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Die Hausfrau – Was Care-Arbeit mit Kapitalismus zu tun hat

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Julia Haungs
Julia Haungs, Autorin  und Redakteurin, SWR Kultur (Foto: Julia Haungs)
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Noa Lübcke
Lukas Meyer-Blankenburg
Lukas Meyer-Blankenburg (Foto: SWR, Oliver Reuther)
Candy Sauer

Die meisten Mütter wuppen Haushalt, Kinder und Beruf – eine enorme Leistung. Für ihre Männer bequem, für die Gesellschaft günstig. Die Hausfrau ist ein historisch junges Phänomen.

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Kulturelle Frauenfeindlichkeit seit der Aufklärung

Die enge Verknüpfung von Care-Arbeit und Geschlecht beginnt im späten 18. Jahrhundert. Die Französische Revolution verspricht den Menschen Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit gemeint sind aber eigentlich nur die Männer. Genauer: weiße, wohlhabende Männer. Prägende Köpfe der Aufklärung entwerfen ein fragwürdiges Frauenbild. Sie wollen wissenschaftlich beweisen, dass Frauen weniger Verstand besitzen.

"Zu Pflegerinnen und Erzieherinnen unserer ersten Kindheit eignen die Weiber sich gerade dadurch, dass sie selbst kindisch, läppisch und kurzsichtig, mit einem Worte, Zeit Lebens große Kinder sind, eine Art Mittelstufe zwischen dem Kind und dem Manne, als welcher der eigentliche Mensch ist."

Der Typus der gelehrten Frau, den es in der Frühaufklärung noch gibt, wird zum Ende des 18. Jahrhunderts vom sogenannten "natürlichen Geschlechtscharakter der Frau" verdrängt. Eine Frau soll sittsam sein, tugendhaft und fleißig. Damit bleibt ihr noch genau eine Rolle: die der Hausmutter.

Familienleben in einem bürgerlichens Wohnzimmer in Deutschland Anfang des 16. Jahrhunderts. (Schulwandbild. Farblithographie aus der Serie: Ad. Lehmann’s kulturgeschichtliche Bilder, Leipzig (F.E. Wachsmuth) o. J. (um 1890). (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture alliance / akg-images | akg-images)
Familienleben in einem bürgerlichens Wohnzimmer in Deutschland Anfang des 16. Jahrhunderts. (Schulwandbild. Farblithographie aus der Serie: Ad. Lehmann’s kulturgeschichtliche Bilder, Leipzig (F.E. Wachsmuth) o. J. (um 1890). Bild in Detailansicht öffnen
Die Lithografie zeigt das Familienleben in einer bürgerlichen Wohnstube, um 1840 (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture-alliance / akg-images | akg-images)
Die Lithografie zeigt das Familienleben in einer bürgerlichen Wohnstube, um 1840 Bild in Detailansicht öffnen

Industrialisierung: von der Hausmutter zur Hausfrau

Die Hausmutter ist neben dem Hausvater die mehr oder weniger gleichberechtigte Herrin des Hauses mit Finanzverantwortung und jeder Menge Personal unter sich. Das ändert sich erst im 19. Jahrhundert. Mit der Industrialisierung verlagert sich Arbeit weg vom Zuhause nach draußen. Viele bürgerliche Männer suchen sich Arbeit außerhalb der privaten Haushalte. Die Ehefrauen übernehmen notgedrungen viele Aufgaben selbst – die unbezahlte Hausarbeit ist geboren. Das neue Konzept der Liebesheirat verklärt die unbezahlte Arbeit der Ehefrau zudem als Liebesdienst am Mann. Doch nicht nur die Liebe des Mannes will erkocht und erputzt werden, auch die Fürsorge für das Kind rückt immer weiter ins Zentrum des Hausfrauendaseins.

Unbezahlte Hausarbeit stützt Kapitalismus

Die kapitalistische Wirtschaftsordnung, die sich im 19. Jahrhundert durchsetzt, kann leicht an diese Geschlechterstereotypen anknüpfen. Die Etablierung der unbezahlten Hausarbeit wird zur Grundlage dafür, dass die neue Art der Arbeitsorganisation überhaupt funktioniert. Denn nur wenn sich die Frau um Haushalt und Kinder kümmert, kann der Mann anderswo seiner Erwerbstätigkeit nachgehen. Alle Lebensbereiche ordnen sich ab jetzt der bezahlten Lohnarbeit unter.

"Es ist wichtig zu verstehen, dass kapitalistische Wirtschaftsweise und Geschlechterrollen sehr eng miteinander verbunden sind. Die Idee, dass Frauen das von Natur aus gerne machen, ist natürlich eine sehr profitable Idee, denn wenn sie es vermeintlich von Natur aus gerne und gratis machen, dann muss der Markt dafür nicht bezahlen."

Von nun an wird die Frau mit der Familie identifiziert, der Mann mit seinem Beruf. Hausarbeit gilt ab dem Ende des 19.Jahrhunderts nicht mehr als Beruf, sondern als die biologische Bestimmung der Frau. Das Bürgerliche Gesetzbuch von 1900 regelt diesen Zustand auch juristisch. Damit verliert die Frau endgültig die Möglichkeit, über das eigene Leben zu bestimmen. Auch wenn sich die erstarkende Frauenbewegung dagegen wehrt – so wird es die nächsten Jahrzehnte bleiben.

Nationalsozialismus bricht temporär mit den Geschlechterrollen

Den kurzen Jahren der Weimarer Republik mit dem Wahlrecht für Frauen und neuen Berufsmöglichkeiten im Büro folgt der Nationalsozialismus. Erste Staatsbürgerpflicht der Frau ist nun das Gebären neuer Krieger. Mütterschulen professionalisieren den Hausfrauenberuf. Doch spätestens mit dem Zweiten Weltkrieg sind die Frauen dann doch auch wieder im Beruf gefordert. Wo kriegsbedingt Männer fehlen, übernehmen Frauen. Aber kaum sind die Männer 1945 wieder zu Hause, kehren die Frauen an den Herd zurück.

Der Berliner Fröbelverein gründete in Berlin-Niederschönhausen eine Hausfrauen- und Mutterschule. Junge Frauen wurden dort in den verschiedenen Zweigen der Hauswirtschaft, der Kindererziehung und der Kinderpflege unterrichtet. Im Bild: Nahrungsmittellehre in der Küche, um 1930 (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture-alliance / brandstaetter images/Austrian Archives (S) | Anonym)
Der Berliner Fröbelverein gründete in Berlin-Niederschönhausen eine Hausfrauen- und Mutterschule. Junge Frauen wurden dort in den verschiedenen Zweigen der Hauswirtschaft, der Kindererziehung und der Kinderpflege unterrichtet. Im Bild: Nahrungsmittellehre in der Küche, um 1930 Bild in Detailansicht öffnen
Die erste Mütterschule entstanden bereits im Deutschen Reich und wurde 1917 in Stuttgart gegründet. Die Schulen sollten der hohen Säuglingssterblichkeit entgegenwirken. Ab 1933 wurden die Mütterschulen (im Bild ein Kurs um 1935) in die NS-Frauenpolitik eingebunden (Foto: IMAGO, IMAGO / teutopress)
Die erste Mütterschule entstanden bereits im Deutschen Reich und wurde 1917 in Stuttgart gegründet. Die Schulen sollten der hohen Säuglingssterblichkeit entgegenwirken. Ab 1933 wurden die Mütterschulen (im Bild ein Kurs um 1935) in die NS-Frauenpolitik eingebunden Bild in Detailansicht öffnen
Eine Mutter mit ihren 6 Kindern im Deutschland der späten 1930er-Jahre: Im Nationalsozialismus ist erste Staatsbürgerpflicht der Frau das Gebären künftiger Soldaten. Mütterschulen professionalisieren den Hausfrauenberuf. (Foto: IMAGO, IMAGO / imagebroker)
Eine Mutter mit ihren 6 Kindern im Deutschland der späten 1930er-Jahre: Im Nationalsozialismus ist erste Staatsbürgerpflicht der Frau das Gebären künftiger Soldaten. Mütterschulen professionalisieren den Hausfrauenberuf. Bild in Detailansicht öffnen

"[Die Männer der Nachkriegszeit] sind oft körperlich verletzt, sie sind psychisch zerstört. Diesen Männern muss man einen Rahmen geben, in dem sie sich fangen können und wieder gut sein können. Das Hausfrauenmodell ist etwas, was dem zerstörten Mann wieder ganz viel Sicherheit gibt und zur Remaskulisierung der Gesellschaft beiträgt."

Hausfrauen im Kalten Krieg: idealisiert im Westen, verpönt im Osten

Im Kalten Krieg wird die Hausfrau geradezu eine Ikone des Westens, nicht nur in der Bundesrepublik. Auch in anderen europäischen Ländern und den USA gilt die Hausfrau als Statussymbol des Kapitalismus. Wer es sich irgendwie leisten kann, hat eine erwerbslose Ehefrau zu Hause. Und zwar anders als im Kaiserreich über alle Gesellschaftsschichten hinweg. Die werktätige Frau des Ostens wird zum Schreckgespenst. Lieber verpflichtet man in der Bundesrepublik ausländische Gastarbeiter, als dass man die Berufstätigkeit von Frauen fördert.

Puppenwerk Lauscha in Thüringen um 1950: Während Frauen in der DDR ganz selbstverständlich einem Beruf nachgingen, ... (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture alliance/United Archives | United Archives / Erich Andres)
Puppenwerk Lauscha in Thüringen um 1950: Während Frauen in der DDR ganz selbstverständlich einem Beruf nachgingen, ... Bild in Detailansicht öffnen
... galt die Hausfrau in westlichen Ländern als Statussymbol. Hier: Ada Martin mit ihren Töchtern Jo Ann und Linda um 1950 beim Aufhäengen der Wäsche im Garten hinter dem Farmhaus in Lancaster  Kentucky (USA) (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture-alliance / akg-images | akg-images)
... galt die Hausfrau in westlichen Ländern als Statussymbol. Hier: Ada Martin mit ihren Töchtern Jo Ann und Linda um 1950 beim Aufhäengen der Wäsche im Garten hinter dem Farmhaus in Lancaster / Kentucky (USA) Bild in Detailansicht öffnen

1970er Jahre: Aufbruch in der Geschlechterdebatte

Mit der Frauenbewegung in den 1970ern kommt Bewegung in die langlebigen Geschlechterbilder: 1977 ist die Frau nicht mehr gesetzlich verpflichtet, den Haushalt zu führen oder unbezahlt im Geschäft des Mannes mitzuarbeiten.

Arbeiten zu gehen, wird spätestens in den 1980er-Jahren auch eine ökonomische Notwendigkeit. Immer weniger Familien können sich das Hausfrauenmodell leisten. Gemacht werden muss die Care-Arbeit natürlich trotzdem und bleibt wieder größtenteils an den Frauen hängen.

Heute: Teilzeit als Voraussetzung für eine egalitäre Gesellschaft

Die meisten Frauen sind heute berufstätig. Mütter arbeiten größtenteils zumindest in Teilzeit weiter. Trotzdem wenden Frauen mehr als doppelt so viel Zeit für unbezahlte Care-Arbeit auf wie Männer – also für all die Tätigkeiten rund um Haushalt, Kinder, Pflege und Logistik. Das ist für das Funktionieren der Gesellschaft unabdingbar. Würde man die Care-Arbeit bezahlen, käme man laut Statistischem Bundesamt auf einen Betrag von mindestens 500 Milliarden Euro.

Studien zeigen, dass immer mehr Frauen an ihre Belastungsgrenze stoßen. Nicht erst seit der Coronapandemie nehmen Fälle von chronischer Erschöpfung, Burnout und Depressionen zu. Ähnlich wie in der Klimakrise wird es also auch rein ökonomisch immer teurer, nichts gegen diesen Missstand zu tun.

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