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Das Pfandleihhaus – Schneller Kredit in der Not

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Jeanette Schindler
Jeanette Schindler (Foto: SWR, Jeanette Schindler)
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Candy Sauer

Gegründet wurden die ersten Leihanstalten im späten Mittelalter, während der Corona-Pandemie galten sie als systemrelevant. Trotzdem müssen sie immer noch um Anerkennung kämpfen.

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Der Handwerker verpfändet einen Firmenwagen, um die Arbeiter zu bezahlen, die Rentnerin ihren Goldring, um bis zum Monatsende über die Runden zu kommen.

Über 90 Prozent der Kunden holen ihre verpfändeten Gegenstände wieder ab, konstatiert der Bundesverband der Pfandkreditgeschäfte. Das Pfandleihhaus ermöglicht unkompliziert kurzfristige Kredite, die man bei der Bank nicht bekommen würde.

Monti di Pietà – Berge der Barmherzigkeit: erste Pfandleihhäuser in Italien

Menschen verpfänden Schmuck, Kleidung oder Werkzeuge – das ist mindestens seit 3.000 Jahren üblich. Private Pfandhäuser gab es schon im antiken Griechenland und im Römischen Reich.

Die Wiege der öffentlichen Pfandleihhäuser in Europa liegt in Italien im späten 15. Jahrhundert. Der Franziskanerorden gründete in dieser Zeit in der Lombardei Pfandhäuser unter dem Namen "Monti di Pietà", also "Berge der Barmherzigkeit". Ärmere Haushalte sollten so an günstige Kleinkredite kommen. Denn private Pfandleiher verlangten oft horrende Zinsen.

Das erste "Monte di Pietà" wurde 1462 in Perugia eröffnet. Andere Städte folgten. Im Jahr 1500 gab es in Italien schon 130 Monti di Pietà. Und im Gegensatz zu Banken wurden sie als Non-Profit-Organisationen gegründet.

Palazzo del Monte di Pietà: Das Gebäude wurde von der Gemeinde Vicenza geschaffen und am 12. Juni 1486 mit der gleichzeitigen Einrichtung eines Pfandhauses in der Kirche San Vincenzo, das seitdem Eigentum des Monte ist, offiziell eröffnet. (Foto: IMAGO, IMAGO / imagebroker)
Palazzo del Monte di Pietà: Das Gebäude wurde von der Gemeinde Vicenza geschaffen und am 12. Juni 1486 mit der gleichzeitigen Einrichtung eines Pfandhauses in der Kirche San Vincenzo, das seitdem Eigentum des Monte ist, offiziell eröffnet.

"Jeglicher Gewinn, der beispielsweise aus Auktionen von nicht eingelösten Pfandobjekten stammt, sollte immer an die Schuldner zurückgegeben werden."

Die Historikerin Tanja Skambraks erforscht an der Universität Mannheim die Überlebensstrategien der arbeitenden Armen im Mittelalter.

"Diese caritative Motivation, die hinter der Gründung der kommunalen Pfandleihanstalten steckt, ist ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal in Bezug auf die Banken."

Damit sind diese Leihanstalten im Mittelalter eine sozialpolitische Innovation, erklärt Tanja Skambraks.

Kleinkredite, heute würde man von Mikrokrediten sprechen, die Leihhäuser gegen ein Objekt als Sicherheit gewährten, spielten dabei eine entscheidende Rolle. Dabei waren die Objekte selbst meist relativ wertlos, so die Historikerin:

"Es waren meistens Haushaltsgegenstände, teilweise aber auch Schmuck oder Waffen, Bücher. Auf der anderen Seite haben wir aber auch Überlieferungen, die uns zeigen, dass reichere Stadtbürger durchaus ihre Pelze, ihre wertvollen Gegenstände, ja, ihre Wintergarderobe gern im Sommer beim Monte verpfänden."

Das bringt den Menschen nicht nur Geld: Die Menschen wissen ihren Besitz in der Leihanstalt sicher verwahrt, so Tanja Skambraks.

Erstes deutsches Leihhaus ab 1603 in Augsburg

Das erste öffentliche Pfandleihhaus auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands wurde 1603 in Augsburg gegründet. Die Leihhäuser breiteten sich aber erst nach dem Dreißigjährigen Krieg Ende des 17. Jahrhundert und im 18. Jahrhundert aus. Die Franziskaner und Gründer der Monti hatten in ihren Predigten jüdische Pfandleiher beschuldigt, Wucher zu betreiben und sie aus den Städten verdrängt. Das Thema Antisemitismus sei auch schon bei der Gründung der Pfandhäuser im Italien des Mittelalters sehr präsent gewesen, sagt Tanja Skambraks.

"Wenn wir uns die Überlieferungen anschauen, finden wir sowohl in der städtischen Gesetzgebung, die die Leihhäuser betrifft, aber auch in den Predigten beispielsweise der Franziskaner eine ganze Reihe an antisemitischen Topoi. [Es ist] bekannt, dass [...] beispielsweise die erste Pest-Epidemie 1347/48 in Europa dazu geführt hat, dass man sündenbockartig die Juden vertrieben hat.“

Leihamt in Mannheim (Foto: SWR)
Wartebereich des Leihamtes in Mannheim

Leihamt Mannheim: das letzte städtische Pfandleihhaus Deutschlands

Das Stereotyp des "Geldjuden", des "Wucherjuden" hält sich bis in unsere Zeit und ist immer wieder Teil von Verschwörungserzählungen. Es wird behauptet, Juden seien reich, gierig und würden Politik und Wirtschaft kontrollieren.

Hat das antisemitische Stereotyp den Beruf des Pfandleihers bis heute stigmatisiert? Jürgen Rackwitz ist Geschäftsführer des "Leihamtes" in Mannheim, gegründet 1809 vom badischen Großherzog Karl Friedrich. Heute ist es das letzte städtische Pfandleihhaus in ganz Deutschland, alle anderen sind in privater Hand. Jürgen Rackwitz führt das Leihamt Mannheim als Beamter. Bekommt er etwas vom Stigma des Pfandleihers zu spüren? Er lacht:

"Die Reaktionen, wenn ich sage, ich bin Beamter, sind negativer. Aber wenn ich sage, ich bin Pfandleiher ist erstmal: Oh ... Was machst Du denn da? Das Interesse ist da. Negativ? Habe ich noch nicht erlebt."

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