Als Zuschauer*in erlebt man den Film aus Sicht des demenzkranken Anthony
Mehrmals verschwindet eine Uhr in Florian Zellers Film „The Father“. Und wird zu einem der Zeichen, dass sich bei Anthony, 80 Jahre alt, die Realität verschiebt. Aber Zellers Kammerspiel macht es uns nicht so einfach, dass wir, wie oft in den Filmen dieses Genres, auf den Demenzkranken als Beobachtungsobjekt schauen.
In „The Father“ sehen wir alles aus der Perspektive, also der Welt, aus der Realitätssicht von Anthony. Mitunter wissen wir als Zuschauer*innen nicht, wo wir uns gerade befinden. Ist es Anthonys Wohnung, in der ihn Anne besucht oder umgekehrt: Lebt der Vater schon bei der Tochter, weil er nicht mehr allein klarkommt?
Es ist keine leichte Aufgabe, einen Demenzkranken zu spielen
Was ist Realität, was Einbildung, was Wahn? Fragen, von denen eine große Verstörung ausgeht, wenn sie sich auf Menschen beziehen, die dement werden. Auf der Leinwand oder im realen Leben.
Doch wie fühlt sich eine Realität an, die für den Dementen ganz real ist, aber von anderen als Trugbild behauptet wird? Das ist der Blickwinkel dieses Films.

Klischees des Demenz-Films bleiben aus
Als Hannibal „The Cannibal“ konnte Hopkins in „Das Schweigen der Lämmer“ mit mächtigen schauspielerischen Mitteln den Alb erzeugen – starre Mimik, bedrohlicher Blick - und zur Horror-Ikone werden. Im Film-Meisterwerk „The Father“ geht Hopkins dagegen sanfter, aber nicht weniger intensiv vor. Denn der Schauspieler spielt keinen Mann, der sabbert, brüllt, um sich schlägt oder in die Hose macht, solche Klischees des Demenz-Films sind hier nicht zu finden. Die Dramatik der Demenz spielt sich bei diesem Anthony ganz auf der emotionalen Ebene ab, und das kommt uns natürlich viel näher, bietet sich mehr als Projektionsfläche an.
Hopkins „spielt sich die Seele aus dem Leib“
Dieses sich Verlieren spielt Anthony Hopkins mit schwer erträglicher Eindringlichkeit; und zwar umso intensiver, je stärker seine Verzweiflung hochkriecht, dass hier einfach etwas nicht stimmen will.
Dann der Moment der vollkommensten Regression, die vorstellbar ist: Der alte Mann ruft als kleines Kind verzweifelt nach seiner Mutter, weint, ruft, ganz allein, verloren in seiner Welt. Vielleicht ist für diese Szene der einzig treffende Ausdruck: Einer „spielt sich die Seele aus dem Leib“.
Unterm Strich ist es wie immer: Das Grauen zu sehen, ist grauenhaft, doch einen großen Künstler wie Anthony Hopkins erleben zu dürfen, der die Demenz spielt, das ist das immerwährende Geschenk, das uns das Kino macht. Wir verlassen den Film mit geröteten Augen, das Taschentuch zerknüllt in der Hand, aber werden einen Teufel tun zu bereuen, das angeschaut zu haben.