Glenn Schellenberg ist ein angesehener Musikforscher, der schon vor 20 Jahren den sogenannten Mozart - Effekt als Unsinn entlarvt hat. Der kanadische Psychologe und Komponist kämpft seit Jahren gegen übertriebene Behauptungen, nach denen Musikunterricht andere Fähigkeiten wie Intelligenz, Sprachgefühl oder mathematisches Denken fördert.
Musik-macht-schlau-Studien sind wissenschaftlich nicht haltbar
Denn die meisten dieser Studien basieren nicht auf strengen wissenschaftlichen Experimenten, kritisiert Schellenberg. Dafür müssten Kinder zufällig ausgewählt werden, ein Teil von ihnen müsste dann jahrelang Musikunterricht erhalten, der andere Teil gar keinen. So ein Versuch ist bis heute nicht praktikabel.

Stattdessen werden für die Studien Kinder verglichen, die bereits ein Instrument lernen, mit anderen, die keinen Musikunterricht haben. Dabei finden die Forscher Zusammenhänge, sogenannte Korrelationen. Aber aus Korrelationen kann man nicht auf Kausalität, also einen ursächlichen Zusammenhang schließen, warnt Schellenberg:
Die Übung macht nicht automatisch klüger und fördert auch nicht die Sprachfähigkeit oder das Gedächtnis. Es könnte sein. Ich glaube, dass Kinder mit hohem IQ in einer ganzen Reihe von Tests besser abschneiden und auch eher Musikstunden nehmen.
Musik und Intelligenz treten oft gemeinsam auf, bedingen sich aber nicht
Schellenberg wollte herausfinden, wie häufig Musikforscher diesen logischen Fehlschluss ziehen und von einer Korrelation auf eine Kausalität schließen. Sein Team fand in den letzten achtzehn Jahren 144 Studien von Psychologen und Neurowissenschaftlern, die eine solche Korrelation zwischen Musikunterricht und einer außermusikalischen Fähigkeit herstellten. In der Mehrheit der Arbeiten wurde in der Überschrift oder in der Zusammenfassung behauptet, der Musikunterricht sei die Ursache für die verbesserten Fähigkeiten.

Gerade Hirnforscher tappen oft in die logische Falle
sagt Schellenberg. Während die Psychologen den Fehler in der Hälfte der Arbeiten machten, waren es bei den Neurowissenschaftlern drei Viertel. Das klingt erst einmal seltsam: Während die Psychologie sich oft vorhalten lassen muss, sie sei doch keine richtigen Naturwissenschaft, präsentiert sich die Hirnforschung doch in der Regel empirisch und objektiv.
Die Hirnforschung erklärt uns immer wieder, dass wir unser Gehirn durch Übung verändern können, so wie sich ein Muskel durch Gewichtstraining verändert. Tatsächlich hat man auch schon solche Hirnveränderungen in Musikern nachgewiesen. Bei Geigern wächst die Hirnregion, die für die Feinmotorik der linken Hand zuständig ist – mit ihr greifen sie die Töne auf dem Instrument. Das lässt sich eindeutig belegen. Problematisch ist aber die Behauptung eines Transfers – dass die Übung Auswirkungen auf Fähigkeiten hat, die mit Musik nichts zu tun haben.
Eltern glauben gern, dass Musikunterricht dem Nachwuchs auf die Sprünge hilft
Schließlich ist der Gedanke an einen Transfer von Musikunterricht hin zu Intelligenz verlockend: Aber wenn man den Transfer wirklich im Labor studieren will, dann funktioniert er nur mit Fähigkeiten, die sehr ähnlich sind. Dieser weite Transfer, etwa von Musikunterricht auf räumliches Vorstellungsvermögen – dafür gibt es einfach keine Indizien, das ist praktisch unmöglich. Dabei finden jüngere Studien der Verhaltensgenetik immer mehr Anzeichen für erblich angelegte Voraussetzungen zum Lernen.

Es liegt in den Genen, ob man überhaupt übt, betont Glenn Schellenberg. Möglicherweise gibt es genetische Unterschiede, die sowohl für eine ausgeprägtere Intelligenz bei Kindern sorgen als auch ihr Interesse an der Beschäftigung mit Musik fördern. Dann hätten beide Fähigkeiten eine gemeinsame Grundlage, die schon vor dem Üben vorhanden war.