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K.-o.-Tropfen – Was tun gegen die unsichtbare Gefahr?

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Bartholomäus Laffert
Bartholomäus Laffert  (Foto: Bartholomäus Laffert )
Eva Hoffmann
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Sarah Rondot
Candy Sauer

Übergriffe mit K.-o.-Tropfen in Clubs betreffen vor allem Frauen. Da sich die Opfer oft an nichts erinnern, erstatten nur wenige Anzeige. Wie können Frauen sicher feiern gehen?

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Feste und Partys bedeuten für viele Frauen potenziell Gefahr

Ein Beispiel vom Münchner Oktoberfest 2022: 55 sexuelle Übergriffe und drei Vergewaltigungen wurden bei der Polizei angezeigt. Wie viele solcher Vorfälle es tatsächlich gab, ist unklar. Ein Ort, der für Männer meist ausschließlich Spaß bedeutet, kann für Frauen zur Gefahr werden. K.-o.-Tropfen sind ein Grund dafür.

Die meisten Betroffenen erstatten spät oder gar keine Anzeige

Verlässliche Zahlen über Delikte mit K.-o. Tropfen gibt es kaum, denn die meisten Betroffenen erstatten keine Anzeige. Laut Stefan Petersen-Schümann, Polizeisprecher von Berlin, ist es wichtig, schnell Anzeige zu erstatten, da die Substanz nur kurz nachweisbar ist. In vielen Fällen melden sich die Opfer aber erst Tage oder Wochen später bei der Polizei.

Innerhalb von 24 Stunden müsste man schon sehen, dass gewisse Untersuchungen gemacht werden, sprich Blut wird untersucht oder auch Urin. Es ist was im Körper, was da nicht reingehört? Sprich: möglicher Hinweis auf K.-o.-Tropfen? Da müssen die Ermittlungen sehr schnell anfangen.

Andrea Priest setzt sich mit der Initiative "Sonar Berlin" für ein sicheres Nachtleben ein. Sie erklärt, dass die Untersuchungen für viele Opfer retraumatisierend wirken:

Der ganze Körper wird ja letztendlich abfotografiert, es werden Abstriche von der Haut genommen. Das ist ein sehr intimer Eingriff.

Ihrer Meinung nach werde von polizeilicher Seite nicht immer sensibel genug auf Betroffene reagiert. Auch Sicht der Initiative ist das einer Hauptgründe, warum so wenige Opfer Anzeige erstatten.

Liquid Ecstasy: GHB und GBL sind die bekanntesten Substanzen

K.-o.-Mittel sind alle Betäubungsmittel inklusive Alkohol, chemische Drogen und verschreibungspflichtige Medikamente. Also alle Stoffe, die psychoaktiv wirken. Es dauert wenige Minuten bis zu einer halben Stunde, bis die Tropfen die Wirkung einsetzt. Die Wirkstoffe sind nur wenige Stunden im Blut und Urin nachweisbar. Die wohl bekannteste Substanz ist dabei GHB/GBL – auch bekannt als "Liquid Ecstasy".  

Sven Hartwig, Toxikologe an der Charité Berlin, erklärt die Wirkung so:

Allen diesen als K.-o.-Mittel gebräuchlichen Substanzen ist eine Sedierung gemein. Die machen die Leute müde bis schläfrig oder schlafend. Mit unterschiedlichen Qualitäten machen diese Wirkstoffe auch Erinnerungslücken. Dadurch sind sie für kriminelle Handlungen prädestiniert.

Man kann schwer zwischen Rausch und Betäubung unterscheiden

Die meisten Betäubungsmittel können auch zum Gegenteil, nämlich zu einer Aktivierung. führen. Die Leute sind dann sehr aufgeregt und fahrig, sie können keinen zusammenhängenden Satz mehr herausbekommen, reagieren auf die Umgebung nicht mehr adäquat und sind möglicherweise nicht ansprechbar. Die betroffene Melina hat die beginnende Wirkung von K.-o.- Tropfen so erlebt:

Da habe ich gemerkt, dass ich mich an die Seite setzen muss, was ja schon eher komisch ist auf einer Party, wenn alle am Tanzen sind (...), ja und dann hatte ich einen Blackout. Leider.

Außenstehende, aber auch Betroffene selbst, können zunächst gar nicht zwischen einem Rausch und einer Betäubung unterscheiden. K.o.-Tropfen sind eine unsichtbare Gefahr.

Täter können Substanzen leicht im Internet besorgen

Beratungsstellen kritisieren, dass Stoffe wie GBL legal im Internet bestellt werden können.

Sie sind geruchlos, farblos, ölig und geschmacklos und nach wenigen Stunden im Körper nicht mehr nachweisbar – was die Aufklärung von Übergriffen erschwert. Die Tropfen werden den Opfern unbemerkt ins Glas geschüttet. Das Phänomen ist seit Jahren bekannt, trotzdem scheinen Polizei- und Sicherheitsbehörden machtlos zu sein.

Der Berliner Toxikologe Sven Hartwig erklärt, dass GHB als Betäubungsmittel reglementiert, schwer verfügbar und relativ teuer sei. GBL allerdings sei als Ausgangssubstanz industrieller Lösungs- oder Reinigungsmittel relativ leicht zu beschaffen. Täter besorgen sich die Substanzen vor allem aus China und dem Baltikum.

Wenn es aber so leicht ist, an die Drogen zu kommen und die Opfer sie, einmal ins Getränk gemischt, gar nicht bemerken können – wie kann man sich dann schützen? Und wohin wenden, wenn etwas passiert ist?

Prävention und Aufklärung können helfen

Organisationen wie "Sichere Wiesn für Mädchen und Frauen" setzen auf Prävention und Aufklärung. Sie verteilen Flyer mit Tipps, wie Frauen sich vor K.-o.-Tropfen schützen können. Den wichtigsten fasst Oktoberfest-Besucherin Maya so zusammen:

Ich probiere immer zu schauen, dass ich meine Maß bei mir habe. Ich weiß, es geht schnell. K.-o.-Tropfen geht zackzack. Ich probiere einfach selber, mein Getränk im Auge zu behalten.

Junge Frauen feiern ausgelassen auf dem Oktoberfest: Beim Feiern ist es wichtig, sich der potenziellen Gefahr durch K.-o.-Tropfen bewusst zu sein – und sein Glas möglichst nicht aus den Augen zu lassen. (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Felix Hörhager)
Beim Feiern ist es wichtig, sich der potenziellen Gefahr durch K.-o.-Tropfen bewusst zu sein – und sein Glas möglichst nicht aus den Augen zu lassen.

Doch Lisa Löffler von der Oktoberfest-Initiative "Sichere Wiesn für Mädchen und Frauen" sagt auch:

Ich habe eine große Hemmung, dieses Wort Tipps zu sagen, weil wir natürlich wissen, dass kein Tipp dieser Welt Frauen oder Mädchen gegen einen Übergriff schützen kann. Mir wäre es viel lieber, wenn wir auf die Flyer schreiben könnten: Es darf einfach niemand K.-o.-Tropfen mit hierherbringen, dann müsste keine Frau sich davor schützen.

Wachsames Sicherheitspersonal

Türsteher Tim arbeitet schon 15 Jahre in der Berliner Club-Szene und findet, dass eine sichere Party ein Gesamtwerk ist. Das wachsame Auge des Sicherheitspersonals kann viel bewirken. Er hat Tricks, um den Einsatz von K.-o.-Tropfen oder das Ausnutzen von berauschten Personen zu erkennen. Entdeckt er ein vermeintliches Pärchen, bei dem die Frau gestützt werden muss, reagiert er so:

Ich würde die immer ansprechen und fragen, ob die einander überhaupt kennen und fragen, ob das bei vollem Bewusstsein und Konsens gerade stattfindet. Ein einfacher Trick ist zum Beispiel, einander die Namen sagen lassen. Nicht jede Person, die aussieht, als würde sie Hilfe leisten, leistet tatsächlich Hilfe.

Polizei rät von GHB-Testarmbändern ab

Auf TikTok sind Werbevideos für GHB-Testarmbänder im Umlauf. Das Band hält man in sein Getränk, um es mit einer Farbpalette auf die chemischen Substanzen zu testen. Die Polizei rät von solchen Armbändern ab. Andrea Priest von "Sonar Berlin" hält sie sogar für schädlich, weil sie für eine Scheinsicherheit sorgen. Die Armbänder reagieren nur auf GHB und nicht auf GBL. Außerdem ist es schwer, die Farben im Dunkeln richtig zu erkennen.

Ein sicheres Feier-Umfeld schaffen

Hilfreich ist, ein Gesamtkonzept für sicheres Feiern zu entwickeln. So wie die Organisation Bebex. Duygu Ağal und ihr Team planen Partys für queere Menschen und People of Colour. Sie informieren auf Instagram-Posts vorher ihre Gäste:

Passt aufeinander auf. Das ist eure Aufgabe, wenn ihr feiern kommt. Natürlich gibt es auch ein Awarness-Team: Wenn ihr zusammen konsumieren wollt, muss es ein Team geben, das nüchtern ist und einen anderen Blick auf die Situation hat.

Bei den Partys gibt es außerdem einen Taxi-Spendentopf. Hier kann jeder etwas beisteuern, sodass vulnerable Personen unabhängig von der finanziellen Situation sicher nach Hause kommen.

Alle tragen Verantwortung

Doch den einen Lösungsansatz gegen K.-o.-Tropfen gibt es nicht. Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen, ist letztlich eine Aufgabe, die die gesamte Gesellschaft betrifft. Jede einzelne Person auf der Party trägt Verantwortung. Täter müssen erkannt und verurteilt werden. Und der achtsame Umgang miteinander muss nicht nur auf der Party, sondern auch im Alltag verinnerlicht werden. Damit auf alle – ganz egal ob Männer, Frauen, Queers – beim Feiern in erster Linie Spaß wartet. Und keine Gefahr.

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