Hummeln haben es in Städten oft besser als auf dem Land (Foto: Colourbox, Foto: Colourbox.de -)

Drastisches Insektensterben bewiesen

Drei Viertel weniger Insekten

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Anja Braun
Anja Braun, Reporterin und Redakteurin SWR Wissen aktuell. (Foto: SWR, Christian Koch)

Nun ist es wissenschaftlich erwiesen. Heute fliegen in Deutschland 75 Prozent weniger Insekten als vor 27 Jahren. Forscher veröffentlichten das Studienergebnis gerade im Fachjournal PLoS ONE. Bisherige Schlagzeilen zum Insektensterben stützten sich auf Zahlen einzelner Standorte. Deren Aussagekraft wurde von manchen angezweifelt. Die neuen Zahlen bestätigen nicht nur einen großflächigen drastischen Insektenrückgang in Deutschland - sie werfen auch ein Licht auf die Hauptursachen.

Untersucht wurden mehrere Naturschutzgebiete im Norden und Nordosten Deutschlands. Experten zeigten sich schockiert, dass das Insektensterben auch in den Schutzgebieten so hoch ist. Die Forscher vom Entomologischen Verein in Krefeld kamen zum Ergebnis, dass die Biomasse an fliegenden Insekten um drei Viertel zurück gegangen ist.

Die Untersuchungen der "Krefelder" waren bisher noch nicht wissenschaftlich publiziert worden - lediglich Eckpunkte ihrer Daten wurden im Juli vom Bundesumweltministerium verbreitet. Damals war von einem Rückgang um 80 Prozent die Rede - die neue Zahl von 75 Prozent kommt dem recht nahe.

Besonders erschreckend ist die Aussage: Es zeichnet sich keine Entspannung der Situation ab. Das Sterben vieler Insektenarten geht weiter.

Mögliche Hauptursache für das große Sterben: die Intensivierung der Landwirtschaft

Hauptursache für das Verschwinden der Insekten könnte die Intensivierung der Landwirtschaft sein. Dort werden große Mengen von Pestiziden eingesetzt, häufig wird in Monokultur bewirtschaftet und es gibt zu wenig Blühstreifen und Hecken. Auch wenn es schwierig ist, den Zusammenhang direkt zu beweisen, sind sich Fachleute hier weitgehend einig.

Um möglichst viel Ertrag von den Äckern zu bekommen, setzen Landwirte auf sogenannte Neonikotinoide. Diese Insektengifte töten nicht nur Organismen, die auf dem Acker leben, sondern auch alle Fliegen, Mücken, Käfer, die außerhalb der Äcker leben, auch in Naturschutzgebieten. Neonikotinoide werden seit etwa 20 Jahren auf Pflanzen gesprüht, als Beizmittel für Saatgut verwendet und zur Bodenbehandlung eingesetzt.

Ohne Bestäuber verändert sich die Pflanzenwelt

Die Insekten fehlen als Bestäuber. Das bedeutet viele Pflanzen bilden keine Samen mehr und könnten sukzessive ebenfalls aussterben. Das schadet auch den Obstbauern. Denn Obstbäume brauchen ebenfalls Bestäuber und daneben noch viele andere Baumarten. Auch die werden weniger Samen produzieren. Außerdem fallen Insekten aus, die andere Insekten kontrollieren, zum Beispiel indem sie sich von ihnen ernähren. So könnten Schädlinge vom Insektensterben profitieren, weil ihre natürlichen Feinde verschwinden. 

Weniger Insekten bedeutet Nahrungsmangel für Vögel

Mit den Insekten schwindet auch die Nahrungsgrundlage für Vögel oder Fledermäuse. In der Folge gehen auch die Vogelarten, die Insekten fressen, immer stärker zurück. Aber auch die Körnerfresser leiden, wenn nicht mehr so viele Samen produziert werden. Früher häufige Vogelarten sind heute vom Aussterben bedroht. In nur 30 Jahren hat Deutschland 57 Prozent aller Feldvögel verloren, bei einzelnen Arten sogar 80 bis 90 Prozent.

Lerche und eine Biene auf einer Blüte (Foto: Colourbox, Foto: Colourbox.de -)
Feldlerchen und Bienen gibt es immer weniger (Archiv)

Mensch und Tier zu ernähren und trotzdem Platz und Nahrung für wilde Lebewesen zu lassen, das ist ein Anspruch der Biobauern. Doch nur etwa vier Prozent der landwirtschaftlichen Flächen in Sachsen werden ökologisch bewirtschaftet. In Baden-Württemberg sind es über neun Prozent der Flächen, in Rheinland-Pfalz 8,5 Prozent.

Das ist deutlich besser als der bundesweite Durchschnitt von nur sechs Prozent. Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, die ökologisch bewirtschafteten Flächen auf 20 Prozent auszudehnen. Kritiker befürchten allerdings, dass die Produktivität dann nicht mehr reicht, um zum Beispiel den hohen Fleischkonsum der Deutschen abzusichern.