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Die digitale Hochschule – Wie viel E-Learning darf es sein?

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Ulrike Barwanietz
Candy Sauer
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Silvia Plahl
Silvia Plahl (Foto: SWR, privat)

Lernvideos, virtuelle Chatrooms und Online-Selbststudium – es wird viel experimentiert bei der digitalen Hochschullehre. Doch ausgewogene Konzepte gibt es kaum.

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Genauso unterschiedlich wie die Vorlieben der Studierenden sehen bislang die Lehrmethoden an deutschen Hochschulen aus: Teils wird nur das Vorlesungsskript ins Netz gestellt, teils gibt es eigens erstellte Lernplattformen mit Onlinekursen, Lehrvideos und Teamchats. Oder die vielen Hörerinnen und Hörer auf den Rängen im Audimax lassen ihre Professorinnen und Professoren im sogenannten Live-Feedback wissen: "Kann folgen", "bitte schneller", "abgehängt" – oder sie schicken ihnen Smileys.

Viel Potenzial, aber Forschung wird gegenüber der Lehre bevorzugt

Was auf den ersten Blick wie eine elektronische Spielerei aussieht, gehört für Jörg Dräger von der Bertelsmann Stiftung zu einem dringend nötigen Kulturwandel. Er leitet bei der gemeinnützigen Gütersloher Stiftung das Centrum für Hochschulentwicklung. Müsste er auf einer Skala von Eins bis Zehn bewerten, wie digital die deutschen Hochschulen heute sind, dann bekommen sie eine fünf mit viel ungenutztem Potenzial.

Der gelernte Physiker und ehemalige Hamburger Wissenschaftssenator Dräger ist sich sicher: Anders als etwa die Schulen hätten Deutschlands Universitäten und Fachhochschulen durchaus die Gelder und Kapazitäten, ihre Häuser in Eigenregie pädagogisch modern aufzustellen. Erst 2019 einigten sich Bund und Länder auf ein neues Programm "Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken", in das bis 2030 Milliarden von Euro fließen werden. Die meisten Hochschulen treiben jedoch vor allem die Forschung voran. Die Lehre ist weniger anerkannt, so der Vorwurf.

Lehrende sind überzeugt: digitale Hilfsmittel unterstützen das Lernen

Doch viele Lehrende sind längst überzeugt: Digitale Hilfsmittel bringen das Lernen in Schwung, sie können es vereinfachen und gut genutzt gezielt fördern. Denn in Videos werden Inhalte oft besser auf den Punkt gebracht – Visualisierungen oder Simulationen erzeugen vielleicht neue Aha-Effekte – ein verlinkter digitaler Text bringt beim Lesen sofort vergleichende Quellen oder widersprüchliche Meinungen mit ein. Und das anstatt sich in der Vorlesung oder im Seminar einfach nur berieseln zu lassen oder mitzuschreiben und zu Hause alleine mit offenen Fragen zu sitzen.

Der Trick beim Light-Board: dem Publikum zugewandt bleiben

Die Ingenieurwissenschaftlerin und Professorin Anja Pfennig erklärt in einem Sieben-Minuten-Video in der Mediathek der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft HTW die Nutzung des sogenannten "Light-Boards": eine Glasscheibe, auf der man mit Leuchtstiften ein Tafelbild entwickelt und erläutert, Rechenzüge macht oder Grafiken und Symbole zeichnet. Der Trick dabei: Man bleibt dem Publikum zugewandt. Anja Pfennig schreibt etwas auf eine Glasscheibe, fast als würde sie in die Luft schreiben. Durch die Schrift hindurch blickt sie ihre Zuschauer an.

Die Professorin für Werkstofftechnik hat dieses Light-Board selbst mit ihren Studierenden in einem Maschinenbaukurs entworfen und gebaut. Jörg Maier-Rothe ist verantwortlich für die e-Learning-Medien und hat festgestellt, dass die Hemmschwelle für einen solchen Light-Board-Film sehr niedrig ist – weil die Lehrenden dabei das tun, was sie immer tun. Er gibt ihnen nur ein gefaltetes Blatt, damit sie ihre Inhalte auf ein 16:9-Video-Format aufzeichnen.

Light-Board kann mit Moodle-Lernplattform kombiniert werden

Auch Anja Pfennig setzt schon länger darauf, das computergestützte Lernen zu Hause mit dem Unterricht auf dem Campus zu kombinieren. Sie hat schon einige Kolleginnen und Kollegen zu Light-Board-Videos für die sogenannten Moodle-Lernplattform ihrer Hochschule angeregt. Die frei zugängliche Moodle-Software nutzen viele Bildungseinrichtungen: Sie stellen ihre digitalen Lernangebote dort ein und passen sie ihrem Bedarf an.

Leerer Hörsaal (Foto: IMAGO, imago images/Schöning)
Hochschulen sollen der Gesellschaft die Digitalisierung vorleben, doch besteht hier noch viel ungenutztes Potenzial

Im Studium üblich: 50 Prozent selbst organisiertes Lernen

Hat man digitale Angebote produziert, muss man sich auch darum kümmern, dass diese zum Lernen motivieren und den Studentinnen und Studenten Lernerfolge bringen.

Selbst organisiert lernen sollte man während einer akademischen Ausbildung zu etwa fünfzig Prozent, dieser Leitsatz gilt seit jeher. Doch wie kann man im digitalen Zeitalter das digitale und analoge Selbstlernen fördern? Anja Horn von der Technischen Universität Kaiserslautern hat darauf eine eindeutige Antwort: Wiederholen, vertiefen und vor allem reflektieren, was man auch wirklich wiederholt und vertieft und vor allem gelernt hat. Wer sich beim Selbstlernzentrum der TU Kaiserslautern meldet, wird bei den eigenen Lernpräferenzen und -gewohnheiten abgeholt und darin geschult, damit sie sich entwickeln und reifen können. Das geht analog wie digital.

Informationen einschätzen, bewerten, Quellen exakt zuordnen

Eine der wichtigsten künftigen digitalen Kompetenzen: Ich muss nicht nur wissen, welche digitalen Mittel mir beim Lernen helfen und muss sie anwenden können – ich sollte darüber hinaus in der Lage sein, Informationen einzuschätzen und zu bewerten und Quellen exakt zuzuordnen.

Doch beim Lernen geht es nach wie vor darum, einen Stoff auch zu diskutieren, die Gedanken anderer Menschen einzubeziehen und sich selbst immer wieder klar zu machen, was man gelernt hat. Ergänzend zum oder mithilfe des e-Learnings.

Digitalisierung: mehr Vielfalt und Auflösung alter Strukturen

Und noch ein Lernpotenzial steckt in der digitalen Lehre: die kreative Zusammenarbeit und der Rollentausch zwischen den Studierenden und ihren Professorinnen und Professoren. Denn es gibt längst Lernvideos von den älteren für die jüngeren Semester, Professorinnen und Professoren, die mit ihren Studierenden neue Lehrkonzepte entwickeln.

Die alten Strukturen lösen sich langsam auf und die immer größer werdende Vielfalt an den Hochschulen fordert alle heraus. Denn die einen kommen frisch vom Abitur, die anderen steigen erst nach einer Berufsausbildung ein, einige haben Familie, andere studieren in Teilzeit oder im Selbststudium, kommen aus dem Ausland oder kombinieren verschiedene internationale Studienorte miteinander. Hochschulen – das wünschen sich viele – sollen schließlich der Gesellschaft die Digitalisierung vorleben.

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