Seit Jahrzehnten kämpft die Volksgruppe der Jenischen, die in Österreich, aber auch in der Schweiz, in Frankreich und in Deutschland beheimatet ist, um Anerkennung als nationale Minderheit. Ihre Geschichte ist geprägt von Ausgrenzung und Verfolgung. Ein digitales Graphic Novel-Projekt des Jenischen Archivs erzählt in sehr intensiven Momenten vom Schicksal einer Volksgruppe aus eigener Sicht.
Juli 1979. Bei der 500 Jahr-Feier am Rosalien-Markt herrscht ein buntes Treiben: Riesenrad und Schiffschaukel, Musik und jede Menge Stände mit guten Sachen. Wegen des Jubiläums werden die ortsansässigen Händler mit einer Medaille ausgezeichnet. Nur ein Stand - der mit den Töpfen und Pfannen - geht leer aus. Dabei kommen die Unseren schon hierher, seit es den Markt gibt, beschwert sich die Händlerin. „Die Unseren", das sind die Jenischen.
Es ist nur eine kleine Szene in der Graphic Novel „Kein Himmel, kein Traum, Tagesmusik“, und doch bringt sie die jahrhundertelange Ausgrenzung der jenischen Minderheit mit voller Wucht auf den Punkt. Ein unsichtbares Volk bis heute, kritisiert die Autorin der Geschichte Simone Schönett:
„Kein einziges europäisches Land konnte sich bisher durchringen, die Jenischen anzuerkennen. Österreich hat es zwar im Regierungsprogramm stehen, aber es gibt keinerlei Entgegenkommen. Die Jenischen bemühen sich, aber auf staatlicher Ebene ist man nicht sehr interessiert, glaube ich.“
Bis heute kämpfen die Jenischen darum, als nationale Minderheit anerkannt zu werden. Das ist bislang nur in der Schweiz gelungen. Erst letztes Jahr forderte der Europarat Deutschland auf, in der Sache aktiv zu werden. Für die meisten Menschen ist diese Volksgruppe daher unsichtbar geblieben, zumal es erst seit kurzem Ansätze gibt, die eigene Geschichte zu dokumentieren. Denn Jenische haben eine mündliche Überlieferungstradition, so Michael Haupt vom Digitalen Jenischen Archiv:
„In den offiziellen Archiven und Akten kommen meistens nur die negativen Aspekte ihres Lebens zutage. Das heißt wenn Behörden darüber entscheiden, ob sie ihnen Hausierbewilligungen ausstellen oder die Jenischen sich ansiedeln lassen. Es geht um Heimatsberechtigungen usw. Dieser Blick auf Jenische ist immer davon geprägt, wie Behörden und Autoritäten auf sie blicken.“
„Kein Himmel, kein Traum, Tagesmusik“ – die digitale Graphic Novel erzählt dagegen aus der Innenperspektive. Jenische – zu denen auch Simone Schönett gehört – beschreiben, wie es war. Sie machen wie der Jazz-Akkordeonist Rudi Katholnig ihre eigene Musik, die man auf der Webseite des Comics abrufen kann.

August 1939. Bei einem geheimen Treffen im Wald beraten die Jenischen, wie es weitergehen soll, weil sie von den Nazis als sogenannte „arbeitsscheue Asoziale“ immer mehr unter Druck geraten. Flüchten, sich verstecken oder sich freiwillig der Wehrmacht als Soldaten anbieten? Illustratorin Isabel Peterhans zeichnet großflächig, dabei die Figuren in groben, angedeuteten Zügen - immer darauf bedacht, keine stereotypen Bilder zu erzeugen. Sie benutze zwar wenige, dafür aber sehr intensive Farben, erzählt sie.
„Die Geschichten sind sehr emotional und haben zum Teil auch sehr schwierige Inhalte, wenn es zum Beispiel um Zwangssterilisierung geht. Und da wollte ich durch die Farben schon ganz viel Emotionen ausdrücken und etwas von dieser Stimmung herüberbringen.“

Verfolgung, KZ-Haft, Zwangssterilisierung – das Leid der Jenischen im Dritten Reich wird nicht auserzählt, nur angedeutet und ist dennoch durch die eindrücklichen Zeichnungen sehr präsent.

Ein Leid, das sich bis in die jüngste Vergangenheit fortsetzt. Noch bis zu den 1970er Jahren mussten Jenische fürchten, dass die Behörden ihnen ihre Kinder wegnahmen.
Es sind einzelne, sehr intensive und berührende Momente, die diese Graphic Novel aufwirft, um das Leben der Jenischen sichtbar zu machen. Und es gibt sie tatsächlich nur als digitale Version im Netz auf der Seite des Jenischen Archivs. Das Charmante daran: fährt man über die einzelnen Sprechblasen, wechselt die Sprache vom Deutschen ins Jenische.