BHs mit Cup-Größen von Triple-A bis H und Slips, die wahlweise als Bikini-, Taillen-, Hüft-, Mieder-, Tanga- oder Stringslip angeboten werden. In den Unterwäsche-Fachgeschäften, in Kaufhäusern und im Onlinehandel begegnet uns eine große Vielfalt.
Aber: Trotz des Überangebots an Dessous haben Frauen große Schwierigkeiten, einen bequemen, gut sitzenden Büstenhalter zu finden. Kenner der Szene wissen: 50 bis 70 Prozent aller Frauen in Deutschland sind mit ihrem Büstenhalter nicht zufrieden.

Einige von ihnen nehmen deshalb Nadel und Faden selbst in die Hand. Die große Chance für die Dessous-Akademie: Hier können sich Frauen in Freizeitkursen ihre Unterwäsche passgenau fertigen. Maßgeschneidert statt Massenware.
Herstellung der Unterwäsche war Aufgabe der Hausfrau
Adlige und begüterte Kreise schneiderten natürlich nicht selbst, das erledigten Hausmädchen oder Maßschneider. Weniger privilegierte Schichten legten bis weit ins 20. Jahrhundert selbst Hand an. Es war die Aufgabe der Hausfrau, die Unterwäsche der Familie zu schneidern und zu erhalten. Sie konnten sich auch keine teuren Stoffe wie Seide oder qualitativ hochwertiges Leinen leisten, sondern mussten auf einfache Baumwollgewebe zurückgreifen, oder auf „Hedeleinen“, das auch holzartige Stängelteile enthalten konnte.
Vaters Unterhose wurde recycelt
In Notzeiten verwertete man sogar bereits Getragenes wieder. In der „Deutschen Moden-Zeitung“ von 1931, die in der Weltwirtschaftskrise erschien, gab es unter der Überschrift: „Was Du ererbt von Deinen Vätern hast“ den folgenden Tipp: „Die Erbschaft besteht in Vaters ausgedienter Unterwäsche. Alle diese praktischen Wäschestücke für Mädels und Buben sind daraus hergestellt und werden so manches Mutterherz erfreuen, wenn wieder einmal etliche Mark gespart sind, denn so ein Wäschestück sieht gut aus und wird noch lange seinen Zweck erfüllen.“ Heute trägt hierzulande kein Teenie die Unterwäsche seiner Eltern auf. Der Griff ins nächste Wäscheregal im Kaufhaus oder Discounter ist längst normal geworden.

Dessous als Symbol politischer Macht
Mit Erotik hatten die ersten Dessous nichts zu tun, dafür sehr viel mit politischer Macht.
Vor etwa 3000 Jahren zogen Könige, hochrangige Männer, Priester - kurz alle, die etwas im alten Ägypten zu sagen hatten - aus Prestigegründen zwei Leinenschurze übereinander. Der obere Schurz war im Unterschied zum unteren mit aufwendigen Ornamenten versehen. So brachte die gesellschaftliche Elite Altägyptens mit der Zurschaustellung ihres privilegierten Standes die Unterhose hervor!
Bis weit über das Mittelalter hinaus trugen Frauen und Männer nur Unterhemden. Mehrere übereinander gezogen wärmten; beim Verrichten der Notdurft wurden sie kurz hochgerafft. Kein lästiges Beinkleid störte. Erst ab dem späten 18. Jahrhundert sind Männerunterhosen in Europa belegt, bei Frauen sogar noch später.
Widerstand gegen das Korsett als Beginn der Emanzipation
Ab dem 16. Jahrhundert entwickelte sich aus einfachen Schnürleibchen das mit Holz,- Rohr- oder Fischbein-Stäben verstärkte Korsett, das die Mode revolutionierte.
400 Jahre lang bestimmte es zunächst in den aristokratischen Eliten Europas, dann auch in den bürgerlichen Kreisen den Stil weiblicher Erscheinungen:
Die Silhouette einer Sanduhr - hoch gedrückte Brüste, ein betonter Po, dazwischen eine schmale Taille.
Dann kam der BH und stand zunächst Freiheit und Fortschritt, denn er machte das Korsett überflüssig. Die Befreiung von diesem so einengenden Kleidungsstück bezeichnete die amerikanische Autorin Elizabeth Stuart Phelps Ward, eine frühe Feministin, als den Beginn der Emanzipation.
Doch schon wenige Jahrzehnte später waren Frauen des BHs überdrüssig. Um gegen einen Schönheitswettbewerb zu protestieren, zogen am 7. September 1968 rund 400 Feministinnen nach Atlantic City und störten den Contest mit "Frauen sind kein Fleisch"-Rufen. Der Büstenhalter wurde landesweit zu einem Symbol für männliche Unterdrückung und die gesellschaftliche Benachteiligung der Frau.

Schummelwäsche und Wonderbras
Auch im 21. Jahrhundert wird der Körper von vielen als Skulptur begriffen und gestaltet. Zum Beispiel mit Hilfe von Requisiten. Sogenannte Schummelwäsche wie der „Wonderbra“, der kleine Busen größer aussehen lässt, oder Taillenformer mit Bauchweg-Funktion sind Unterwäsche, die Bauch, Brüste und Po dem Schlankheitsideal näher bringen. Instrumente der Körperformung, die im Verborgenen wirken und unter Hose, Hemd und Bluse gut versteckt werden.
Im Gegensatz dazu stehen Dessous, deren teure Spitze, extravagante Applikationen oder handgefertigte Korsagen immer öfter unter der Oberwäsche hervor blitzen und zeigen sollen, was sich ihre Trägerinnen und Träger leisten können.
Hinzu kommt die Kostenfrage - und eine Frage des Bewusstseins: Kaufe ich den BH für 5 Euro, der in Bangladesch gefertigt wurde, wo die Näherinnen am wenigsten bekommen und unter der Nähmaschine schlafen müssen? Oder achte ich hier auf Nachhaltigkeit und Qualität?
SWR 2017/2019
