Chronobiologie

Die innere Uhr: Taktgeber für unsere Gesundheit

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Anja Braun
Anja Braun, Reporterin und Redakteurin SWR Wissen aktuell. (Foto: SWR, Christian Koch)

SWR2 Wissen von Maike Brzoska

EU-Parlament und Mitgliedsstaaten wollen die Zeitumstellung abschaffen. Chronobiologen bestätigen: Das wirft die innere Uhr des Menschen kurzfristig aus dem Takt. Aber aus den Forschungen um die innere Uhr lässt sich noch viel mehr ableiten.

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Die Zahl der Herzinfarkte steigt nach der Zeitumstellung kurzfristig an

Viele Menschen reagieren auf die Zeitumstellung mit leichten gesundheitlichen Problemen: Müdigkeit, Schwierigkeiten beim Einschlafen und Konzentrationsprobleme sind die häufigsten Beschwerden. Doch auch die Zahl der Herzinfarkte steigt in den ersten drei Tagen nach dem Zeitwechsel.

Das hat die Krankenkasse DAK festgestellt. Unter ihren Versicherten gab es 40 Herzinfarkte am Tag statt der sonst üblichen 30. Hinzu kommen 15 Prozent mehr Krankschreibungen am ersten Tag nach der Zeitumstellung. Das zeigt: Die Umstellung bringt die innere Uhr des Menschen ordentlich aus dem Takt.

Frau wird unsanft vom Wecker-Klingeln in ihrem Bett überrascht und  hält sich die Ohren zu. (Foto: Getty Images, Thinkstock -)
Die Zeitumstellung rüttelt die innere Uhr des Menschen durcheinander. Es dauert, bis der Organismus sich an die neue Zeit gewöhnt. Thinkstock -

Alle Körperfunktionen des Menschen folgen einem Tag-Nacht-Rhythmus

Alle Prozesse sind rhythmisch organisiert, haben aktive Phasen und Zeiten der Ruhe.

  • Die Blase etwa arbeitet morgens auf Hochtouren.
  • Der Darm entleert sich vormittags am schnellsten.
  • Die Körpertemperatur ist am frühen Abend am höchsten und in der Nacht am niedrigsten.
  • In der Nacht hingegen ist der Mensch sehr schmerzempfindlich. Tagsüber lässt das Schmerzempfinden bis zum Nachmittag nach. Schmerzempfindliche Menschen sollten erst am Nachmittag zum Zahnarzt gehen. Lokale Betäubungen wirken dann bis zu drei Mal länger als morgens.
  • Blutdruck und Herzfrequenz steigen in den frühen Morgenstunden an, schon vor dem Wachwerden. Deshalb ereignen sich zu dieser Uhrzeit besonders viele Herzinfarkte und Schlaganfälle. Blutdrucksenkende Medikamente sollten deshalb so früh wie möglich eingenommen werden.

Gesteuert werden diese Auf und Abs von der inneren Uhr. Sie ist in unseren Genen verankert.

Doch die innere Uhr kann sich anpassen. Sonst wäre es auch nicht möglich einen Jetlag, eine durchtanzte Nacht – oder eben eine Zeitumstellung auszugleichen.

Sonnenaufgang bei Obersayn im Westerwald (Foto: SWR, Sonnenaufgang bei Obersayn im Westerwald -)
Tageslicht ist bis zu zehntausendmal heller als das Licht in unseren Wohnräumen und Büros. Es hilft der inneren Uhr ihren Takt zu finden. Sonnenaufgang bei Obersayn im Westerwald -

Dunkle Büros irritieren die innere Uhr

Wenn es morgens hell wird, wacht der Mensch auf, zumindest wenn sein Schlafbedürfnis nicht allzu groß ist. Das Problem ist nur: Viele verschwinden schon bald nach dem Aufstehen wieder in relativ dunklen Büros.

In den meisten Räumen ist es zu dunkel für die innere Uhr. Das merkt der Mensch nicht zwangsläufig, denn die Augen gewöhnen sich daran. Das Licht unter freiem Himmel ist aber bis zu zehntausendmal heller.

Irritierend für den inneren Taktgeber ist außerdem, dass viele Menschen abends noch vor Bildschirmen sitzen. LEDs, Computer, Smartphones halten die Bediener mit ihrem bläulichen Licht wach. Das kann den Schlaf negativ beeinflussen, ihn weniger erholsam machen.

Helles Licht am Morgen hilft die innere Uhr wieder richtig zu stellen

Lichtforscher raten, dass wir nach zu langen Nächten unsere innere Uhr wieder richtig stellen sollten. Am besten gehe das durch helles Licht am Morgen.

Natürliches Licht unterstützt unsere innere Uhr. Sie würde aber auch ohne funktionieren. Sogar in ständiger Dunkelheit wacht ein Mensch immer wieder aus dem Schlaf auf. Studien haben gezeigt, dass die meisten Menschen eher einen 25-Stunden-Tag hätten als einen 24-Stunden-Tag.

Bunya pine im Sonnenaufgang (Foto: Getty Images, Thinkstock -)
Die innere Uhr des Menschen kann sich mit Hilfe des Sonnenlichtes an den Wechsel der Jahreszeiten anpassen. Sie synchronisiert sich mit der Natur. Thinkstock -

Das Sonnenlicht synchronisiert die innere Uhr des Menschen mit dem Takt der Natur

Dieses Zusammenspiel aus innerem und äußerem Rhythmus macht es möglich, dass der Mensch sich an einen neuen Hell-Dunkel-Wechsel gewöhnen kann, etwa der Jahreszeiten. Und es gibt dem modernen Menschen die Möglichkeit, sich an andere Zeitzonen anzupassen oder die Nacht durchzuarbeiten. Denn es fällt ja niemand gleich in Tiefschlaf, wenn die Sonne untergeht.

Gegen die innere Uhr zu leben ist anstrengend

Einen Jetlag auszukurieren, dauert meist ein paar Tage, ein Schlafdefizit können viele Menschen erst am Wochenende ausgleichen. Arbeitet jemand häufig gegen seinen Rhythmus, kann das aber die Gesundheit beeinträchtigen. Gerade Schichtarbeiter zeigen gesundheitliche Probleme wie Schlafstörungen. Auch das Risiko für Stoffwechselkrankheiten wie Diabetes ist erhöht. Außerdem scheinen Schichtdienste gerade älteren Menschen zuzusetzen.

Empfehlung: Weniger Wechselschicht

Schlafforscher empfehlen Unternehmen die Schichtarbeit möglichst gesundheitsschonend zu gestalten: Schichtarbeiter sollten weniger Wechselschicht arbeiten. Eine ganze Woche lang jede Nacht zu arbeiten und tags zu schlafen, sei weniger irritierend für die innere Uhr als ein ständiger Wechsel der Arbeitszeiten.

Medikamente sollten gemäß der inneren Uhr eingenommen werden

Der Heidelberger Chronopharmakologe Björn Lemmer betont, dass bei vielen Arzneimitteln auch der Einnahmezeitpunkt für die Wirkung wichtig ist. So leiden zum Beispiel viele Menschen unter Asthma oder allergischen Reaktionen. Diese sind wesentlich ausgeprägter in der Nacht als am Tag. Auch die Lungenfunktion ist schlechter in der Nacht als am Tag. Deshalb gibt es hier klare Regeln, dass Medikamente beim Asthma besser abends genommen werden sollten.

Wer zu einer bestimmten Tageszeit geimpft wird, hat einen längeren Schutz als andere

Eine Grippe-Impfung wirkt zu bestimmten Tageszeiten besser als zu anderen. Eine Studie hat gezeigt: Wer sich morgens impfen lässt, hat vier Wochen später oft einen besseren Schutz als diejenigen, die die Impfung am Nachmittag erhalten haben.

Eine Frau erhält eine Impfung (Foto: Getty Images, Thinkstock -)
Wer sich morgens gegen Grippe impfen lässt, hat offenbar einen längeren Schutz. Thinkstock -

Auch die Chemotherapie könnte wirksamer werden

Eine Chemotherapie hat das Ziel, mutierte Krebs-Zellen mithilfe eines giftigen Wirkstoffs abzutöten. Der Wirkstoff zerstört diejenigen Zellen, die sich gerade teilen und deshalb angreifbar sind. Könnten Ärzte eine Tageszeit bestimmen, zu der sich besonders viele Krebszellen teilen, während andere Körperzellen ruhen, würden mehr Krebszellen zerstört werden bei gleichzeitig weniger Nebenwirkungen. Erste vielversprechende Tests mit Darmkrebspatienten gibt es bereits.