Netzkultur

Toxischer Tiktok-Trend #LuckyGirlSyndrome: Wenn Erfolg nur eine Frage des Mindsets ist

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AUTOR/IN
Kristine Harthauer
ONLINEFASSUNG
Lydia Huckebrink

„Ich bekomme alles, was ich will. Die Dinge entwickeln sich immer zu meinen Gunsten“: Auf Tiktok und Instagram verkaufen Influencerinnen das #LuckyGirlSyndrome. Wer immer wieder das Mantra des Erfolgs wiederhole, gelange zu Traumjob, Traumhaus, Traumleben. Doch was wie eine Lehrstunde in positivem Denken daherkommt, kann extrem schädlich sein für die Psyche, warnen Psycholog*innen.

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Das Leben ist leicht

Das Leben kann so einfach sein, für ein Lucky Girl. Auf TikTok wurden die Videos mit dem Hashtag #LuckyGirlSyndrome mehr als 600 Millionen Mal angeklickt.

In den kurzen Clips erzählen meist junge Frauen, wie sie zu ihrem Traumjob, ihrer Traumimmobilie oder ganz allgemein zu einem glückserfüllten Leben gekommen sind.

Glück kann man sich einreden

Der Weg dahin: immer und immer wieder die gleichen Sätze Mantra-artig wiederholen. 

 „Es ist schon so, dass wir uns psychologisch gesehen bestimmte Dinge vorstellen oder einreden können“, sagt die Psychologin Catarina Katzer. Sie leitet in Köln das Institut für Cyberpsychologie und beschäftigt sich viel mit der Wirkung von digitalen Trends auf unsere Psyche. 

„Ich bekomme alles, was ich will. Die Dinge entwickeln sich immer zu meinen Gunsten. Ich bin immer am richtigen Ort, zur richtigen Zeit. Ich habe sooo viel Glück.“

Stichwort selbsterfüllende Prophezeiung: „Man denkt, man glaubt daran, dass etwas eintreten wird – aber ich muss natürlich auch dafür arbeiten – und dann findet es tatsächlich statt.“, sagt Katzer. Gegen positives Denken sei an sich nichts einzuwenden.

Hat das digitale Ich noch mit der Realität zu tun?

Die Gefahr sieht die Sozialpsychologin Catarina Katzer in der „digitalen Glücksfalle“: Nach außen hin präsentieren die Lucky Girls ihr leichtes, glückerfülltes Leben. Das könne zu einer Falle werden, wenn das echte Leben vom digitalen Ich zu sehr abweicht: 

„Wenn die Identität im Netz, dieses Glücklichen gar nicht mit meinem echten Leben übereinstimmt, dann wird es umso deprimierender, das heißt, ich kann schneller in eine Depression geraten. Das ist extrem problematisch für das Selbstwertgefühl.“ 

Problematisch auch für das Selbstwertgefühl der Zuschauerinnen, die sich die TikTok-Clips ansehen und sich selbst unter Druck setzen, diesem digitalen Glückstrend nachzueifern.

 Lucky ist, wer weiß, jung und hübsch ist

Noch etwas fällt auf: Die Lucky Girls, deren Clips Tausende von Likes und Herzchen bekommen, sind überwiegend weiße, gutaussehende, junge Frauen.

„Da werden die Leute vergessen, denen es nicht so gut geht. Die nicht so hübsch sind, nicht am Strand liegen können, nicht so viel Geld haben“, sagt Katzer. Das Gefühl, nicht dazuzugehören, könne sehr stark werden. „Das kann auch extrem schädlich für die Psyche sein.“

So schlecht geht es uns ja gar nicht

Während Soziale Medien immer noch unrealistische Schönheitsideale predigen, kapern sie mit dem Lucky Girl-Syndrom nun die ganze Lebenseinstellung junger Frauen. Aber ist es nicht tatsächlich so, dass man sich im Alltag viel leichter auf das Negative fokussiert, zu oft zweifelt und zögert?

„Vielleicht sind diese Videos auch ganz gut, weil sie zeigen: Mein Gott, so schlecht geht es uns ja gar nicht. Ich kann vielleicht doch einiges beeinflussen, wenn ich mein Glück selber in die Hand nehme“, sagt Catarina Katzer. Gerade in der heutigen Zeit, die so kritisch und krisenbehaftet sei, könne es auch wohltuend sein, sich auf positive Dinge zu fokussieren.  

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