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Nachrichten im DDR-Fernsehen – Die Geschichte der "Aktuellen Kamera"

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Joachim Meißner
Joachim Meißner (Foto: SWR, Foto: Patrick Höniges)
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Candy Sauer
Ulrike Barwanietz

Am 14. Dezember 1990 lief die letzte "Aktuelle Kamera". Die Sendung war das Sprachrohr der SED-Parteiführung, die vor allem Erfolge sehen wollte – und weniger die Lebensrealität.

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Die "Aktuelle Kamera" war einst das Flaggschiff des DDR-Fernsehens. Sie war fast 38 Jahre lang das unkritische Sprachrohr der SED-Parteiführung und hatte auch keine Probleme damit, in einer Sondersendung die wohl berühmteste Lüge der deutschen Nachkriegsgeschichte zu verbreiten: Walter Ulbrichts Statement im Jahr 1961: "Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten." Denn nur zwei Monate später wird die Mauer tatsächlich gebaut. Informationen und Pressemeldungen über den Mauerbau werden direkt durch die Partei vorgegeben und Diskussionen sind im Redaktionsalltag der "Aktuellen Kamera" nicht vorgesehen.

Agitationskommission: Propagandaziele ins Volk tragen

Im Nachrichtensystem der DDR war die sogenannte "Agitationskommission" von zentraler Bedeutung. Als Teil des Regierungs- und Parteiapparats stellte sie sicher, dass die Propagandaziele ins Volk getragen wurden. Die Kommission gab Richtlinien an die Zeitungen, den Rundfunk und das Fernsehen aus, worüber berichtet werden sollte. Und wenn es eilig war, gab es eine Standleitung. Dann wurden über Telefon Nachrichten diktiert oder Korrekturen durchgegeben.

Der Sprecher der ehemaligen DDR-Nachrichtensendung "Aktuelle Kamera", Klaus Feldmann, sitzt 2003 an einem Nachbau seines alten Arbeitsplatzes während einer Aufzeichnung für eine Ostalgieshow  (Foto: dpa Bildfunk, picture-alliance / dpa/ dpaweb / Jens_Wolf)
Der Sprecher der ehemaligen DDR-Nachrichtensendung "Aktuelle Kamera", Klaus Feldmann, sitzt 2003 an einem Nachbau seines alten Arbeitsplatzes während einer Aufzeichnung für eine Ostalgieshow

Der ehemalige "Aktuelle Kamera"-Reporter Michael Schmidt hat selbst viele Beiträge für die Nachrichtensendung gemacht und kennt die Art und Weise, wie damals gearbeitet wurde sehr genau – und auch worauf es damals wirklich ankam. Die Nachrichtenleute sollten beispielsweise gezielt Vorzeigebetriebe im Sinne des Staates aussuchen. Aber nicht um über die Probleme in den jeweiligen Firmen zu berichten, sondern oft genug über geschönte Zahlen. Ein offenes Geheimnis für alle Beteiligten. Für Schmidt auch rückblickend ein besonderes Ärgernis, denn bei einer Beschwerde im Politbüro wurde ihm gedroht, er würde seinen Beruf in Zukunft nicht mehr ausüben dürfen.

"Aktuelle Kamera": älteste deutsche Nachrichtensendung im Fernsehen

Am 21. Dezember 1952 pünktlich um 20 Uhr geht die "Aktuelle Kamera" erstmals auf Sendung. Fünf Tage bevor die "Tagesschau" im Westen Premiere feiert. Damit ist die "Aktuelle Kamera" die älteste deutsche Nachrichtensendung im Fernsehen. Das Datum ist kein Zufall: Es ist der Geburtstag des sowjetischen Diktators Stalin.

Gebäude der Nachrichtensendung "Aktuelle Kamera" und des Deutschen Fernsehfunks in Adlershof, Berlin, 1988 (Foto: IMAGO, imago/Gueffroy)
Gebäude der Nachrichtensendung "Aktuelle Kamera" und des Deutschen Fernsehfunks in Adlershof, Berlin, 1988

Übertragen wird aus Adlershof, einem Stadtteil im Südosten von Berlin. Hier wurde gerade das Versuchszentrum für den Fernsehempfang fertiggestellt. Noch wird viel experimentiert. In der DDR gab es gerade einmal etwa 60 empfangsbereite TV-Geräte, die allesamt in Berlin standen.

1961 wird die Mauer zum "Antifaschistischen Schutzwall"

Anfang der 1960er-Jahre gibt es bereits mehr als eine Million Fernsehzuschauer in der DDR. Und das Fernsehen wird ein willkommenes Massenmedium mitten im Kalten Krieg. Die "Aktuelle Kamera" attackiert den "imperialistischen Westen" und bejubelt zugleich die Errungenschaften des Sozialismus im eigenen Land. Die Berichterstattung ist weit weg von der Alltagsrealität der Bürgerinnen und Bürger, dafür nah dran am Journalismus im Dienst der Partei.

Am 13. August 1961 ist der sogenannte "Antifaschistische Schutzwall" zwar Thema, aber an diesem Tag werden keine Bilder vom Bau der Mauer in den DDR-Hauptnachrichten im Fernsehen gezeigt. Hier wundert man sich nur über die Aufregung im Westen, denn in Berlin, so der Kommentar süffisant, "ist es ein Tag wie jeder andere".

Hälfte der DDR-Zuschauer zieht die "Tagesschau" der "Aktuellen Kamera" vor

Der in der DDR lebende Schriftsteller Stefan Heym sammelte solche Lobeshymnen der "Aktuellen Kamera" und veröffentlichte die Phrasen 1977 mit dem Titel "Je voller der Mund, desto leerer die Sprüche" in einem Stern-Artikel:

Jede Veränderung war tiefgreifend, jeder Gedankenaustausch umfassend, jedes Anliegen vorrangig, das Fundament unerschütterlich, die Verwirklichung vollinhaltlich, die Anerkennung weltweit, das Wachstum dynamisch und die Zustimmung millionenfach.

Heyms kritische Auffassung vom – heute würde man wohl sagen – Staats-Framing teilen gut die Hälfte der DDR-Zuschauer, die allabendlich zur "Tagesschau" im Westfernsehen abwandern, um sich unzensiert und weltoffener zu informieren. Denn gemäß den Statuten der SED untersteht die Presse der Partei. Das galt für Zeitungen wie das "Neue Deutschland", den Rundfunk und natürlich auch für die "Aktuelle Kamera".

Jeder konnte wegen "Staatsfeindlicher Hetze" verfolgt werden

Die Partei gab die Grundlinie vor, der alle anderen Medien zu folgen hatten. Und wer dagegen opponierte, der konnte unter Berufung auf §106 Strafgesetzbuch der DDR wegen "Staatsfeindlicher Hetze" verfolgt werden. Ein Gummiparagraph, mit dem sich beinahe jede kritische Äußerung ahnden ließ.

Redakteure und Autoren waren nicht frei in ihrer Wortwahl. Bestimmte Begriffe waren tabu, wer sie dennoch gebrauchte, erregte Verdacht. Wie der ehemalige Nachrichtensprecher Klaus Feldmann sich erinnert, gehörte dazu auch der Begriff "Mauer", erlaubt war nur die Benutzung des Begriffes: "antifaschistischer Schutzwall".

Die Tagesschau vom 21. August 1968 berichtet über den Einmarsch von Truppen der Warschauer-Pakt-Staaten in der Tschechoslowakei. Doch die DDR-Medien schweigen die Vorkommnisse im Nachbarland entweder tot oder denunzieren sie als schändliche Taten des Klassenfeindes.

Russische Panzer umgeben von Menschen in Prag am 21. August 1968, historisch bekannt als der "Prager Frühling" (Foto: IMAGO, Imago CTK Photo)
Niederschlagung des "Prager Frühlings": Sojwetische Panzer am 21. August 1968 in Prag

Dabei wurde der Prager Frühling zum "Trauma" der SED-Partei- und Staatsführung. Denn die Regimekritiker in der Tschechoslowakei, die sich gegen die von Moskau verordnete Parteidiktatur im eigenen Land wehrten, verbreiteten ihre Parolen nicht nur auf der Straße. Die Reformer saßen auch im Rundfunk und sendeten ihre Ideen ins ganze Land. Und was in Prag passieren konnte, so fürchtete die DDR-Führung, könnte auch bald in Ost-Berlin geschehen.

Stasi-Mitarbeiter arbeiten verdeckt in Redaktionen

So wurden einerseits in verstärktem Maße inoffizielle geheime Mitarbeiter angeworben, die im Rundfunk und Fernsehen tätig waren, um zu verhindern, was in Prag passiert war. Und andererseits machten Menschen Sendungen, die davon keine Ahnung hatten. Mitunter war es Erich Honecker selbst, der Meldungen redigierte, wenn es ihm notwendig erschien.

Nach der Wende erreicht "Aktuelle Kamera" Einschaltquote von 49 Prozent

Der Einfluss der Partei bricht schlagartig zusammen, als sich im Herbst 1989 ein revolutionärer Wandel vollzieht. Viele Journalistinnen und Journalisten in der DDR, die mit dem Medienwesen unzufrieden waren, erlebten nun mit dem Mauerfall eine Situation, in der sie sehr viel experimentieren konnten. Plötzlich konnten sie in Fernsehen und Radio Berichte machen, die vorher unmöglich gewesen waren.

Blick in das Studio der Nachrichtensendung "Aktuelle Kamera" des Deutschen Fernsehfunks der ehemaligen DDR während einer Sendung am 7.12.1990 (Foto: dpa Bildfunk, ADN Zentralbild / dpa)
Blick in das Studio der Nachrichtensendung "Aktuelle Kamera" des Deutschen Fernsehfunks der ehemaligen DDR während einer Sendung am 7.12.1990

Seit der politischen Wende erreichte die DDR-Nachrichtensendung "Aktuelle Kamera" eine Einschaltquote von über 49 Prozent, im Vergleich zu 3 Prozent noch kurz vor dem Mauerfall. Mit dem Ende der DDR kommt allerdings auch das Ende der Sendung. Sie wird abgewickelt, wie so viele Betriebe im Osten. Am 14. Dezember 1990 schließlich ist die "Aktuelle Kamera" Geschichte.

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