Zwei Männer sitzen mit einem Kind im Garten (Foto: Getty Images, Thinkstock -)

Familien in Zeiten der Fortpflanzungsmedizin

Doppelväter und Drei-Eltern-Babys

STAND
AUTOR/IN
Doris Maull
ONLINEFASSUNG
Anja Braun
Anja Braun, Reporterin und Redakteurin SWR Wissen aktuell. (Foto: SWR, Christian Koch)
Meta Wolfsperger
Ralf Kölbel
Ralf Kölbel, Online-Redakteur bei SWR Wissen aktuell sowie Redakteur bei SWR2 Wissen. (Foto: SWR, Christian Koch)

SWR2 Wissen. Von Doris Maull

Dank Samenspende, Eizellenspende und Leihmutterschaft können auch Menschen Eltern werden, die gemeinsam mit ihrem Partner dazu biologisch nicht in der Lage sind.

Audio herunterladen (25,4 MB | MP3)

"Vater, Mutter, Kind(er)" - die traditionelle Familienstruktur ist längst nicht mehr das einzige Modell. Denn dank Samenspende, Eizellenspende, Leihmutterschaft und immer neuer Entwicklungen der Reproduktionsmedizin können auch Menschen Eltern werden, die gemeinsam mit ihrem Partner dazu biologisch nicht in der Lage sind.

Auf diese Weise entstehen alternative Familienmodelle. Zum Beispiel solche, in denen zwei Männer oder zwei Frauen Nachwuchs bekommen oder Kinder sogar drei Eltern haben. Die Ausbreitung dieser "sozialen Elternschaft" hat Folgen für die Gesellschaft. Der Gesetzgeber muss die rechtlichen Rahmenbedingungen an die neue Eltern-Realität anpassen und über ethische Bedenken reflektieren.

Neuer Trend: Gemeinsame Elternschaft

Christine, Gianni und Milla sind keine klassische "Vater-Mutter-Kind-Familie". Christine lebte in einer lesbischen Beziehung als sie den Kinderwunsch zum ersten Mal spürte. Einfach nur einen Samenspender wollten die beiden Frauen nicht, sondern einen aktiven Vater für ihr Kind. Doch die Suche gestaltete sich schwierig. Christine berichtet: "Wir konnten es gar nicht glauben, dass es im Internet nichts gab und haben dann die Seite gegründet, als Hilfe zur Selbsthilfe sozusagen."

"Familyship.org" heißt die Website, die Christine und ihre damalige Freundin Miriam vor sechs Jahren ins Leben gerufen haben. Sie ist eine von insgesamt zwei Co-Parenting-Internetplattformen in Deutschland. "Co-Parenting" heißt wörtlich übersetzt "Gemeinsame Elternschaft". Konkret bedeutet es, dass sich ein Mann und eine Frau zusammentun, um ein Kind zu zeugen und gemeinsam aufzuziehen. Im Vordergrund dieses relativ neuen Familienmodells steht der Kinderwunsch – und die Bereitschaft, die Verantwortung für das Kind zu teilen.

Co-Parenting beruht auf Freundschaft, nicht auf Liebe

In den USA oder in Großbritannien gibt es die entsprechenden Co-Parenting-Portale schon länger. Sie heißen "Family by Design", "Pride Angel" oder "Modamily". Der amerikanische Anbieter "Modamily" hat 20.000 Mitglieder. Auf "Familyship.org" sind mittlerweile etwa 4.000 Nutzer angemeldet.

Gianni ist schwul und er wünschte sich ein Kind. Dafür suchte er sowohl im realen Leben als auch über "Familyship.org"  gezielt und sorgfältig nach einer Frau, um aktiver Vater zu werden. Wenn Gianni nicht mit seiner Tochter Milla und Christine zusammen ist, verbringt er Zeit mit seinem Partner, mit dem er in einer Liebesbeziehung lebt. Gianni ist vom Modell des Co-Parenting überzeugt. Christine, Gianni und Milla sind Vater, Mutter und Kind. Ihr Familienmodell beruht aber auf Freundschaft, nicht auf Liebe.

Wie das Co-Parenting auf lange Sicht funktioniert, ist offen

Wird es den Paaren gelingen, Liebe und Kindererziehung dauerhaft zu entkoppeln? Werden die Kinder in solchen Co-Parenting-Familien doch irgendwann Schaden nehmen, weil sich die sozialen Eltern trennen und neue Partner finden? Langfrist-Studien zu den Folgen des "Co-Parentings" gibt es in Deutschland bislang nicht.

In Großbritannien ist Co-Parenting schon etwas eingehender untersucht worden. So hat die Universität Cambridge 2015 eine Online-Befragung von 102 Mitgliedern des britischen Portals "Pride-Angel" durchgeführt. Die Untersuchung zeigt, wie heterogen die Gruppe der Co-Parents ist.

Neben homosexuellen Männern sind darunter immer mehr heterosexuelle Single-Frauen, die Angst haben, aus Altersgründen kinderlos zu bleiben. Unabhängig von ihrer jeweiligen sexuellen Orientierung wünschten sich hier alle Befragten, dass das Kind beide biologischen Eltern kennt.

Um ihren Kinderwunsch zu erfüllen, gehen Paare oft ins Ausland

Fast jedes zehnte heterosexuelle Paar zwischen 25 und 59 Jahren ist in Deutschland ungewollt kinderlos, so eine Schätzung des Bundesfamilienministeriums. Doch reproduktionsmedizinische Behandlungsmethoden wie Eizellenspende oder Leihmutterschaft sind in Deutschland verboten. Jahr für Jahr reisen deshalb Tausende Männer und Frauen in die Ukraine, nach Tschechien oder noch weiter in die USA oder nach Indien, um sich ihren Kinderwunsch zu erfüllen. Dabei scheuen sie weder Mühe noch Geld und setzen sich über deutsches Recht hinweg. 

Grauhaariger Vater mit Kind auf der Schulter (Foto: Getty Images, Thinkstock -)
Kinderglück im hohen Alter. Oft ist das nur durch eine aufwändige Reproduktionsbehandlung im Ausland möglich. Thinkstock -

Ob Samen - oder Eizellenspende - am besten ist, wenn Kinder ihre genetische Herkunft kennen

Das Spenden von Eizellen ist in Deutschland verboten. Deshalb nutzen viele Paare die im Ausland gebotenen Möglichkeiten. Doch die meisten Eltern erzählen ihren Kindern später nicht, dass sie nach Amerika oder Russland gefahren sind, um dort mit Hilfe einer Invitro - Behandlung schwanger zu werden. Familientherapeutin Petra Thorn warnt, dass es gravierende Folgen haben kann, wenn diese Kinder irgendwann erfahren, dass sie mit einer Person genetisch verwandt sind, die nicht in Deutschland lebt.

Bei der Samenspende hat die Politik schon reagiert: Die anonyme Spende männlichen Samens ist in Deutschland nicht mehr zulässig. Der Gesetzgeber baut ein Spenderregister auf, in dem sich Spenderkinder über ihre Herkunft informieren können. Bei der Eizellenspende hinkt die Gesetzgebung den gesellschaftlichen Entwicklungen und den Fortschritten der Reproduktionsmedizin hinterher.

Das Familienrecht soll angepasst werden

Das Bundesjustizministerium hat 2015 einen Arbeitskreis Abstammungsrecht ins Leben gerufen. Er hat Vorschläge für die rechtliche Ordnung der neuen Familienwelt erarbeitet. Fazit: Die Macht der Gene im Familienrecht bleibt groß und nach dem Bericht zum Abstammungsrecht soll sie noch größer werden. Die Experten möchten das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung noch erweitern. Diese Empfehlung entspricht der Erkenntnis, dass das Wissen um die eigene Herkunft elementar für die Identitätsfindung ist. So sieht man das inzwischen auch beim Thema Adoptionen, wo die Herkunftseltern nicht mehr - wie einst - anonym bleiben.

Reproduktionsmedizin verhilft der Familie zu einem Come-Back

Der Kulturwissenschaftler Andreas Bernard von der Universität Lüneburg hat Samenbanken, Labore und Fortpflanzungskliniken in der Ukraine, Deutschland und in den USA besucht. Er wollte vor allem wissen, was es für das Verständnis von Familie bedeutet, wenn immer mehr Kinder mit medizinischer Unterstützung gezeugt werden. Durch seine langjährige Recherche ist Bernard sicher: die Familie hat durch die Reproduktionsmedizin eine Art „Come-back“ erlebt.

Gerade diese Menschen, die bis in die 70er-Jahre keine Familie bilden konnten - also unfruchtbare Paare, alleinstehende Frauen, homosexuelle Männer, homosexuelle Frauen - hätten die Familienbildung in den letzten Jahren mit so einer Empathie betrieben, dass sich der symbolische Status von Familie sich in den letzten 20 Jahren wieder stabilisiert hat.