch für die Alltags-Herzchirurgie eine psychologische Begleitung und Evaluierung notwendig ist.

Rainer Moosdorf war viele Jahre Abteilungs-Direktor der Uniklinik Marburg. Er erzählt: Durch die Studien zur Psychokardiologie sei ihm klar geworden, dass Eingriffe am Herzen mehr sind als eine Operation, die vom Können des Chirurgen abhängt. Ganz entscheidend sei, dass auch er als Operateur zusammen mit den Patientinnen und Patienten auf ihre Angst um ihr Herz eingehe:

Dass wir als Herzchirurgen die Leute motivieren, eine Perspektive mit ihnen zusammen teilen, entwickeln und unterstützen: Mensch, es lohnt sich, sich durch dieses tiefe Tal durchzuarbeiten! – Das ist Arbeit.

Viele leiden nach Herz-OP an Ängsten, Schlafstörungen und Depressionen

In Deutschland werden jährlich rund 1,7 Millionen Menschen mit einer Herzkrankheit behandelt. Klinische Studien belegen, dass jede fünfte bis zehnte Person nach einem Herzinfarkt oder einer Operation am Herzen in den Wochen danach eine posttraumatische Belastungsstörung entwickelt: Die Herzkranken haben vielleicht eine Reanimation durchlebt oder waren an eine Herz-Lungen-Maschine angeschlossen und absolut ausgeliefert an die Medizin. Sie lagen eine Weile auf der Intensivstation – und litten später an Ängsten, Alpträumen und Schlafstörungen, einer Depression oder einer Übererregbarkeit.

Auch ein Herzschrittmacher erzeugt als Fremdkörper oft Unruhe, ein implantierter Defibrillator kann in Panik versetzen, wenn er bei Herzrhythmusstörungen einen Stromstoß auslöst. Nicht wenige fürchten auch, dass ihre Herz-Beschwerden wiederkehren oder sich verschlimmern. Das hat oft zusätzliche schwerwiegende Folgen.

Egon Schmitt [Name geändert] ist ein großer kräftiger Mann, 71 Jahre alt, ein Bauingenieur. Die Herz-Operation war für ihn ein heftiger Einschnitt im Leben. Für SWR2 Wissen ist er an die Psychologische Abteilung der Universität Marburg gekommen, wo ihn die Psychologin Laura Gärtner behandelt.

Es war eigentlich alles neu. Weil ich immer meine positiven Gedanken gehabt hab. Und als es hieß: Herz-OP! – gingen die erst mal runter. Vielleicht war's auch unterbewusst Angst. Ich war mal kurz unten, will ich mal sagen, und sie hat mich wieder rausgeholt.

Studie PSY-HEART II: Vor der OP 4 Gespräche zwischen Patient und Psychologe

Die Psychologin Laura Gärtner hat Egon Schmitt rund um seine Operation psychologisch betreut, denn Egon Schmitt hat an einer Studie der Uniklinik Marburg teilgenommen: "PSY-HEART II": Die Psyche und das Herz. Während dieser wissenschaftlichen Untersuchung, die sich bereits im zweiten Durchlauf befindet, sprechen Psychologinnen und Psychologen viermal vor einem Bypass-Eingriff mit den Erkrankten.

Die Psychologin Laura Gärtner sagt, es gehe dabei darum, ...

... die Erwartungen im Hinblick auf die Operation zu verbessern und ein Stück weit darüber hinauszuschauen: Was ist den Patienten wichtig nach der OP? Wo wollen sie wieder hinkommen? Warum will ich das und was kann ich dazu beitragen, da wieder hinzukommen? Wo man als Patient auch erleben kann: Ich hab darauf einen Einfluss, wie es meinem Herzen geht.

Delir und Schmerzen: Patientinnen und Patienten sollen vorbereitet sein

Auch soll den Patientinnen und Patienten klar sein, was auf sie zukommt. Wie ist es auf der Intensivstation? Gerade Bypass-Operierte erleben nach der OP häufiger als andere ein sogenanntes Delir, eine Verwirrtheit oder Desorientierung. Sich darauf vorzubereiten und auch zu überlegen, was helfen könnte mit Schmerzen umzugehen, kann sehr erleichternd sein.

Diesen Kontrollverlust wollen wir verhindern, indem wir den Patienten vorher relativ viele Details darüber erzählen: Was ist normal? Welche Schmerzen sind vielleicht erwartbar? Was können sie tun?

Zur Unterstützung erhalten die Patienten die "Herzfibel", ein Arbeitsheft im DIN-A4-Format.Auf 30 Seiten erklären Texte und farbige Illustrationen, wie eine Bypass-Operation das Leben rettet und wie sie abläuft. "Ich bin gewappnet für Nebenwirkungen" heißt ein Kapitel, ein anderes "Mein Werkzeugkoffer gegen unangenehme Empfindungen". Es folgen Ideen für Aktivitäten nach der OP und "Meine Botschaft an mich selbst".

Zukunftspläne zu schmieden – das kam dem 71-jährigen Herzpatienten Egon Schmitt besonders entgegen.

Der Ehrgeiz muss da sein, genauso wie im Sport auch: etwas gewinnen wollen, wieder zurückgewinnen wollen. Das war mein Ziel. Ich bin Angler und Chorsänger, und das ist alles wieder am Laufen.

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Dieses Mal sind Julia Nestlen und Sina Kürtz für euch am Start.
Ihre Themen sind:

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- Astronauten immer gut, Nonnen eher schlecht? Eine Studie hat das Image verschiedener Berufe in Filmen untersucht (23:42)

Weitere Infos und Studien gibt’s hier:
https://www.nature.com/articles/s41598-022-06040-x
https://www.cell.com/current-biology/fulltext/S0960-9822(22)00601-7
https://www.sciencedaily.com/releases/2022/05/220523115520.htm
https://www.derstandard.de/story/2000135877925/happy-heart-syndrom-wenn-positive-erlebnisse-herzprobleme-ausloesen
https://www.jacc.org/doi/10.1016/j.jchf.2022.02.015
https://www.eurekalert.org/news-releases/952366
https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0267812#sec017
Zur Studie aus Avengers: https://www.ardaudiothek.de/episode/fakt-ab-eine-woche-wissenschaft/loewenzahn-ist-eine-goldgrube/swr2/95052004/

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Idee: Christoph König

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