Stechmücke (Foto: picture-alliance / dpa, picture-alliance / dpa -)

Insektensterben

"Mückenbekämpfung ist unschädlich!"

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Gábor Paál
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Candy Sauer

Gábor Paál im Gespräch mit Prof. Norbert Becker, wissenschaftlicher Direktor der Kommunalen Aktionsgemeinschaft zur Bekämpfung der Schnakenplage e.V. (KABS)

Ein Sommer ohne Schnakenstiche - super! Doch ist Mückenbekämpfung angesichts des beobachteten Insektensterbens ökologisch vertretbar? BUND und Grüne haben Bedenken: Auch Stechmücken seien Teil natürlicher Nahrungsketten. Zudem sei unklar, ob bei der Stechmückenbekämpfung nicht auch andere Insekten getroffen werden. Die KABS - zuständig für die Mückenbekämpfung am Oberrhein - hält die Sorgen für unbegründet. Und sie weitet die Aktivitäten auch auf die Tigermücke aus - mit sterilen Männchen.

Am Oberrhein gibt es diesen Sommer kaum Schnaken - liegt das daran, dass Sie die Stechmücken so gut bekämpft haben oder liegt es am Insektensterben?

Es liegt in erster Linie daran, dass wir ein normales Jahr haben, gekennzeichnet durch Niedrigwasser-Phasen des Rheines. Unsere Rhein-Schnaken entwickeln sich nämlich immer dann, wenn der Rhein Hochwasser hat. Und je höher die Hochwasserspitzen, desto mehr Rhein-Schnaken kommen zur Entwicklung.

Dieses Jahr haben wir erst zwei kleinere Spitzen gehabt: im Mai und Juni. Wir hatten bisher also wenig Hochwasser und konnten beide Spitzen gut bekämpfen, insofern spürt man die Stechmücken kaum bzw. wir sind fast frei von Stechmücken. Wenn man in Ketsch oder in Philippsburg spazieren geht, spürt man nur hie und da eine Stechmücke.

In einzelnen Teilen Deutschlands gibt es Hinweise darauf, dass die Zahl der Insekten seit vielen Jahren deutlich zurückgegangen ist. Ist denn die Art der Insektenbekämpfung, wie Sie sie betreiben, ökologisch noch vertretbar?

Ich bin Dozent für Ökologie an der Uni Heidelberg und mache gerade einen "Biodiversitätskurs Oberrhein" mit Studenten. Wir haben ein sehr scharfes Auge auf die Insektenwelt bzw. auf die Biodiversität in dieser Region. Wir sind bei der KABS angetreten, um die Stechmückenbekämpfung biologisch zu machen und so zu gestalten, dass die Biodiversität insgesamt nicht gefährdet wird. Wir reduzieren nur dort, wo es um Mücken geht, die den Menschen belästigen. Es gibt sehr viele Mücken, die den Menschen nicht belästigen; die werden ausgespart von der Bekämpfung. Wir haben unsere Ergebnisse in Cambridge publiziert und können nachweisen, dass durch unsere Art der Bekämpfung die Biodiversität nicht tangiert wird.

Außerdem haben wir ein Begleitprogramm zur Stechmückenbekämpfung. Dort überwachen wir die Insekten jedes Jahr, beispielsweise mit besonderen Lichtfallen. Wir können das allgemeine Insektensterben auch bezeugen: Wir stellen fest, dass in den letzten Jahren vor allem die Nachtschmetterlinge massiv zurückgegangen sind; nachtaktive Insekten überhaupt. Das hat aber ganz andere Ursachen als die Stechmückenbekämpfung und ist vorwiegend auf die Landschaftsgestaltung zurückzuführen. Wir haben kaum noch Ackerrandstreifen mit blühenden Pflanzen usw. Die Landschaft ist in der Regel sehr monoton. Aber die Stechmückenbekämpfung hat damit nichts zu tun. Das können wir mit harten Daten nachweisen.

Der BUND sieht das etwas anders. Er sagt, das BTI (Bacillus thuringiensis israelensis) - das Bakterium , das sie zur biologischen Stechmückenbekämpfung einsetzen, könnte für andere Insekten schädlich sein. Wie können Sie das ausschließen?

Das können wir absolut ausschließen, denn es werden nur Mückenlarven getroffen. Das ist international anerkannt. Wir haben vor 40 Jahren BTI von der Theorie in die Praxis überführt. Wir waren die ersten, die diese biologische Bekämpfung in Europa praktiziert haben. Heute wird es in vielen Ländern gemacht, z.B. in den USA. Es gibt sehr viele Institute, die das ebenfalls untersuchen, und wir können eindeutig sagen, dass nur Mückenlarven getroffen werden.

Zuckmückenlarven, die ebenfalls in die Mückenfamilien gehören, sollen nicht geschädigt werden; deren Brutplätze haben wir alle kartiert. Die Brutplätze der Zuckmücken werden von der Bekämpfung ausgespart; dort wird kein BTI ausgebracht. Die Zuckmückenlarven entwickeln sich massenhaft vorwiegend im Schlamm von Altrheinen, verschlammten Baggerseen usw. Dort kommt kein BTI hin. Wir haben Untersuchungen in bekämpften Gebieten gemacht und können sagen, dass die Zuckmückenfauna in beiden Gebieten noch gleichermaßen vorhanden ist. 

Selbst wenn das BTI nur die Stechmücken trifft, erfüllen sie nicht auch eine ökologische Funktion? Sie sind ja ihrerseits Teil der Nahrungskette von anderen Tieren, beispielsweise von Vögeln.

Auch das haben Doktoranden von uns untersucht. Wir konnten eindeutig nachweisen, dass z.B. die Stechmücken keine Nahrungsgrundlage für Schwalben sind, auch nicht für Fledermäuse oder Amphibien. Da sind ganz andere Mücken wichtig - wie eben die Zuckmücke, die in Dauergewässern brüten, in verschlammten Altwässern. Die sind jedes Jahr in gleichem Maße da, weil die Gewässer ja immer da sind. Aber die Hochwässer bleiben oft aus, wie z.B. in diesem Jahr - und dann gehen auch die Mücken zurück. Trotzdem hatten Schwalben offenbar genug Nahrung. Die Stechmücken sind also keine essenzielle Nahrungsgrundlage. Uns wird zwar immer wieder vorgeworfen, unsere Forschung sei nicht unabhängig. Aber das stimmt nicht. Die Untersuchungen werden von der Universität Heidelberg gemacht, z.B. auch im Rahmen von Doktorarbeiten, sie werden von vier Prüfern abgenommen.

Sie bekämpfen nicht nur die heimische Stechmücke, sondern auch die Tigermücke. Die kann tropische Krankheitserreger nach Süddeutschland bringen, z.B. Dengue. Ist die Gefahr durch die Tigermücke tatsächlich so groß?

Tigermücke (Foto: SWR, SWR -)
Tigermücke

Die Tigermücken sind 1990 massiv in Italien eingeführt worden und haben sich dort massiv verbreitet. Wenn wir heute in Italien gestochen werden – am Tag beispielsweise –, ist es in der Regel eine Tigermücke, Aedes albopictus. Die hat ihre Heimstatt in Südostasien bis China und Malaysia. Sie hat sich nach Japan verbreitet, von dort in die USA. Von dort wiederum wurde sie mit Altreifen in Containern nach Italien eingeführt. Die Überlegung war, dass sie dann per Pkw und Lkw nach Deutschland kommt. Daher haben wir 2005 ein Überwachungssystem entlang der A5 eingerichtet. Tatsächlich haben wir 2007 erstmals die Mücke nördlich von Weil am Rhein festgestellt. 2011 ist ein Nationales Konsortium gegründet worden unter der Federführung vom Bernhard-Nocht-Institut, auch das Umweltbundesamt ist involviert. Da konnte unsere Arbeitsgruppe nachweisen, dass entlang der A5 die Tigermücke schon an jedem zweiten, dritten Rastplatz vorkommt.

Noch gravierender ist, dass uns 2014 Mücken aus Freiburg zugeschickt wurden; das waren auch Tigermücken. 2015 konnten wir nachweisen, dass die dort durch Lkw – von Italien kommend – eingeführt werden. Und zwar werden Züge mit Lkw befrachtet und die kommen nonstop auf dem Zug nach Freiburg zum Terminal, werden entladen und dort gibt es eine Gartenanlage. Die Mücken sind aus den Lkw in die Gartenanlage und haben sich dort massiv vermehrt. Dort bekämpfen wir im Moment massiv. 2015 wurde in Heidelberg eine Tigermücke gemeldet. 2016 haben wir bekämpft und haben auch 2016 in Heidelberg schon mit der sogenannten SIT-Methode begonnen, das heißt Sterile-Insekten-Technik. Es werden sterile männliche Mücken, Tigermücken ausgesetzt.

Sie sterilisieren dabei die Männchen, so dass sie sich zwar paaren, aber keine Nachkommen bekommen.

Richtig. Wir haben zunächst die Eier unserer Mücken nach Bologna geschickt. Die wurden dort millionenfach vermehrt und zunächst mit einem Sieb nach Geschlechtern getrennt: Die männlichen Puppen sind kleiner als die weiblichen Puppen; wenn man die aussiebt, hat man nur männliche Puppen. Diese kann man mit einer Gammabestrahlung sterilisieren. Das wird in Krankenhäusern gemacht, wo auch Instrumente sterilisiert werden. Sie werden 20 Minuten bestrahlt und das Sperma dieser männlichen Mücken ist dann zerstört. Paaren können sich die Mücken noch, aber sie zeugen keine lebensfähigen Nachkommen. Diese Mücken werden in diesen Tagen in Bologna abgeholt.

BTI, eingebracht in Eisgranulat (Foto: picture-alliance / dpa, picture-alliance / dpa -)
BTI, eingebracht in Eisgranulat. Mithilfe von Hubschraubern wird das Mittel ausgebracht.

Die Sterilisierung der Männchen ist jedoch erst der zweite Schritt. Zunächst töten wir mit herkömmlichen Bekämpfungsmethoden alles, was wir an Tigermücken sehen. Dazu gehört die Beseitigung der Brutplätze, Regenfässer werden abgedeckt, sodass die Mückenweibchen nicht zur Eiablage kommen. Und es werden diese BTI-Tabletten eingesetzt. So reduzieren wir die Wildpopulation schon sehr stark, ich denke, wir liegen da bei etwa 90 Prozent. Trotzdem sind die Mücken noch dagewesen. Jetzt hoffen wird, dass wir mit der SIT-Methode den Rest der Population in die Knie zwingen können.

Wir setzen etwa 3.000 sterile Männlein pro Hektar aus, da hat man ein gutes Verhältnis zwischen sterilen Männchen und Wildmännchen – das ist also ungünstig für die Wildmännchen. Die Chance, dass ein Wildweibchen sich mit einem sterilen Männchen paart, ist relativ groß. Wir sagen, diese sterilen Männchen sind Helfer auf Flügeln und hoffen, dass die Population zusammenbricht. Das ist eine sehr elegante Art der Bekämpfung.

Wir haben das vor 30 Jahren schon einmal mit unseren Rheinschnaken versucht, da hat es nicht funktioniert, weil die Rheinschnake sich in Massen vermehrt und sehr stark wandert. Aber die Tigermücke in Heidelberg, Freiburg oder Sinzheim, das sind die drei Lokalitäten, wo wir sie nachgewiesen haben, ist relativ stationär – eine Art Inselvorkommen. Das kann man sehr gut mit der SIT-Methode bekämpfen.

Wenn das Problem sich im Zuge des Klimawandels verschärft, wenn also noch mehr Tigermücken nach Deutschland kommen, könnten Sie dann damit auch Schritt halten?

Wir müssen die Kapazität ausbauen. Wir wollen entweder noch dieses Jahr oder im nächsten Jahr evtl. auch in Freiburg mit der SIT-Methode bekämpfen. Wenn wir sehen, dass die traditionelle Bekämpfung in Freiburg nicht so weit führt, dass die Population zusammenbricht, dann werden wir da auch SIT anwenden. Wir haben aber in Freiburg erreicht, dass wir alle Anwesen begehen können. Das war das große Problem im letzten Jahr, dass immer wieder Gartenanlagen oder Häuser nicht betreten werden konnten, weil die Leute das nicht wollten. Da reichen schon ein paar Gartenanlagen mit Regenfässern, um das Gebiet mit Tigermücken zu verseuchen. Aber jetzt haben wir also die Genehmigung für alle Gartenanlagen. Wir arbeiten sehr eng mit dem Ordnungsamt in Freiburg und auch dem in Heidelberg zusammen sowie mit den Gesundheitsämtern. Und wenn ein Chikungunya-, Dengue- oder Zika-Fall gemeldet wird, dann wird auch im Umkreis von etwa 100 Metern um dieses Wohnhaus massiv bekämpft oder nachgeschaut, ob Tigermücken da sind, sodass wir die Krankheiten im Auge haben.

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