SWR2 Wissen | Porträt zum 250. Geburtstag

Der Dichter Novalis und die Romantisierung der Welt

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Brigitte Kohn
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Candy Sauer

Friedrich von Hardenberg ( 2. Mai 1772 bis 25. März 1801), besser bekannt als Novalis, war ein spannungsgeladener, hochgebildeter, hochspekulativer Geist.

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Friedrich von Hardenberg – Dichter der Blauen Blume

Novalis gilt als Dichter der Blauen Blume, des frühromantischen Ursymbols. Sie hat ihm den Ruf schwärmerischer Harmonie eingetragen. Doch der Poet war ein spannungsgeladener, hochgebildeter, hochspekulativer Geist.

Was ihn umtrieb war die Entfremdung im Verhältnis zwischen Mensch und Welt, aufgerissen durch beginnende Industrialisierung, rationalistische Aufklärung und Französische Revolution. Heilung verspricht sein ästhetisches Konzept von der Romantisierung der Welt, sein poetischer Traum vom Goldenen Zeitalter.

Die Mutter als Hort der Liebe und Geborgenheit

Mütter haben eine starke Stellung in Novalis‘ Werk. Sie sind ein Hort der Liebe und Geborgenheit. Seine eigene Mutter, Bernhardine Auguste, bringt ihn am 2. Mai 1772 im Mansfelder Land, heute Sachsen-Anhalt, als zweites ihrer insgesamt elf Kinder zur Welt. Er ist ein Sprössling des alten Adelsgeschlechts derer von Hardenberg.

Der Liebe der Mutter Liebe verdankt Novalis die tiefe Überzeugung von der inneren Schönheit und Harmonie der Welt, die sein gesamtes Werk durchzieht. Mit dem Vater gibt es allerdings Probleme. Er ist ein pflichtbewusster Protestant pietistischer Prägung.

Neun von zehn Geschwistern sterben früh, die meisten zu Novalis‘ Lebzeiten. Novalis, talentiert und wissbegierig, fleißig und belesen, verarbeitet ihren Tod und den Stress mit dem Vater durch schöpferisches Tun. Er dichtet, aber er tanzt und feiert auch gern, ist beliebt bei den Mädchen.

Was immer er anpackt, scheint ihm zu glücken: sein Studium, seine Arbeit als Jurist, später als Geologe und Salinentechniker im Bergbau. Dieser prosaische Alltag belastet ihn nicht, zumindest beklagt er sich nie. Wer die Welt durch Poesie verändern will, muss sie schließlich kennenlernen. Muss lernen, aus allem Inspiration zu schöpfen und Unterschiedliches, scheinbar Gegensätzliches zusammenzudenken.

Novalis – geprägt von Immanuel Kant und Johann Gottlieb Fichte

Novalis ist geprägt von der Transzendentalphilosophie seiner Zeit, vor allem von Immanuel Kant und seinem Schüler Johann Gottlieb Fichte. Sie sagen, dass es eine vom Menschen unabhängige Außenwelt gar nicht gibt. Alles Erkennen hängt vom Menschen und den Strukturen seines Bewusstseins ab. Das Ich setzt sich selbst, lehrt Fichte, und es setzt die Außenwelt als sein Nicht-Ich.

Frühromantiker diskutieren über Aufklärung und Französische Revolution

Novalis und sein Freund Friedrich Schlegel gehören zum Kreis der Jenaer Frühromantik, einer genialen Ideenschmiede, die nach neuen literarischen Ausdrucksformen sucht. Sie diskutieren über die Aufklärung und die Französische Revolution. Über die Hoffnungen, die sie freigesetzt, die Blutbäder, die sie angerichtet hat. Was ist schiefgegangen? Wie kann man den Menschen dazu befähigen, die Welt weniger explosiv, aber trotzdem kreativ zu verändern? Denn auf den Menschen kommt es schließlich an.

"Ein noch sehr junger Mensch – von schlanker guter Bildung, sehr feinem Gesicht mit schwarzen Augen, von herrlichem Ausdruck, wenn er mit Feuer von etwas Schönem redet – unbeschreiblich viel Feuer – er redet dreimal mehr und dreimal schneller als wir andre – die schnellste Fassungskraft und Empfänglichkeit."

Novalis verliebt sich in die 12-jährige Sophie von Kühn

Im November 1794 begegnet Novalis einem jungen Mädchen, das fast noch ein Kind ist und in das er sich Hals über Kopf verliebt: Sophie von Kühn, Tochter eines Rittergutbesitzers aus Grüningen. Novalis ist 22 Jahre alt, sie 12, das ist auch für damalige Verhältnisse arg jung. Zeitgenossen beschreiben Sophie übereinstimmend als ein sehr reizvolles, anrührendes Mädchen, und Novalis ist völlig hingerissen.

Für Lust und Leidenschaft ist Sophie zu jung. Und offensichtlich braucht Novalis etwas anderes, nämlich kindliche Unschuld und Naivität, Stabilität und Beruhigung für sein hochgespanntes Ich. Die Familie willigt in die Verlobung ein, und Novalis kommt häufig zu Besuch. Aber sein Tagebuch lässt daran zweifeln, dass es Sophie in dieser Beziehung gut geht. Das junge Mädchen scheint sich vereinnahmt zu fühlen, überfordert zu sein.

Im November 1795 erkrankt Sophie an Tuberkulose. Es folgt ein Auf und Ab mit entsetzlich qualvollen Behandlungen, bis sie im März 1797 stirbt, erst 15 Jahre alt.

Mit Sophies Tod hat Novalis freie Bahn für grenzenlose Idealisierungen. Sie weist ihm den Weg zu einem höheren Bewusstsein, wird ihm zur Repräsentantin einer höheren Menschheit, eine Mittlerin zum Jenseits wie Christus, Sinnbild für eine neue und umfassende Erfahrung der Transzendenz.

Interesse für Naturwissenschaften öffnet Novalis' Blick Richtung Außenwelt

Doch das Leben geht weiter. Er nimmt ein zweites Studium auf, um später im Salzbergbau zu arbeiten. Dabei vertieft er sein Interesse für Naturwissenschaften, für Geologie, Mineralogie, Chemie, Mathematik. Der Blick geht Richtung Außenwelt.

Novalis sucht überall Zusammenhang und Verbindung. Am liebsten würde er alle Wissenschaften zu einer zusammenführen, die allgegenwärtige Zersplitterung und Spezialisierung schmerzt ihn. Wenn er über die Konstellation der Sterne oder über das Sonnensystem nachdenkt, entdeckt er Parallelen zum Gemeinschaftsleben der Menschen. Brauchen nicht auch Menschen eine leuchtende Mitte, um die sie kreisen können wie Planeten? Ein Staat sollte Menschen mehr bieten als Gesetze und Ordnungen. König und Königin könnten Vorbilder sein, die den Menschen ihre eigene Würde, ihre eigene Thronfähigkeit, vor Augen stellen. Und natürlich kann soll und kann auch die Religion eine solch leuchtende Mitte sein.

In der Natur offenbart sich die göttliche Liebe

Die Natur hat für Novalis eine religiöse Dimension, als Offenbarung der göttlichen Liebe. Politik sollte ebenfalls eine religiöse Dimension haben, schreibt er in seinem Essay „Die Christenheit und Europa“. Das Christentum sollte, wie im Mittelalter, die Völker Europas einen, damit sie nicht falschen Göttern anheimfallen. Wo keine Götter sind, walten Gespenster, schreibt Novalis. Ein solches Gespenst sei zum Beispiel der Nationalismus, der immer wieder zu blutigen Kriegen führt.

Der Mensch, sagt Novalis, müsse lernen, sich als Teil der kosmisch-göttlichen Ordnung zu begreifen, statt die Natur auszubeuten und zu vernichten. In seinem Roman „Heinrich von Ofterdingen“ lernt der Held, seine Sinne für die Schönheit der Natur zu schärfen.

"Ich bin nicht müde geworden, besonders die verschiedene Pflanzennatur auf das sorgfältigste zu betrachten. Die Gewächse sind so die unmittelbarste Sprache des Bodens, jedes neue Blatt, jede sonderbare Blume ist irgendein Geheimnis, das sich hervordrängt, und das, weil es sich vor Liebe und Lust nicht bewegen und nicht zu Worten kommen kann, eine stumme, ruhige Pflanze wird."

Novalis ist kein Ökologe im modernen Sinne. Dem Fremden, Wilden, dem Unberechenbaren der Natur lässt er nur wenig Spielraum. Doch er weiß, dass allein Liebe und Verbundenheit mit der Natur und dem Kosmos den Menschen vor dem Abgrund retten kann, der sich in der Moderne vor ihm auftut.

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