Gendersternchen auf schwarzem Untergrund: "gender" in bunten Buchstaben ausgeschrieben, dahinter ein Sternchen (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture alliance | Christian Ohde)

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Geschlechtergerechte Sprache – Was bringt das Gendern?

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Gendersternchen und Co: Kaum eine Debatte wird so emotional geführt wie die ums Gendern. Doch was sagt – ganz nüchtern – der Stand der Forschung dazu?

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Weltweit hat ein gutes Drittel aller Menschen eine Muttersprache, die zwischen männlichem und weiblichem Geschlecht unterscheidet, ein sogenanntes Genus-System. Ob das im Zusammenhang mit der Gleichberechtigung von Frauen und Männern in einer Gesellschaft steht, hat die Weltbank 2018 mit statistischen Methoden untersucht.

Sprache und gesellschaftliche Wirklichkeit sind eng verwoben

Überraschendes Ergebnis: Tatsächlich ist die Frauenerwerbstätigkeit in Ländern mit Genus-System im Durchschnitt niedriger als in Ländern mit einer Sprache, die keine verschiedenen Geschlechter kennt. Die statistische Auffälligkeit heißt allerdings nicht, dass die Sprache auch die Ursache für die Ungleichheit auf dem Arbeitsmarkt ist.

Dass Sprache und gesellschaftliche Wirklichkeit jedoch eng miteinander verwoben sind, ist ausgesprochen plausibel. Ein wissenschaftlicher Nachweis zur Frage, welche Rolle das generische Maskulinum dabei spielt und welche Auswirkungen es in Deutschland hätte, wenn wir es bei der Bezeichnung von Menschen künftig bewusst vermeiden würden, dieser Nachweis ist schwer zu führen.

Kein Platz für feministische Linguistik an deutschen Unis

Die Lücken in der Forschung haben auch damit zu tun, dass Universitäten und Forschungsinstitutionen der feministischen Linguistik über lange Zeit keinen Raum gegeben haben. Luise F. Pusch erinnert sich noch gut an die Anfänge. "Das Deutsche als Männersprache – Aufsätze und Glossen zur feministischen Linguistik" – so heißt das Buch, mit dem Pusch feministische Sprachkritik in Deutschland populär gemacht hat.

Begründerin der feministischen Linguistik: keine Professur für Luise F. Pusch

Über 150.000 mal hat sich ihr Buch verkauft, und noch immer ist der Saal voll, wenn die inzwischen 77-jährige Sprachwissenschaftlerin ihre zentrale These vorträgt.

Doch obwohl die Begründerin der feministischen Linguistik in Deutschland bei zahlreichen Berufungsverfahren in die engste Wahl gekommen war, bekam sie am Ende nie eine Professur.

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Kein einziger Lehrstuhl für Genderlinguistik in Deutschland

Und noch heute ist in Deutschland nur eine von vier Professuren mit einer Frau besetzt. Zwar gibt es inzwischen rund 200 Lehrstühle mit dem Haupt- oder Teilgebiet Gender Studies, doch keinen einzigen für Genderlinguistik.

Helga Kotthoff ist eine der wenigen Sprachwissenschaftlerinnen, die sich zumindest zum Teil mit dem Thema befassen. Zusammen mit zwei Kolleginnen hat sie im Juni 2021 das erste jemals von der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG finanzierte Forschungsprojekt zum Thema gestartet. Titel: Genderbezogene Praktiken bei Personenreferenzen. In einem der Unterprojekte wird es um all die Leitfäden zum geschlechtergerechten Sprachgebrauch gehen, die in den letzten Jahren von Städten, Bildungseinrichtungen und Unternehmen herausgegeben wurden.

Rat für deutsche Rechtschreibung spricht sich gegen Gendersternchen aus

Währenddessen sei die Verunsicherung groß, sagt Sabine Krome. Sie ist Geschäftsführerin des Rats für deutsche Rechtschreibung. 2018 hatte der Rat erstmals Empfehlungen zur geschlechtergerechten Schreibung herausgegeben, im März 2021 wurden die Empfehlungen des Rats noch einmal aktualisiert. Danach sollen Texte

  • sachlich korrekt
  • eindeutig
  • verständlich
  • gut lesbar und
  • vorlesbar sein.

Sternchen und andere Zeichen, die innerhalb von Wörtern auf verschiedene Geschlechtsidentitäten verweisen sollen, entsprächen diesen Anforderungen nicht, so der Rat.

Für dieses Problem hatte sich die Universität Leipzig schon 2013 eine Lösung einfallen lassen. Die damals beschlossene und bis heute gültige Grundordnung verwendet durchgehend weibliche Personenbezeichnungen. Eine Fußnote weist darauf hin, dass diese "gleichermaßen für Personen männlichen und weiblichen Geschlechts gelten." Männer dürfen sich trotzdem weiterhin Professor statt Professorin nennen.

Lehnt Mehrheit die „sogenannte Gendersprache“ ab?

In repräsentativen Umfragen zeigt sich immer wieder eine recht deutliche Mehrheit gegen die Verwendung neuerer Formen geschlechtsneutraler Sprache, also zum Beispiel des gesprochenen oder geschriebenen Gendergaps. So zum Beispiel in einer viel zitierten, von der Tageszeitung Die Welt 2020 in Auftrag gegebenen Befragung.

Deren Ergebnisse können allerdings auch andersherum gelesen werden. Obwohl Infratest dimap eher suggestiv-abwertend nach der „sogenannten Gendersprache“ gefragt hatte, sprach sich eine knappe Mehrheit der 18- bis 39-Jährigen dafür aus. Und diese Generation repräsentiert schließlich die Zukunft unserer Gesellschaft.

Ob tatsächlich gerade ein neuer Trampelpfad zu einem inklusiveren Sprachgebrauch entsteht – oder doch eher auf eine modische Welle bald ein Abschwung folgen wird – noch ist das eine offene Frage.

Die Antwort hängt auch davon ab, ob Pro und Contra eine Gesprächsebene finden.

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