Geschichte der Dessous (Foto: Colourbox, Colourbox -)

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Dessous – Kleine Geschichte der Unterwäsche

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Joachim Meißner
Joachim Meißner (Foto: SWR, Foto: Patrick Höniges)
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Ulrike Barwanietz
Ralf Kölbel
Ralf Kölbel, Online-Redakteur bei SWR Wissen aktuell sowie Redakteur bei SWR2 Wissen. (Foto: SWR, Christian Koch)

Vom Lendenschurz über Liebestöter zum Leopardenmuster-Tanga: Dessous waren immer schon ein Spiegel gesellschaftlicher Widersprüche, sozialer Fortschritte und intimer Vorlieben.

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BHs mit Cup-Größen von Triple-A bis H und Slips, die wahlweise als Bikini-, Taillen-, Hüft-, Mieder-, Tanga- oder Stringslip angeboten werden. In den Unterwäsche-Fachgeschäften, in Kaufhäusern und im Onlinehandel begegnet uns eine große Vielfalt.

Aber: Trotz des Überangebots an Dessous haben Frauen große Schwierigkeiten, einen bequemen, gut sitzenden Büstenhalter zu finden. Kenner der Szene wissen: 50 bis 70 Prozent aller Frauen in Deutschland sind mit ihrem Büstenhalter nicht zufrieden.

Viele Frauen sind mit ihren Büstenhaltern nicht zufrieden (Foto: Colourbox, Colourbox -)
Viele Frauen sind mit ihren Büstenhaltern nicht zufrieden

Einige von ihnen nehmen deshalb Nadel und Faden selbst in die Hand. Die große Chance für die Dessous-Akademie: Hier können sich Frauen in Freizeitkursen ihre Unterwäsche passgenau fertigen. Maßgeschneidert statt Massenware.

Herstellung der Unterwäsche war Aufgabe der Hausfrau

Adlige und begüterte Kreise schneiderten natürlich nicht selbst, das erledigten Hausmädchen oder Maßschneider. Weniger privilegierte Schichten legten bis weit ins 20. Jahrhundert selbst Hand an. Es war die Aufgabe der Hausfrau, die Unterwäsche der Familie zu schneidern und zu erhalten. Sie konnten sich auch keine teuren Stoffe wie Seide oder qualitativ hochwertiges Leinen leisten, sondern mussten auf einfache Baumwollgewebe zurückgreifen, oder auf „Hedeleinen“, das auch holzartige Stängelteile enthalten konnte.

Vaters Unterhose wurde recycelt

In Notzeiten verwertete man sogar bereits Getragenes wieder. In der „Deutschen Moden-Zeitung“ von 1931, die in der Weltwirtschaftskrise erschien, gab es unter der Überschrift: „Was Du ererbt von Deinen Vätern hast“ den folgenden Tipp: „Die Erbschaft besteht in Vaters ausgedienter Unterwäsche. Alle diese praktischen Wäschestücke für Mädels und Buben sind daraus hergestellt und werden so manches Mutterherz erfreuen, wenn wieder einmal etliche Mark gespart sind, denn so ein Wäschestück sieht gut aus und wird noch lange seinen Zweck erfüllen.“ Heute trägt hierzulande kein Teenie die Unterwäsche seiner Eltern auf. Der Griff ins nächste Wäscheregal im Kaufhaus oder Discounter ist längst normal geworden.

Unterwäsche aus Omas Zeiten (Foto: picture-alliance / dpa, picture-alliance / dpa -)
Unterwäsche aus Omas Zeiten

Dessous als Symbol politischer Macht

Mit Erotik hatten die ersten Dessous nichts zu tun, dafür sehr viel mit politischer Macht.

Vor etwa 3000 Jahren zogen Könige, hochrangige Männer, Priester - kurz alle, die etwas im alten Ägypten zu sagen hatten - aus Prestigegründen zwei Leinenschurze übereinander. Der obere Schurz war im Unterschied zum unteren mit aufwendigen Ornamenten versehen. So brachte die gesellschaftliche Elite Altägyptens mit der Zurschaustellung ihres privilegierten Standes die Unterhose hervor!

Bis weit über das Mittelalter hinaus trugen Frauen und Männer nur Unterhemden. Mehrere übereinander gezogen wärmten; beim Verrichten der Notdurft wurden sie kurz hochgerafft. Kein lästiges Beinkleid störte. Erst ab dem späten 18. Jahrhundert sind Männerunterhosen in Europa belegt, bei Frauen sogar noch später.

Widerstand gegen das Korsett als Beginn der Emanzipation

Ab dem 16. Jahrhundert entwickelte sich aus einfachen Schnürleibchen das mit Holz,- Rohr- oder Fischbein-Stäben verstärkte Korsett, das die Mode revolutionierte.
400 Jahre lang bestimmte es zunächst in den aristokratischen Eliten Europas, dann auch in den bürgerlichen Kreisen den Stil weiblicher Erscheinungen:
Die Silhouette einer Sanduhr - hoch gedrückte Brüste, ein betonter Po, dazwischen eine schmale Taille.

Dann kam der BH und stand zunächst Freiheit und Fortschritt, denn er machte das Korsett überflüssig. Die Befreiung von diesem so einengenden Kleidungsstück bezeichnete die amerikanische Autorin Elizabeth Stuart Phelps Ward, eine frühe Feministin, als den Beginn der Emanzipation.

Doch schon wenige Jahrzehnte später waren Frauen des BHs überdrüssig. Um gegen einen Schönheitswettbewerb zu protestieren, zogen am 7. September 1968 rund 400 Feministinnen nach Atlantic City und störten den Contest mit "Frauen sind kein Fleisch"-Rufen. Der Büstenhalter wurde landesweit zu einem Symbol für männliche Unterdrückung und die gesellschaftliche Benachteiligung der Frau.

Drei Anhängerinnen der amerikanischen Frauen-Befreiungsbewegung haben sich während einer Anti-BH-Demonstration am 5. August 1969 in Chicago von ihren Büstenhaltern befreit (Foto: picture-alliance / dpa, picture-alliance / dpa -)
Drei Anhängerinnen der amerikanischen Frauen-Befreiungsbewegung haben sich während einer Anti-BH-Demonstration 1969 in Chicago von ihren Büstenhaltern befreit

Schummelwäsche und Wonderbras

Auch im 21. Jahrhundert wird der Körper von vielen als Skulptur begriffen und gestaltet. Zum Beispiel mit Hilfe von Requisiten. Sogenannte Schummelwäsche wie der „Wonderbra“, der kleine Busen größer aussehen lässt, oder Taillenformer mit Bauchweg-Funktion sind Unterwäsche, die Bauch, Brüste und Po dem Schlankheitsideal näher bringen. Instrumente der Körperformung, die im Verborgenen wirken und unter Hose, Hemd und Bluse gut versteckt werden.

Im Gegensatz dazu stehen Dessous, deren teure Spitze, extravagante Applikationen oder handgefertigte Korsagen immer öfter unter der Oberwäsche hervor blitzen und zeigen sollen, was sich ihre Trägerinnen und Träger leisten können.

Hinzu kommt die Kostenfrage - und eine Frage des Bewusstseins: Kaufe ich den BH für 5 Euro, der in Bangladesch gefertigt wurde, wo die Näherinnen am wenigsten bekommen und unter der Nähmaschine schlafen müssen? Oder achte ich hier auf Nachhaltigkeit und Qualität?

SWR 2017/2019

Näherin für Unterwäsche in Myanmar (Foto: picture-alliance / dpa, picture-alliance / dpa - Foto: Christiane Oelrich/dpa)
Näherin für Unterwäsche in Myanmar

Gesellschaft Nackt sein – Zwischen Freizügigkeit und Schamgefühl

Oben ohne im Schwimmbad, nackt in der Familie, bedeckt in der Sauna: Womit wir uns wohlfühlen, hängt von Erziehung, Alter, Geschlecht, Kultur und von persönlichen Vorlieben ab.

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Auf den Leib geschnürt Besuch im Dessous-Geschäft

Korsetts haben ja immer noch einen etwas verruchten Touch, dabei werden sie immer öfter auch tagsüber und statt untendrunter, oben drüber getragen. Wie man im Jahre 2018 ein Korsett trägt und wie sich das anfühlt, für jemanden, der das sonst eher nicht macht, wollte unsere Autorin Magdalena Bienert herausfinden und hat sich in Berlin Mitte mit Tonia Merz getroffen. Die Designerin hat schon seit 16 Jahren einen reinen Korsett-Laden, nebst Werkstatt nebenan. Ein Besuch bei ihr.

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Geschichte der Mode Gustav Jäger – Pionier der Wollkleidung

Um 1900 entwickelte Gustav Jäger Kleidung aus reiner Wolle, die als besonders gesund galt. König Wilhelm II. trug sie ebenso wie Oscar Wilde. Jägers Dufttheorie wurde zur Inspiration für "Das Parfum".

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Geschichte: aktuelle Beiträge

Gesellschaft Der Umgang mit Katastrophen (1/2) | Unvorhergesehenes brennt sich tief ins Gedächtnis ein

Vulkanausbrüche, verheerende Feuersbrünste, Tsunamis – Katastrophen zwingen Menschen, sich mit dem Unvorhersehbaren, dem Schicksal, dem Zufall auseinanderzusetzen. Von Sabine Appel. (SWR 2023) Diese Sendung ist der erste Teil einer Kurzreihe. Der zweite Teil heißt „Der Umgang mit Katastrophen in der Moderne (2/2)“. | Manuskript und mehr zur Sendung: http://swr.li/umgang-katastrophen1 | Bei Fragen und Anregungen schreibt uns: wissen@swr2.de | Folgt uns auf Mastodon: https://ard.social/@SWR2Wissen

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Medizin Hoffnung für Contergan-Geschädigte auf Entschädigung

Die Einnahme von Contergan in der Schwangerschaft war einer der größten Medizinskandale. Damals kamen tausende Babys mit schweren Missbildungen zu Welt. Jetzt können Betroffene neue Hoffnung schöpfen, denn in den vergangenen Jahren wurden möglicherweise hunderte Entschädigungsanträge unrechtmäßig abgelehnt.

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Archivradio-Gespräch Die Frauenbewegung – Vom Wahlrecht bis zur feministischen Außenpolitik

Schon vor mehr als hundert Jahren kämpften Frauen um ihre Rechte. Historische Tonaufnahmen belegen: Sie hatten dabei keineswegs nur konservative Männer gegen sich. Lukas Meyer-Blankenburg im Gespräch mit Hedwig Richter. (SWR 2023) | Mehr zur Sendung: http://swr.li/frauenbewegung | Bei Fragen und Anregungen schreibt uns: wissen@swr2.de | Folgt uns auf Mastodon: https://ard.social/@SWR2Wissen

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