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Karriere für Wissenschaftlerinnen – Wie können Unis Frauen fördern?

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Anja Schrum und Ernst-Ludwig von Aster
Ernst-Ludwig von Aster und Anja Schrum (Foto: SWR, Privat)
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Ulrike Barwanietz
Candy Sauer

Nur jede vierte Professur ist mit einer Frau besetzt. Dabei studieren und promovieren Frauen ähnlich häufig wie Männer. Wie gelingt mehr Geschlechtergerechtigkeit an Universitäten?

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Nur jede 4. Professur in Deutschland ist mit einer Frau besetzt

Fast so viele Frauen wie Männer promovieren heute in Deutschland. Danach aber verschwinden vor allem die Frauen aus der Wissenschaftslandschaft. Im Durchschnitt ist in Deutschland heute nur jede vierte Professur mit einer Frau besetzt. Wenn die Stellenbesetzung in dem bisherigen Tempo weitergeht, dann wird eine 50:50-Quote bei den W3-Professuren erst in 50 Jahren erreicht sein.

Vermeintliche Unvereinbarkeit von Familie und wissenschaftlicher Tätigkeit

Eva Wegrzyn am „Institut für Arbeit und Qualifikation“ der Universität Duisburg-Essen hat untersucht, warum Wissenschaftlerinnen es schwerer haben als ihre männlichen Kollegen. Die Sozialwissenschaftlerin forscht in der Arbeitsgruppe von Professorin Ute Klammer. Für eine Studie rund ums „Gleichstellungwissen und Gleichstellungshandeln“ wurden jeweils 20 Professorinnen und 20 Professoren ganz unterschiedlicher Fachbereiche an vier nordrhein-westfälischen Hochschulen befragt.

Das vordergründige Ergebnis der Untersuchung war wenig verwunderlich: Alle Interviewten befürworten die Gleichstellung von Frauen und Männern. Doch in den Augen der Befragten kollidiert der Wunsch, den Frauen-Anteil zu steigern mit der Anforderung nach wissenschaftlicher Exzellenz. Der zweite Befund sei, so Eva Wegrzyn, dass Gleichstellung oder die mangelnde Gleichstellung in Verbindung gebracht wird mit der vermeintlichen Unvereinbarkeit oder schwierigen Vereinbarkeit von Familie und der wissenschaftlichen Tätigkeit.

In der Postdoc-Phase, im Alter zwischen Ende 20 und Anfang 40, scheiden die meisten Wissenschaftlerinnen aus dem universitären System aus. Viele Befragten waren sich deshalb einig, dass hier eine entscheidende Stellschraube liege, um Frauen im Wissenschaftssystem zu halten, so Eva Wegrzyn.

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Weitere Zementierung von alten Geschlechterrollen in Deutschland

Mehr Familienfreundlichkeit im Rahmen der wissenschaftlichen Arbeit bedeutet aber nicht zwangsläufig mehr Geschlechtergerechtigkeit, betont Eva Wegrzyn. Im Gegenteil: Vielfach werden nur die Geschlechterrollen zementiert. Und an der Wissenschaftskultur ändert sich ebenfalls nichts. Die Untersuchung ergab, dass Wissenschaft mit einem ständigen Sich-beweisen-müssen einhergeht, mit Konkurrenz um Positionen, Publikationen und Drittmittel. Frauen wird dabei eine verminderte Risikobereitschaft und Machtaffinität zugeschrieben. Mehr noch: In einer männlich geprägten Wissenschaftskultur wird ihr Verhalten als defizitär ausgelegt.

Beispiel Eindhoven: Irène-Curie-Stipendium-Programm

Sehnsüchtig blicken da etliche Wissenschaftlerinnen in die Niederlande, zur Technischen Universität in Eindhoven. Über Jahre war sie in Europa eines der Schlusslichter bei der Berufung von Frauen.

2009 trat die Psychologin Evangelia Demerouti in Eindhoven ihre Professur an. Damals gab es gerade mal fünf Prozent weibliche Professoren, erzählt sie. Eindhoven war damit Schlusslicht in den Niederlanden und ging bei staatlichen Förderprogramm regelmäßig leer aus. Jahrelang. Professorin Demerouti wurde schließlich Gleichstellungsbeauftragte. Sie berief regelmäßige Treffen mit der Unispitze ein. Irgendwann fragte der Rektor: Vielleicht müssten wir einmal etwas Drastisches machen?

Die Physikerin, Chemikerin und Nobelpreisträgerin Irène Joliot-Curie im akademischen Talar am 23. Mai 1921 bei der Überreichung der Ehrenwürde der University of Pennsylvania für ihre Mutter, die zweifache Nobelpreisträgerin Marie Curie (Foto: IMAGO, IMAGO / Everett Collection)
Die Physikerin, Chemikerin und Nobelpreisträgerin Irène Joliot-Curie im akademischen Talar am 23. Mai 1921 bei der Überreichung der Ehrenwürde der University of Pennsylvania für ihre Mutter, die zweifache Nobelpreisträgerin Marie Curie

Das daraufhin folgende Irène-Curie-Programm sah vor, dass sich sechs Monate lang nur Frauen auf offene Stellen bewerben durften, inklusive 100.000 Euro Forschungsgeld je Stelle. Die Dekane und die Unileitung in Eindhoven setzten dies für 100 Prozent der Stellen um. Ein Jahr lief das Programm, 48 Wissenschaftlerinnen wurden in der Zeit eingestellt. Und 50 Männer: Auf Posten, wo sich keine qualifizierten weiblichen Bewerberinnen meldeten.

Männer verklagten das Irène-Curie-Programm auf Diskriminierung

Dann wurde das Programm vom niederländischen Menschenrechtsrat gestoppt, einer offiziellen Schiedsstelle. Der Grund: Einige Männer hatten wegen Diskriminierung geklagt. Also modifizierte die Universität das Programm und legte es erneut zur juristischen Begutachtung vor. Mit Erfolg: Wenn der Wissenschaftlerinnen-Anteil an den Fakultäten unter 35 Prozent liegt, dürfen Frauen nun bei der Ausschreibung bevorzugt werden. Das trifft auf rund 50 Prozent der Stellen zu. Regelmäßig wird das Programm evaluiert.

Wissenschaftsbetrieb in Eindhoven: weiblicher, internationaler, vielfältiger

Seit 2019 legte der Professorinnen-Anteil um fast drei Prozent zu, bei den Juniorprofessorinnen stieg der Anteil um mehr als fünf Prozent, bei den Assistenzprofessorinnen um 3,5 Prozent. Der Wissenschaftsbetrieb wird in Eindhoven weiblicher. Und zudem internationaler und vielfältiger, so Professorin Demerouti.

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