Kissometer (Foto: picture-alliance / dpa, picture-alliance / dpa -)

Micropia

Unsichtbares sichtbar machen

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AUTOR/IN
Nicola Wettmarshausen
ONLINEFASSUNG
Ralf Caspary
Ralf Caspary (Foto: SWR)
Ralf Kölbel
Ralf Kölbel, Online-Redakteur bei SWR Wissen aktuell sowie Redakteur bei SWR2 Wissen. (Foto: SWR, Christian Koch)

Zoo für Mikroben

Zoodirektor Haig Balian trommelte niederländische Wissenschaftler, Designer und Filmleute zusammen und kreierte den weltweit ersten Zoo für Mikroben in Amsterdam.

Wenn man bei einer Station dieses Zoos auf einen Knopf drückt, dann riecht es intensiv nach frischem Waldboden. Der Geruch wird durch Bakterien erzeugt, die man bestaunen kann. Haig Balian hatte die Idee zu diesem Projekt, als er 2003 Chef bei "Artis" wurde, dem traditionsreichen Amsterdamer Zoo für die großen Tiere: "Man denkt immer, Elefanten oder Wale sind die großen Tiere, aber mir wurde immer klarer: die großen Lebewesen das ist etwa Schimmel. Es gibt Schimmelpilze, die so groß sind wie ein Fußballfeld. Das ist faszinierend. Man kommt in eine Welt, wo alle Maßstäbe neu definiert werden." Seine Mission: Menschen etwas über Mikroben zu erzählen.

Bakterien in Micropia (Foto: IMAGO, Imago/Fotograf XY -  imago stock&people)
Leuchtende Bakterien

Besonders denen, die sich dafür überhaupt nicht interessieren. Balian wollte zum Beispiel seinen Kindern mal ganz anschaulich zeigen, was auf mikrobieller Ebene passiert, wenn sie mit 14 oder 15 Jahren ihren ersten Zungenkuss haben. Aus dieser Idee entstand dann in "Micropia" das Kiss-O-Meter: Auf einer Bühne können sich zwei Menschen küssen und werden dabei gefilmt. Anschließend sehen sie, wie viele Bakterien sie gerade ausgetauscht haben.

Inszenierungen wie im Film

Übrigens: Wo kommen Bakterien sehr häufig vor? In dem, was Tiere und Menschen so hinterlassen. "Micropia" beherbergt eine umfangreiche Kollektion aus Exkrementen: Lemurenkot und Elefantenäpfel, Storchen-, Möwen- und Baby-Kot, alles wird ausgeleuchtet und befindet sich natürlich hinter Glas  – der Nase wegen. Laborleiter Wiebe Sloot erzählt, dass er die Exkremente aus dem Zoo gesammelt habe und dass sie jeweils zur Hälfte aus Bakterien bestehen würden. Es seien für jede Tierart verschiedene Bakterien, das werde in dem Zoo gezeigt. "Micropia" schafft es, beim Besucher immer wieder Neugier zu wecken. Mit einem guten Sinn für Inszenierung.

Besucher Micropia (Foto: IMAGO, Imago/Fotograf XY - imago stock&people)
Micropia-Besucher

Direktor Haig Balian war Filmproduzent und brachte seine Expertise in Dramaturgie und Inszenierung in dieses Projekt mit ein. Und so fährt der Besucher am Anfang in den ersten Stock mit einem Aufzug und taucht gleich in eine andere geheimnisvolle Welt ein. Es ist dunkel wie im Kino. Einzelne Spotlichter beleuchten Grünalgen oder wachsende Schleimpilze. Ein Film dokumentiert im Zeitraffer, wie ein Krokodil, ein Schwan oder ein Zebra von Bakterien und anderen Mikroben zersetzt werden. Die Mischung aus Gruselkabinett, Labor und Kino ist es, die fasziniert. Selbst die wissenschaftliche Arbeit ist Teil der Inszenierung. Durch eine gelbe Panoramaglasscheibe, die wie eine Kinoleinwand wirkt, sieht der Besucher Wiebe Sloot und seinen Kollegen bei der Arbeit zu. Über 350 verschiedene Mikrobenarten züchten sie für die Ausstellung: Pilze, Bakterien und knuffige Bärtierchen.

Micropia Besucher (Foto: IMAGO, Imago/Fotograf XY - imago stock&people)
Faszination für den Mikrokosmos

 Der Zoo ist perfekt für eine erste, unvoreingenommene Begegnung mit dem Mikrokosmos.

Das Ich und seine Mikroben

Haig Balian geht es aber noch um eine weitere Komponente: "Wir haben ein Bild von uns selbst, von unserem Ich, das eine in sich abgeschlossene Einheit ist, eine Festung, in der nichts Fremdes vorkommt. Aber das stimmt nicht, wir haben Milliarden kleiner Organismen in und auf uns. Die funktionieren in uns. Wir könnten nicht essen, wir können nicht leben, wir könnten nichts tun ohne sie –  wir wären tot! Und dieser Gedanke, dass da eine ganze Welt ist, die in dir sitzt, das will ich mit Micropia vermitteln".