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Mediation statt Gerichtsstreit – Familienkonflikte lösen

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Katja Hanke
Katja Hanke (Foto: Katja Hanke)
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Justina Bretzel
Candy Sauer

Familiäre Zerwürfnisse enden häufig im erbitterten Rechtsstreit. Mediation hilft, eine Einigung zu finden, mit der die Betroffenen gut leben können. Das gelingt jedoch nur, wenn alle mitmachen.

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Trennung oder Scheidung – führt (k)ein Weg an der Anwaltskanzlei vorbei?

Wenn Paare sich trennen, ist das ein schwieriger und meist auch zerstörerischer Prozess. Verletzte Gefühle, üble Vorwürfe und zunehmendes Misstrauen erschweren wichtige Entscheidungen, die getroffen werden müssen.

Streit und Scheidung in der Familie. Aufteilung der Kinder zwischen den Eltern bei einer Scheidung. (Foto: IMAGO, IMAGO / agefotostock)
Eine Trennung ist eine enorme motionale Belastung für Familien. Hinzu kommen etliche organisatorische Herausforderungen: Was geschieht mit den Kindern? Wer bekommt das Haus? Wer zahlt wem Unterhalt?

Nicht selten spitzen sich familiäre Zerwürfnisse so zu, dass sie vor Gericht landen. Schnell wird der Prozess zum erbitterten Kampf um den richterlichen Zuspruch – eine nervenaufreibende und kostspielige Angelegenheit.

Mediation – Modell aus den USA als Alternative zum Gerichtsprozess

Dabei geht es auch anders, verträglicher und weniger zerstörerisch. Mediationen sind Gespräche, die von einer neutralen dritten Person moderiert werden. Mediative Verfahren wurden speziell für die Lösung von Familienkonflikten entwickelt. Sie stammen ursprünglich aus den USA, werden seit den 1980er-Jahren aber vermehrt auch in Deutschland angewendet.

Bei einer Mediation kommen alle Streitparteien freiwillig zusammen. Im gemeinsamen Gespräch können sämtliche Beteiligten ihre Sicht darlegen. Insbesondere soll es Raum geben, Emotionen, Bedürfnisse und Erwartungen an den Konfliktausgang auszudrücken. Das ist ein bedeutender Unterschied zum Gerichtsprozess.

Der Unterschied ist, dass es in einem Gerichtsverfahren Sieger und Besiegte gibt und in einem Mediationsverfahren geht es ja darum, dass die Beteiligten möglichst gewinnen und möglichst wenig Federn lassen müssen.

Gefühle sind vor Gericht irrelevant – aber im Konflikt geht es oft genau darum

Emotionale Kränkungen, persönliche Vorlieben und Abneigungen sind nicht justiziabel, also für das richterliche Urteil irrelevant. Dabei geht es in familiären Auseinandersetzungen meist genau darum. Das erklärt Peter Kaiser. Er ist emeritierter Professor für Psychologie und Pädagogik an der Universität Vechta und forscht seit vielen Jahren zur Mediation.

Statue Justizia (Foto: SWR)
Vor Gericht irrelevant: Verletzte Gefühle beeinflussen das richterliche Urteil nicht. Häufig fühlen sich die einzelnen Streitparteien deshalb unverstanden.

In der Mediation ist das eben anders. Es geht darum, sich der Perspektive des Gegenübers zu öffnen und den eigenen Standpunkt zu hinterfragen. Das gelingt nur durch aktives Zuhören. Alle Beteiligten müssen selbstreflektiert sein und eine hohe Bereitschaft mitbringen, sich zu einigen – ohne in Schuldzuweisungen oder verletzten Gefühlen zu verharren.

Schlüsselrolle: die allparteiliche Drittperson

Ein hoher Stellenwert kommt der neutralen dritten Person zu. Sie ist vorurteilsfrei und steht dem Ausgang des Konflikts offen gegenüber. Die Mediatorin oder der Mediator macht keine eigenen Vorschläge. Verhandeln müssen die Betroffenen also selbst.

Dieses Prinzip der Allparteilichkeit ist in Anwaltskanzleien kaum gegeben. Denn hier sorgt das sogenannte Haftungsrecht dafür, dass Mandantinnen und Mandanten stets zu ihrem größtmöglichen Vorteil beraten werden. Entsprechend hoch ist das Misstrauen gegenüber der anderen Seite. Das macht eine Kompromisslösung nahezu unmöglich.

Das Ziel der vermittelnden Person ist die reibungslose Kommunikation am Verhandlungstisch. Damit diese gelingt, ist ein hohes Maß an psychologischen Kenntnissen und kommunikativen Fähigkeiten erforderlich.

Eine Frau übernimmt die Rolle der Vermittlerin: Die unparteiische Mediatorin vermittelt im Streitgespräch. Dabei achtet sie darauf, dass alle gleichermaßen zu Wort kommen. (Foto: IMAGO, imago images/MASKOT)
Die unparteiische Mediatorin vermittelt im Streitgespräch. Dabei achtet sie darauf, dass alle gleichermaßen zu Wort kommen.

Je nachdem, wie gut das funktioniert und wie komplex der Konflikt ist, kann eine Mediation mehrere Monate dauern – aber auch nur drei Sitzungen. Im Idealfall findet sich zu allen Streitpunkten eine gemeinsame Lösung. Eine notarielle Beglaubigung macht diese rechtlich bindend und bietet den Beteiligten mehr Sicherheit.

Immer mehr Unternehmen setzen auf Mediation

Nicht nur im Familienkontext hat sich die Mediation bewährt. Auch in der Wirtschaft ist das Interesse groß, Konflikte außergerichtlich zu lösen. Denn das ist deutlich günstiger und weniger zeitaufwändig.

Zwei Männer in Anzügen streiten am Arbeitsplatz: Auch innerbetriebliche Strukturen bieten hohes Konfliktpotential. Eine Mediation kann helfen, dass es am Arbeitsplatz wieder friedlich zugeht. (Foto: IMAGO, mago/Panthermedia)
Auch innerbetriebliche Strukturen bieten hohes Konfliktpotential. Eine Mediation kann helfen, dass es am Arbeitsplatz wieder friedlich zugeht.

Ulla Gläßer ist Professorin für Mediation, Konfliktmanagement und Verfahrenslehre an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt an der Oder. Als Wirtschaftsmediatorin kennt sie die typischen Streitigkeiten, die am Arbeitsplatz entstehen können, nur zu gut: Stress wegen der Arbeitsteilung oder der Urlaubsplanung, Uneinigkeit darüber, wer den Chefposten übernimmt. Gerichtliche Auseinandersetzungen helfen hier nur bedingt weiter, erkennt Ulla Gläßer:

Es geht letztlich nicht um eine Abfindungssumme, sondern es geht um mangelnde Wertschätzung für jahrzehntelange Betriebstreue oder es geht um Nicht-gehört-werden mit Änderungsvorschlägen. Also es geht um Dinge, die nicht justiziabel sind.

95 Prozent aller gerichtlichen Mediationen sind erfolgreich

Allerdings eignen sich mediative Methoden nicht immer. Zum Beispiel, wenn eine Seite partout nicht von den Vorwürfen ablässt oder die eigenen Interessen stärker vertreten kann. Auch gewalttätige Konflikte schließen eine Mediation aus. In diesen Fällen ist ein Gerichtsprozess die bessere Alternative.

Einen Mittelweg stellt die gerichtliche Mediation dar. Hier übernehmen entsprechend weitergebildete Richterinnen und Richter die vermittelnde Rolle. So auch in Brandenburg. 2009 als Pilotprojekt an einigen Gerichten im Land gestartet, hat sich die gerichtliche Mediation mittlerweile etabliert.

Von 2010 bis 2013 haben Peter Kaiser und sein Team rund 300 gerichtliche Mediationen in Kiel untersucht – nicht nur Familienstreitigkeiten, sondern auch Fälle aus dem Zivilrecht oder aus Miet-, Vertrags- und Baurecht. Das Ergebnis klingt vielversprechend: Drei Viertel aller Befragten waren auch ein Jahr später mit der schriftlichen Lösungsvereinbarung noch zufrieden.

Dass eine langfristige Streitschlichtung gelingt, hängt auch von der Persönlichkeit der bzw. des Vermittelnden ab, so Kaiser. Viel Geduld und Einfühlungsvermögen sind der Schlüssel zu einer erfolgreichen Mediation:

Wenn jemand sehr schüchtern ist zum Beispiel, dann muss der Mediator schon sehr viel Feingefühl haben, um zu erspüren, dass da jemand nicht rausrückt mit dem, was ihm auf der Seele liegt.

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