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Jenseits der Hasstiraden – Plädoyer für eine neue Debattenkultur

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AUTOR/IN
Marco Wehr
ONLINEFASSUNG
Ralf Caspary

Die Kunst, in einer auch mit harten Bandagen geführten Diskussion nach konsensfähigen Lösungen zu suchen, scheint verloren zu gehen. Statt Argumenten stehen gefühlige Meinungsäußerung hoch im Kurs. Das ist eine gefährliche Komplexitätsverweigerung.

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Beispiele für Diffamierung: Debatten um Susanne Schröter und Bernd Lucke

Die Ethnologin Susanne Schröter ist die Direktorin des Forschungszentrums Globaler Islam an der Frankfurter Johann Wolfgang Goethe-Universität. Sie beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dem Islam und ist von Religion und Kultur fasziniert. Das hindert sie nicht daran, zu differenzieren und pointiert Stellung zu beziehen.

Ins Fadenkreuz geriet Susanne Schröter, als sie es wagte, die sexuellen Übergriffe in der Silversternacht 2015 auf der Kölner Domplatte nicht als Ausdruck einer überall in gleichem Maße verbreiteten toxischen Maskulinität zur Kenntnis zu nehmen, sondern einen Zusammenhang herstellte mit patriarchalischen Deutungsmustern junger arabischer Flüchtlinge, die das sexuelle Selbstbestimmungsrecht von Frauen missachten.

Susanne Schröter geriet ins Fadenkreuz anonymer Hetzer. (Foto: IMAGO, imago images / Horst Galuschka)
Die Islam-Wissenschaftlerin Susanne Schröter geriet ins Fadenkreiz anonymer Hetzer, als sie die sexuellen Übergriffe auf der Kölner Domplatte an Silvester 2015 mit der Einstellung junger arabischer Flüchtlinge Frauen gegenüber in Zusammenhang brachte.

Während Frau Schröter sich mit ihren offenen Worten bei vielen Respekt verschafft hatte, war sie anderen verdächtig geworden.

Anonyme Hetzer setzten Susanne Schröter in den sozialen Medien massiv unter Druck. Außerdem gab es einen Hashtag “#schroeter_raus“. Mit diesem wurde das Ziel verfolgt, die Professorin aus der Universität zu schmeißen.

An der Uni Hamburg wurde die Öffentlichkeit Zeuge, wie Bernd Lucke, der Mitbegründer und ehemaliges Mitglied der AfD, Europaparlamentarier und Professor für Makroökonomie in Hamburg, Opfer randalierender Studenten wurde, als er seine Vorlesungen an der Universität aufnehmen wollte.

Lucke wurde von mehr als 300 Leuten niedergebrüllt, mit Gegenständen beworfen und angerempelt. Die Störer schrien im Chor “Verpiss Dich, hau ab“ und “Nazischweine raus aus der Uni“. Luckes Vorlesungen gingen im provozierten Chaos unter.

Bernd Lucke, Mitbegründer und ehemaliges Mitglied der AfD, wurde im Oktober 2019 von rund 300 Leuten niedergebrüllt und beschimpft, als er seine Vorlesungen an der Universität Hamburg aufnehmen wollte (Foto: IMAGO, imago images / photothek)
Bernd Lucke, Mitbegründer und ehemaliges Mitglied der AfD, wurde im Oktober 2019 von rund 300 Leuten niedergebrüllt und beschimpft, als er seine Vorlesungen an der Universität Hamburg aufnehmen wollte

Man kann Bernd Lucke als liberal-konservativen Politiker bezeichnen. Mit dem Begriff “Nazischwein“ sollte man dagegen vorsichtig umgehen. Auch wenn man seine politischen und ökonomischen Überzeugungen nicht teilt: Verboten sind sie definitiv nicht.

Wie kommt es zur Diskursverweigerung?

Eine Ursache für solche Vorgänge ist offensichtlich ein wenig reflektierter Hochmut. Es wird ja unausgesprochen unterstellt, dass der eigene Standpunkt moralisch überlegen ist. Und daraus wird die Berechtigung abgeleitet, dem anderen seine Meinung zu verbieten.

Diese bedenkliche Entwicklung ist für eine demokratische Gesellschaft gefährlich und muss unterbunden werden. Eine an den Idealen der Aufklärung orientierte Diskurskultur wird in einem solchen Umfeld zunehmend schwierig, teilweise sogar unmöglich.

Schutzraum für gefährliche Gedanken

Als Leitlinie für das hohe Gut der freien Meinungsäußerung besonders an den Universitäten mag eine Aussage des Komparatisten Hans Ulrich Gumbrecht stehen, der bis vor wenigen Jahren an der Stanford University gelehrt hat. Gumbrecht sagte sinngemäß, dass die Universität ein Kloster für gefährliche Gedanken sei. Das bedeutet, dass Universitäten Schutzräume auch für kontroverse Gedanken schaffen müssen.

In diesem Zusammenhang ist jeder begründete Standpunkt wert, diskutiert zu werden, solange er nicht mit der Verfassung in Konflikt gerät.

Universitäten müssen auch kontroverse Gedanken zulassen. (Foto: IMAGO, imago images / Arnulf Hettrich)
Universitäten müssen auch kontroverse Gedanken zulassen, solange sie verfassungskonform sind, meint der Literaturwissenschaftler und Komparatist Hans-Ulrich Gumbrecht.

In solchen Diskursen, die gerne auch mit harten Bandagen geführt werden dürfen, sollte es allerdings um Argumente gehen und nicht darum, welche Einstellung man dem Diskutanten unterstellt und ob sie einem persönlich genehm ist.

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