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Gustav Jäger – Pionier der Wollkleidung

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Pia Fruth
Pia Fruth (Foto: SWR, privat)

Stuttgart, 1879: Der Naturforscher Gustav Jäger bringt Kleidung aus reiner Wolle auf den Markt. König Wilhelm II. trägt sie, Oscar Wilde ebenfalls. Jäger setzt dabei auf eine ganz eigene "Dufttheorie". Parallelen zum Roman "Das Parfum" fallen auf.

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"Besonders gesund"

Die sogenannte Jäger’sche "Normalkleidung" gilt als besonders gesund: Unterwäsche, Röcke, Hosen, Hemden aus reiner Wolle. Ihr luftdurchlässiges Gewebe soll die Bildung angenehmer und gesunder Eigengerüche der Haut fördern.

Statt aus Baumwolle oder Leinen ist sie aus der reinen, ungefärbten Wolle von lebenden Schafen oder Kamelen gewirkt und muss nach den Jäger’schen Prinzipien eng am Körper anliegen.

Jägers "Duftstoff-Theorie"

Der "Wolle-Jäger", wie er bald genannt wird, entwickelt ein ganzheitliches Gesundheitssystem, das auf seiner eigener Duftstoff-Theorie beruht. Die besagt, dass der Mensch bei Krankheit, Stress oder Angst üble Gerüche absondert, bei Glücksgefühlen und guter Gesundheit aber eher wohlriecht.

Doch bald wird höhnisch vom "Seelen-Jäger" gesprochen. Denn Jäger erklärt, in den Ausdünstungen des Menschen sei auch dessen Seele verborgen und spricht von der menschlichen Seele als "Ich-Duft", von Duftstoffen als "Seelenstoffen".

1879 wird der wortgewandte Forscher zu einem Vortrag über die menschlichen "Gemüthsaffecte" und die dazugehörigen Gerüche nach Baden-Baden eingeladen. Doch vor der Versammlung der deutschen Ärzte und Naturforscher kommt es zu einem folgenschweren Eklat, als Jäger die Exkremente seiner Frau vorführt.

Doch Jaeger lässt sich davon nicht beirren. Dem spezifischen Menschenduft gibt er den Namen "Anthropin" – abgeleitet vom griechischen Wort "Anthropos": der Mensch. 1884 gibt Gustav Jäger seinen Professorentitel zurück und verzichtet auf seine Hochschullehrertätigkeit.

Plakat zu Jägers "Normal-Unterkleidung" (Foto: Selma Gienger/anthropine.de)
Plakat zu Jägers "Normal-Unterkleidung"

Vorlage für "Das Parfum" von Patrick Süskind?

Nach Ende des Krieges macht die Wollkleidung anderen Moden Platz und Gustav Jäger und seine Duftstoff-Theorie geraten allmählich in Vergessenheit. Bis im Jahr 1985 ein Roman weltweit für Furore sorgt, der Gustav Jägers Forschungen literarisiert: "Das Parfum".

Autor Patrick Süskind lässt seinen Antihelden Grenouille ein Liebeselixier aus den Körperdüften von Jungfrauen herstellen. Im ausgehenden 19. Jahrhundert vermarktete Gustav Jäger sein Anthropin Nummer sieben, das aus den Haaren einer blonden Jungfrau bestehen und älteren Männern wieder Lebensfreude bescheren sollte.

Süskind nennt seine Inspirationsquelle nie öffentlich. Und auch vieles anderes lässt sich heute nicht mehr direkt mit den Forschungen Gustav Jägers in Verbindung bringen: zum Beispiel die bekannte Tatsache, dass manche Menschen einander "nicht riechen können", während andere vom Duft des geliebten Menschen nahezu betört sind.

Der Jaeger Shop in London (Foto: Selma Gienger/anthropine.de)
Der Jaeger Shop in London

Kunden: Von Oscar Wilde bis Fridtjof Nansen

Um Jägers Normalkleidung entsteht ein internationaler Kult, den Berühmtheiten wie die Schriftsteller George Bernard Shaw und Oscar Wilde als bekennende Wolle-Träger zusätzlich befeuern. Die Polarforscher Sir Ernest Shackleton und Fridtjof Nansen tragen bei ihren Expeditionen Jäger’sche "Normalkleidung".

Im internationalen Radsport erfreuen sich wollene Zehensocken und Trikots nach Jägers Art größter Beliebtheit. Auch der Erfinder Robert Bosch und später der Württembergische König Wilhelm II. sind sogenannte "Wollene". Und in Großbritannien gehört die Firma Jaeger Fashion sogar bis ins 21. Jahrhundert zu den Edelmarken der Modebranche.

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