Einsatzwagen der Polizei mit Blaulicht (Zoomeffekt) (Foto: SWR, picture alliance / dpa - Jan Woitas)

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Polizei in der Krise – Autoritätsverlust, Überlastung und Gewalt

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Jana Lange
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Ulrike Barwanietz
Ralf Kölbel
Ralf Kölbel, Online-Redakteur bei SWR Wissen aktuell sowie Redakteur bei SWR2 Wissen. (Foto: SWR, Christian Koch)

Schwache schützen, für Recht und Ordnung sorgen, Verbrechen aufklären: Wer Polizist wird, ist motiviert, hat diesen Beruf bewusst gewählt. Doch reicht das in Zeiten von Terror, schwindendem Respekt und Personalnot?

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Gerade Menschen unter Alkohol- oder Drogeneinfluss wehren sich häufig gegen die Polizei: treten, schlagen, spucken, beißen, werfen Gegenstände – oder zücken ein Messer. Dagegen rüstet sich die Polizei zunehmend: Rheinland-Pfalz setzt seit diesem Jahr als erstes Bundesland Taser im Streifendienst ein – Elektroschockpistolen.

In einer wissenschaftlich begleiteten Testphase kamen sie 30-mal zum Einsatz: In 21 Fällen hielt alleine das Drohen mit den Waffen Angreifer zurück. Die restlichen Male wurden die Taser angewendet. Aber die Geräte dürfen nicht gegen erkennbar Schwangere, Kinder unter 14 Jahren oder herzkranke Menschen eingesetzt werden. Bleibt die Frage, wie Polizisten erkennen sollen, wer herzkrank ist.

Taser und Bodycams

Einige Bundesländer setzen auf BodyCams an Uniformen, um Angreifer abzuschrecken: Baden-Württemberg und Bayern wollen die kleinen Kameras ab 2019 an alle Streifenpolizisten ausgeben.

Demonstranten beim G20-Gipfel in Hamburg (Foto: IMAGO, Imago -)
Polizei gegen Demonstranten, Demonstranten gegen Polizei, Wasserwerfer in den Straßen des Hamburger Schanzenviertels

Gewalt gegen Polizisten nimmt laut Bundeskriminalamt zu: 2016 waren es rund 24.000 Fälle deutschlandweit, elf Prozent mehr als im Jahr davor. Und auch vorsätzliche leichte Körperverletzung hat zugenommen, Fälle, in denen jemand einen Polizeibeamten ganz bewusst verletzten will.

Doch in letzter Zeit werde die Polizei weniger als Opfer gesehen, meint der Hamburger Kriminologe Rafael Behr, sondern eher als Durchsetzer staatlicher Gewalt im Sinne der Terrorismusbekämpfung.

Militarisierung der Gesellschaft

Auch Ereignisse wie der völlig entgleiste G20-Gipfel in Hamburg 2017 tragen zum Bild der "Durchsetzer" bei: Polizei gegen Demonstranten, Demonstranten gegen Polizei, Wasserwerfer in den Straßen des Hamburger Schanzenviertels, brennende Autos, hunderte Verletzte auf beiden Seiten.

Polizeiwissenschaftler Rafael Behr geht noch einen Schritt weiter und spricht von einer Militarisierung der Gesellschaft, einer Aufrüstung, nicht nur der Polizei. Die Zahl islamistischer Gefährder hat laut den Sicherheitsbehörden zugenommen: Sie trauen knapp 800 Menschen in Deutschland schwere politische Straftaten zu – Terroranschläge etwa.

Beliebter Beruf

Die veränderte Sicherheitslage, aber auch gewaltsame Übergriffe, Respektverlust, Überlastung durch zu wenig Personal – das alles scheint junge Menschen nicht davon abzuhalten, sich bei der Polizei zu bewerben. Noch immer liegt der Polizeiberuf unter den Top Ten der beliebten Berufe.

In vielen Bundesländern werden, wie in Rheinland-Pfalz, Polizistinnen und Polizisten zunehmend akademisch ausgebildet. Etwa 1600 Polizeikommissarsanwärter sind es im Moment in Rheinland-Pfalz. 70 Prozent sind Männer, 30 Prozent Frauen. Seit in den 80er- und 90er-Jahren die ersten Frauen zur Polizei kamen, steigt ihr Anteil in allen Bundesländern – langsam, aber stetig.

Wasserwefer für Bäume (Foto: SWR, dpa/picture-alliance - Bodo Marks)
Immer wieder fordern Gewerkschaftler und Wissenschaftler, die Polizei von Routineaufgaben zu entlasten, wie hier beim Wassereinsatz für Bäume und Sträucher

Nachwuchs fehlt dennoch

Da die geburtenstarken Jahrgänge auch bei der Polizei bald in Pension gehen, suchen im Moment nahezu alle Länder Nachwuchs. Auch in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz sollen zusätzliche Stellen entstehen. Da Polizei hauptsächlich Ländersache ist – Bundespolizei und Bundeskriminalamt ausgenommen – sind Ausbildung und Bezahlung sehr unterschiedlich.

Die Bundesländer konkurrieren deshalb um den Polizeinachwuchs und auch die Bundespolizei wirbt auf diesem Arbeitsmarkt. In Rheinland-Pfalz wurden in diesem Jahr mehr Studierende als früher eingestellt. Doch laut dem rheinland-pfälzischen Innenministerium brechen auch immer mehr Polizeianwärter ihre Hochschulausbildung ab. Seit 2012 sind es bis zu 14 Prozent.

Überstunden für Spezialeinsätze

Fast zwei Millionen Überstunden hat währenddessen die baden-württembergische Polizei laut Gewerkschaft im vergangenen Jahr gemacht, deutschlandweit waren es 22 Millionen Überstunden. Die Gründe dafür sind vielfältig: Zum einen ist gerade die Bundespolizei verstärkt an Deutschlands Außengrenzen und Flughäfen bei Kontrollen im Einsatz. Zum anderen gibt es mehr Einsätze für Bereitschaftspolizisten bei Demonstrationen wie dem G20-Gipfel in Hamburg.

Immer wieder fordern Gewerkschaftler und Wissenschaftler die Polizei von Routineaufgaben zu entlasten. Routineaufgaben sind zum Beispiel Straßen für Feste und Umzüge abzusperren oder einfache Verkehrsunfälle aufzunehmen. Das könnten auch qualifizierte Mitarbeiter zum Beispiel der städtischen Ordnungsämter übernehmen.

Anti-Terror-Ausbildung

Nach den Amokläufen in Erfurt 2002 und Winnenden 2009 durchliefen Polizisten zudem spezielle Trainings. Auch Streifenpolizisten wurden im Ausschalten von Amoktätern trainiert, denn sie sind meist die Ersten vor Ort. In solchen Situationen bleibt keine Zeit, auf Spezialeinheiten zu warten.

Es gilt, möglichst schnell möglichst viele Menschen zu retten und den oder die Täter handlungsunfähig zu machen. Mit der terroristischen Bedrohung in Europa und Deutschland wurde dieses Training in eine Anti-Terror-Ausbildung umgewandelt. Die absolvieren schon angehende Polizisten – zum Beispiel an der Hochschule der Polizei in Rheinland-Pfalz.

Wechsel der Machtverhältnisse

Anti-Terror-Einsätze geben der Polizei ein neues Profil. Dabei sind andere und mehr Kompetenzen als bisher wichtig, sagt der Polizeiseelsorger Markus Reuter. Das bringt nicht nur den Nachwuchs an seine Grenzen.

Noch stehe der helfende Gedanke bei vielen, die den Beruf wählten im Vordergrund, sagt der Hamburger Polizeiwissenschaftler Rafael Behr. Geht es nach dem Polizeiwissenschaftler, wird das nicht so bleiben. Die Polizei in Deutschland stehe vor einem grundlegenden Mentalitätswechsel.

Und der könnte auch für die Gesellschaft weitreichende Folgen haben. Behr schätzt, dass die Polizei wieder zum Herrschaftsorgan und zum Durchsetzungsorgan werden wird. Kritisch weitergedacht bedeutet das, die Polizei wird auch den Bürger nicht mehr als Bürger sehen, sondern als Herrschaftsunterworfenen.

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