Privatschulen sehen sich gerne als pädagogische Alternative. Für viele sind sie aber nur elitäre Bildungseinrichtungen für Besserverdiener. Die Berliner Quinoa-Schule widerspricht dem Klischee radikal.
Eine Privatschule im Problembezirk
Die Quinoa-Schule ist eine Privatschule mitten im Berliner Problembezirk Wedding. Die Schule hat sich nach der widerstandsfähigen Pflanze benannt. Schulleiter Pantelis Pavlakidis erklärt die Parallele zu den Schülern der Schule und ihrer Lebenssituation: „Wenn man sich hier umguckt, ist viel Beton, es ist hart, kein Fleckchen Erde, wo man meint, gut wachsen zu können und deswegen haben wir uns Quinoa-Schule genannt, weil wir glauben, auch die Schüler sind widerstandsfähig und können mehr, als man ihnen oft vielleicht zutraut.“
Kleines Schulgeld, große Unterstützung
Quinoa ist eine staatlich anerkannte Ersatzschule mit Klasse 7 bis 10. Ins Leben gerufen wurde sie von zwei jungen Lehrern, um benachteiligten Kindern die Chance auf einen Schulabschluss zu geben. Im Wedding geht ein Drittel der Schüler ohne Abschluss von der Schule ab. 2014 gegründet, bekommt die Schule inzwischen 92 Prozent der Personalkosten vom Land Berlin. Dazu kommen seit kurzem Mittel aus dem Berliner Bonus-Programm für Schulen in sozialen Brennpunkten. Einen sehr kleinen Teil der Kosten decken Schulgelder, 17 Prozent der Eltern zahlen im Schnitt 35 Euro im Monat. Der Rest kommt von Spendern.
Elitäre Bildung für Hartz-IV-Familien
Der ganz überwiegende Teil der Kinder an der Quinoa-Schule kommt aus Migrantenfamilien. Mehr als 90 Prozent der Eltern, schätzt Pavlakidis sind Hartz-IV-Empfänger oder so genannte Aufstocker. Die meisten Kinder bringen zwei oder mehr Sprachen und Herkunftskulturen mit. Die Schule will das aber nicht als Nachteil verstehen, sondern als Vorteil. Im Vergleich zu anderen Privatschulen ist der Ansatz der Weddinger Einrichtung damit außergewöhnlich.
Intensiv betreuen und Konflikte aushalten
An der Quinoa-Schule ist die Betreuung sehr engmaschig, die Lehrer sind immer ansprechbar, müssen nicht nur unterrichten, sondern vieles darüber hinaus leisten. Es gibt drei Sozialarbeiter für 140 Schüler, also ein sehr gutes Betreuungsverhältnis. Ziel der Schule: vier Jahre nach der zehnten Klasse sollen alle entweder eine abgeschlossene Ausbildung oder eine Hochschulzugangsberechtigung haben. Kuschelpädagogik gebe es an seiner Schule nicht, sagt Schulleiter Pavlakidis, man sei nicht naiv: „Es ist eine sehr anstrengende Arbeit, auf jeden Fall, aber es geht. Unser Credo ist : Wir schauen nicht weg, auch wenn es unangenehm wird. Dann holen wir uns die Schüler und die Konfliktparteien an einen Tisch.“
Kulturell vielfältige Lehrerschaft
Als Privatschule hat die Quinoa-Schule einen anderen Gestaltungsspielraum, ist zum Beispiel freier bei der Wahl der Lehrkräfte. Im Gegensatz zu vielen staatlichen Schulen ist die Lehrer- ebenso kulturell vielfältig wie die Schülerschaft. Das sei ein großer Pluspunkt in der täglichen Arbeit mit den Jugendlichen, sagt Schulleiter Pavlakidis. Denn die Lehrer brächten so auch eine kulturelle Kompetenz mit, die in Konfliktfällen helfe. Und Konflikte gibt es im Wedding häufiger als anderswo.

Private Brennpunkt-Schule als Erfolg
Im vergangenen Jahr haben die ersten Quinoa-Schüler ihren Abschluss gemacht. 90,5 Prozent haben die 10. Klasse mit dem mittleren Schulabschluss verlassen, einige außerdem mit der Berechtigung zum Besuch der gymnasialen Oberstufe. Der Schnitt im Wedding liegt bei 54%. Ein Erfolg also. Aber ließen sich in Deutschland flächendeckend ausreichend Spender und engagierte Betreiber solcher Privatschulen finden?
Fördern Privatschulen die soziale Spaltung?
Für die Göttinger Erziehungswissenschaftlerin Margret Kraul ist es eigentlich die Aufgabe des Staates, ein passendes Angebot zur bestmöglichen Förderung aller Schüler sicherzustellen. Es sei problematisch, wenn der Staat seine Verpflichtung an private Einrichtungen delegiere, so Kraul. An der zunehmenden Spaltung der Gesellschaft in soziale Gruppen, in Arm und Reich, seien die Privatschulen jedoch nur bedingt schuld, findet die Erziehungswissenschaftlerin.
Privatschulen im Aufwind
Reformpädagogische Schulen, also zum Beispiel Waldorf- oder Montessori-Schulen, bilden nach den katholischen und evangelischen Privatschulen in Deutschland die größte Gruppe. Und sie alle erfreuen sich zunehmender Beliebtheit: um 81% hat die Zahl der allgemeinbildenden und beruflichen Privatschulen seit Beginn der Neunziger Jahre zugenommen. In Ostdeutschland gehen inzwischen 10 Prozent der Kinder auf Privatschulen, im Westen 8,8 Prozent.

Vielfalt in der Bildung fördern
An einer privaten Ersatzschule kann man staatlich anerkannte Abschlüsse wie das Abitur machen. Die Schule steht offiziell unter staatlicher Aufsicht und erhält einen Teil der Personalkosten, in der Regel zwischen 70 und 90 Prozent, aus der öffentlichen Hand. Den Rest muss der private Träger finanzieren. Die Möglichkeit, Privatschulen zu gründen, sichert Artikel 7 im Grundgesetz. Hintergrund ist die Gleichschaltung der Bildungslandschaft durch die Nationalsozialisten, in deren Zuge private Schulen verboten wurden. Mit dem Recht auf private Bildungseinrichtungen geht daher auch das historische Bewusstsein einher, dass ein staatliches Monopol auf Bildung problematisch werden kann.
Privatschulen umgehen Sonderungsverbot
Das Grundgesetz sichert den Privatschulen aber nur die Existenz, sofern sie sich an das so genannte Sonderungsverbot halten. Damit soll verhindert werden, dass Schulplätze nach dem Einkommen der Eltern vergeben werden, sich also nur Gutverdiener die private Bildung leisten können. Bildungsforscher wie Michael Wrase vom Berliner Wissenszentrum kritisieren, dass aber genau das passiere – trotz Sonderungsverbots.
Private Bildungsinseln für die Elite
Mit seinem Kollegen Marcel Helbig kam Wrase in einer Studie aus dem Jahr 2017 zu dem Schluss, dass Privatschulen Bildungsinseln für Besserverdienende seien. Das Sonderungsverbot sei eine der meistvergessenen Vorschriften im Grundgesetz, so Wrase. Viele Schulen verstießen faktisch gegen das Sonderungsverbot und erhöben viel zu hohe Schulgebühren.
Staat spart mit Privatschulen
In Baden-Württemberg hat man nach jahrelangem Ringen im Herbst 2017 das monatliche Schulgeld an Privatschulen auf 160 Euro monatlich gedeckelt. Zugleich erhalten die Privatschulen höhere staatliche Zuschüsse. Für Bildungsforscher Wrase ein Schritt in die richtige Richtung. Doch in vielen Bundesländern ist nach wie vor nicht festgelegt, wie hoch das Schulgeld sein darf. Und die öffentliche Verwaltung spart mit den Privatschulen viel Geld: Nach Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft 2,4 Milliarden Euro im Jahr. Denn dadurch, dass der Staat nur zwei Drittel der Kosten für Privatschulen übernimmt, sind diese für ihn wesentlich günstiger als eigene Schulen.
Image der öffentlichen Schulen ist schlecht
Tatsächlich sind es vor allem Kinder aus wohlhabenden, deutsch sprechenden Akademiker-Familien, die an die Privatschule gehen. Das Image der öffentlichen Schulen ist dagegen laut einer Forsa-Umfrage von 2019 im Keller: Bei der Frage, welchen Institutionen die Deutschen vertrauen, sackten die Schulen im Vergleich zum Vorjahr um 10 Prozentpunkte ab. Dabei sind die Privatschulen nicht besser als staatliche Schulen. Das ergaben mehrere Studien der letzten Jahre, unter anderem von der Friedrich Ebert Stiftung.
Privatschüler nicht besser als andere
Zwar zeigen Schüler an den privaten Einrichtungen bessere Leistungen. Aber das hängt mit ihrem sozio-ökonomischen Hintergrund zusammen. Auf der Privatschule sind eben mehr Kinder aus Akademiker-Haushalten. Stellt man die Zusammensetzung der Schülerschaft in Rechnung, können staatliche Schulen gut mithalten oder schneiden sogar besser ab. Die Sorge vieler Eltern, ihr Kind würde es an einer staatlichen nicht so gut haben wie an einer privaten Schule, ist oftmals also nicht berechtigt.