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Die Pasta und ihre Geschichte – Warum Nudeln weltweit beliebt sind

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AUTOR/IN
Thomas Hillebrandt

Heimat, Identität, Kultur: Auf einem Teller Pasta liegen für Italiener die großen Themen des Lebens. Für alle anderen sind Nudeln einfach nur lecker, nahrhaft und leicht zuzubereiten.

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Italienische Pasta: Heimat, Identität – und Politik

Weit über 350 Pasta-Sorten, manche sagen mehr als 600, soll es in Italien geben: Linguine, Bucatini, Maccheroni, Fusilli, Rigatoni, Farfalle und wie sie alle heißen. In Italien ist Pasta nicht nur "etwas zu essen", sondern definitiv auch Politik, in der Begriffe wie "Heimat", "Herkunft", "Identität" schon seit langem populistisch vereinnahmt werden.

Diese politischen Strömungen versuchen, aus "Spaghetti al Pomodoro" ein nationalistisches Symbol zu machen, indem sie das Weiß der Pasta, das Rot der Tomatensoße und das Grün des Basilikumblattes obendrauf mit der italienischen Flagge verbinden. Die Botschaft soll lauten: Pasta und Nation sind eins und "Spaghetti al Pomodoro" das verbindende Element einer gemeinsamen, uralten Tradition.

Nationalflagge Italiens ohne Bezug zu Pasta, Tomate und Basilikum

Doch dieses verbindende Element hat es nie gegeben, sagt Massimo Montanari, Historiker an der Universität Bologna. Tomaten kamen erst ab Ende des 18. Jahrhunderts zur Pasta dazu und die Trikolore mit den drei senkrechten Streifen in Grün, Weiß und Rot ist erst seit 1946 offizielle italienische Nationalflagge. Also nichts mit: "Spaghetti al Pomodoro" als Symbol einer jahrhundertealten Tradition.

Vielmehr war Pasta jahrhundertelang vor allem eher gelb, denn ihr wichtigster Begleiter war Käse, sonst nichts. Dass wir heute manchmal Parmesan als würzige Zutat auf die Pasta reiben, ist noch ein leiser Widerhall dieser historischen Verbindung.

Der Historiker Massimo Montanari hält zwei seiner Bücher in die Kamera. Seit 1994 forscht er an der Universität Bologna zur Geschichte unserer Ernährung.   (Foto: SWR, Thomas Hillebrandt)
Seit 1994 forscht der Historiker Massimo Montanari an der Universität Bologna zur Geschichte unserer Ernährung.

Ein Hartweizengrießprodukt wird zum Exportschlager

Doch dieses verbindende Element hat es nie gegeben. Massimo Montanari macht Appetit auf Geschichte, wenn er über die weiten, teilweise verschlungenen Wege erzählt, die die Pasta in der italienischen Kultur gegangen ist:

  • Etwa über die Zunft der Genueser Nudelhersteller, die 1547 ein "Reinheitsgebot" verfassen, nach dem der Teig für "Pasta secca", trockene Nudeln, ausschließlich aus Hartweizengrieß und Wasser zu bestehen habe.
  • Über neapolitanische Straßenhändler, die als Erste Pasta nicht mehr so lange kochen, bis sie weich ist, sondern, um ihre Ware schnell an die Kunden zu bringen, nur wenige Minuten und damit "al dente", also bissfest lassen.
  • Über italienische Auswanderer, die ab Mitte des 19. Jahrhunderts in den USA erst als "Spaghettifresser" verspottet werden, die aber dann aus diesem Schimpfwort ein Gefühl der Zusammengehörigkeit entwickeln, das später auch die Menschen im Heimatland miteinander verbindet.
  • Oder über die Tatsache, dass Nudeln nicht in Italien erfunden wurden, denn Chinesen, Inder und Araber haben "Nudeln" schon lange vor den Italienern gegessen.

Aber erst in Italien wird "die Nudel" zum Mythos, als sich Pasta ab dem 12. Jahrhundert zum "Industrieprodukt" entwickelt, das man konservieren, transportieren und verkaufen kann.

Italien: Nudel-Exportnation Nummer 1

Das hat sich bis heute gehalten. 2020 wurden mit Nudeln weltweit über 100 Milliarden Euro umgesetzt. Italien ist, natürlich, die weltweit wichtigste Nudel-Exportnation mit einem Weltmarktanteil von 30 Prozent. Mit großem Abstand folgen China, Südkorea und die Türkei.

Ihre Vielseitigkeit macht Pasta so beliebt und zum weltweiten Wirtschaftsgut, besonders, wenn sie "Made in Italy" ist. So kommt bei über zwei Drittel der britischen und französischen Familien regelmäßig das Original auf den Teller, in den USA und Deutschland passiert das immerhin bei etwa der Hälfte.

Wenig überraschend sind Italiener und Italienerinnen weltweit die Nummer eins im Nudelessen: Aktuell kommen pro Kopf jährlich über 23 Kilo Pasta auf den italienischen Tisch. Das ist weit mehr als das Doppelte der knapp 10 Kilogramm Nudeln, die in Deutschland statistisch pro Kopf und Jahr gegessen werden.

„Mein Lieblingsgericht sind Tagliatelle al Ragú“, sagt der Historiker Massimo Montanari, „Hier bei uns in der Emilia-Romagna, wie auch in Bologna, sind Tagliatelle das gängigste Gericht, viele Familien machen das. Zwar mag ich auch Spaghetti oder Maccheroni, aber wenn ich nach Hause komme, zu meiner Familie, dann fühle ich mich bei einem leckeren Teller Tagliatelle gleich warm und geborgen.“ (Foto: SWR, Thomas Hillebrandt)
„Mein Lieblingsgericht sind Tagliatelle al Ragú“, sagt der Historiker Massimo Montanari, „Hier bei uns in der Emilia-Romagna, wie auch in Bologna, sind Tagliatelle das gängigste Gericht, viele Familien machen das. Zwar mag ich auch Spaghetti oder Maccheroni, aber wenn ich nach Hause komme, zu meiner Familie, dann fühle ich mich bei einem leckeren Teller Tagliatelle gleich warm und geborgen.“

Rigatoni, Papardelle, Tagliatelle: viele regionale Nudelkreationen

In Italien ist Pasta heute ein "machtvolles Signal kultureller Zugehörigkeit", erklärt Massimo Montanari, das sich im Laufe der Geschichte aber erst durch den Einfluss vieler Kulturen entwickelt hat. Denn im jahrhundertelang politisch zersplitterten Italien waren die einzelnen Regionen sehr verschiedenen und grenzen sich bis heute durch eigene Traditionen voneinander ab. Auch mit unterschiedlichen Pasta-Sorten: Rigatoni aus Kampanien, Tagliatelle aus der Emilia-Romagna, Rascatielli aus Kalabrien oder Papardelle aus der Toskana.

In Italien repräsentieren Nudeln die Regionen und damit auch Heimat, Herkunft und Identität. So sind mit "Pasta" nicht nur die großen Themen der Gegenwart verbunden, sondern auch ganz persönliche Emotionen.

Dieter Richter Con gusto. Die kulinarische Geschichte der Italiensehnsucht

Pizza und Pasta essen die Deutschen am liebsten. Was heute wie selbstverständlich auf unsere Tische kommt, galt unseren Vorfahren lange als ungenießbarer Fraß. Dieter Richter erzählt in „Con Gusto“ unterhaltsam, wie aus der einstigen deutschen Abneigung der italienischen Küche eine große Liebe wurde.
Rezension von Julia Schröder.
Wagenbach Verlag, 168 Seiten, 20 Euro
ISBN 978-3-8031-1362-7

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