Bildung

Buchstabensuppe im Kopf – Funktionale Analphabeten

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Franziska Hochwald
Franziska Hochwald (Foto: SWR, privat)
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U. Barwanietz & R. Kölbel

Viele Lehrkräfte erkennen Kinder mit Lese- und Rechtschreibschwäche nicht. Auch deshalb gibt es 7,5 Millionen funktionale Analphabeten in Deutschland. In der Lehramts-Ausbildung spielt das Thema praktisch keine Rolle.

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Analphabetismus ist immer noch ein Tabuthema

Für viele Menschen ist es unvorstellbar, dass ein Erwachsener die einfachsten Grundkenntnisse des Lesens und Schreibens nicht beherrscht. Die meisten funktionalen Analphabeten versuchen dieses Defizit mit ausgeklügelten und zum Teil sehr fantasievollen Strategien geheim zu halten.

Mühsame Umwege

Sie gehen Situationen aus dem Weg, in denen sie schreiben müssen. Sie lassen sich Texte von anderen vorlesen unter dem Vorwand, die Brille vergessen zu haben. Oder lernen Inhalte schlicht auswendig, indem sie anderen zuhören. Doch das ist ein mühsames Unterfangen und grenzt sie aus vielen Lebensbereichen aus.

Funktionaler Analphabetismus gilt häufig noch als eine Aufgabe für die Erwachsenenbildung. Dabei liegt der effektivste Weg auf der Hand, um Lese- und Schreibschwächen wirkungsvoll zu vermindern: Eine intensive Förderung aller Kinder, eine Begleitung ihres Lernens in kleinen Gruppen und speziell geschulte Lehrer.

Lesen ist ein komplexer Prozess

Wie kommt es, dass Jugendliche nicht lesen lernen können? Professor Gerd Schulte-Körne, Direktor der Kinder- und Jugendpsychiatrie in München, verweist auf Erkenntnisse der Hirnforschung. Lange Zeit ging man davon aus, dass es eine Art "Lesezentrum" im Gehirn gäbe. Doch die neuen bildgebenden Verfahren haben gezeigt, dass der Prozess des Lesens deutlich komplexer ist.

Deutlich geringere Gehirnaktivität

Beim reinen Betrachten von Bildern zeigt sich im Gehirn funktionaler Analphabeten keine Auffälligkeit. Doch sobald es um das Lesen und Verarbeiten von Texten geht, weisen Menschen mit einer Leseschwäche eine deutlich geringere Gehirnaktivität auf. Es lässt sich beobachten, dass solche Schwächen im Lesen und Schreiben in einigen Familien gehäuft vorkommen.

Laut Schulte-Körne zeigen Studien, dass sie zum Teil sogar erblich sind. Doch eine solche Disposition führt nicht zwangsläufig zu einer Lesestörung, sondern dafür müssen noch andere Faktoren hinzukommen. Das Team um den Soziologen Professor Uwe Bittlingmayer hat sich mit diesen Faktoren befasst.

Es wäre laut Bittlingmayer falsch, Lese- und Schreib-Probleme nur auf eine individuell fehlende Begabungen zu reduzieren. Denn das soziale Umfeld bestimmt zu einem sehr großen Teil, ob auch außerhalb der Schule Leseanlässe geschaffen werden, welchen Stellenwert Schriftsprache im Alltag hat und vor allem: ob Schwierigkeiten mit dem Lesen und Schreiben kompensiert und therapiert werden oder nicht.

Keine Ausbildung für Bildung

Viele Lehrkräfte sind nicht darin ausgebildet, Kinder mit Lese- und Rechtschreibschwäche zu erkennen. In der Lehramts-Ausbildung spielt das Thema Analphabetismus praktisch keine Rolle. Alle spezifischen Kurse dazu sind für Lehramts-Studierende lediglich Wahlfächer auf freiwilliger Basis.

Viele Kinder tun sich schwer damit, lesen und schreiben zu lernen. Doch mit der entsprechenden Förderung und der richtigen therapeutischen Begleitung könnte das Lebensdrama funktionaler Analphabetismus wohl in den meisten Fällen vermieden werden.

Erwachsene Menschen, die nicht oder nur wenig lesen und schreiben können, sind nach wie vor kaum im Bewusstsein der Öffentlichkeit. Dabei stellen sie einen erschreckend großen Teil der Bevölkerung dar.

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