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Das perfekte Team

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Gabi Schlag und Benno Wenz
Gabi Schlag und Benno Wenz (Foto: SWR, privat)
Benno Wenz
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Gábor Paál
Gábor Paál (Foto: SWR, Oliver Reuther)

Wie stellt man ein Team für eine Marsmission zusammen? Oder für eine Antarktis-Überwinterung? An solchen Beispielen ergründen Forscher, was gute Teams ausmacht.

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Experiment: Das perfekte Team für eine Marsreise?

Sechs Astronauten versuchen, eine schwierige Aufgabe zu lösen: Sie müssen herausfinden, welche Stelle auf dem Mars sich am besten dazu eignet, nach Wasser zu bohren.

Sie werden dabei beobachtet von fünf Psychologen. Sie verfolgen, wie jedes Teammitglied ein anderes Konzept verfolgt:

  • Der Geologe möchte da bohren, wo das meiste Wasser vorhanden ist
  • der Techniker dort, wo das Gestein am wenigsten Widerstand bietet
  • die Logistikerin dort, wo die übrigen Bedingungen an der Marsoberfläche günstig sind für die Errichtung eines Lagers.

Es handelt ich um eine NASA-Arbeitsgruppe im Sonic-Labor an der Northwestern University, Chicago.

Astronauten auf der ISS (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture-alliance / Reportdienste -)
Astronauten auf der ISS

Wird das Team eine Lösung finden, die von allen mitgetragen wird? Und wie reagiert es auf Bedrohungen?

Stresstest fürs Astro-Team

Auch für diese Frage haben sich die Psychologen eine Aufgabe ausgedacht, erklärt Chefpsychologe Noshir Contractor.

„Wir sagen den Astronauten: OK, ein interstellarer Körper befindet sich auf einer Flugbahn, auf der er entweder die Erde trifft oder euer Raumschiff. Ihr habt drei oder vier verschiedene Möglichkeiten, von denen jedoch keine perfekt ist. Jede Möglichkeit wird Verluste mit sich bringen. Wie entscheidet ihr, was ihr macht? Wie stimmt ihr darüber ab?“

Marsmissionen verlangen extremes Teamwork

Bei einer Marsmission spielt Teamwork eine viel größere Rolle als bei allen bisherigen NASA-Missionen.

  • Zum einen wegen der langen Isolation: Eine Reise zum Mars wird nach heutigem Stand rund neun Monate dauern – und ebenso lange wieder zurück. Vielleicht geht es auch etwas schneller, aber das Team muss über Monate zusammen bleiben – Auswechseln unmöglich!
  • Zum anderen wegen des Communication Delay: Die Entfernung zum Mars ist so groß, dass ein Funkspruch von dort zur Erde über 20 Minuten unterwegs ist. Auf eine Antwort müssen die Astronauten also mehr als 40 Minuten warten, oder noch länger, wenn Mission Control noch etwas Zeit braucht, um die Frage zu beantworten.

Mars-Team muss mehr Entscheidungen selbst treffen

Bei bisherigen Missionen galt die Bodenkontrollstation als das Gehirn der Operation – die Astronauten mussten im wesentlichen deren Anweisungen folgen. Doch aufgrund der großen Entfernung wird das bei der Marsmission anders sein. Marsastronauten müssen viel autonomer operieren, sind mit viel mehr Entscheidungsbefugnis ausgestattet.

Für die Psychologen bieten die vorbereitenden Experimente eine einzigartige Gelegenheit zur Beobachtung. Das weiß Noshir Contractor zu schätzen.

„Vier oder sechs Personen, 120 Tage lang praktisch in einem Käfig. Ständig messen wir ihre Körperwerte, geben ihnen alle Arten von psychologischen Aufgaben, lassen sie Fragebögen ausfüllen, überwachen alles per Video. Die meisten Sozialwissenschaftler würden sagen: 'Oh mein Gott, keine Behörde wird uns eine solche Art von Datenerhebung erlauben. Die würde als als unangemessen und als Verstoß gegen den Schutz der Menschenwürde angesehen.' Und wir haben die Erlaubnis, dies zu tun. Ich würde in gewisser Weise sagen, dass dies vielleicht die am weitesten entwickelte, wertvollste menschliche Petrischale ist.“

Beispiel 2: Antarktis-Überwinterung

Mars-Reisen sind noch Zukunftsmusik – aber eine Überwinterung in der Antarktis ist Gegenwart. Jährlich verbringen Forschungsteams des Alfred-Wegener-Instituts das Winterhalbjahr an der Forschungsstation Neumayer III.

Stolz zeigt Tim Heitland, Arzt und Teamcoach, die Überwinterungseinrichtung. Das Team besteht aus neun Wissenschaftlern, und lebt in einem Forschungsgebäude auf Stelzen, das mit dem Schnee mitwächst. Tim Heitland hat bereits zwei Winter hintereinander am Südpol verbracht. Und er ist mit insgesamt 14 Monaten in der Kälte der Spitzenreiter. Kein Mensch kann hier draußen länger als eine halbe Stunde ohne Schneeanzug überleben.

„Ich würde sagen, wir brauchen gar kein perfektes Team, aber wir brauchen ein gutes Team, einfach schlicht und ergreifend deswegen, weil man alleine an dem Ort, an dem wir arbeiten, eigentlich nicht überleben kann.“

Die Neumayer-Station in der Antarktis. (Foto: Tim Heitland)
Die Neumayer-Station in der Antarktis.

Hier am Südpol treffen verschiedene Disziplinen aufeinander, die bei fünfzig Grad unter null das Kima erforschen wollen. Eines ist allen klar, sie wollen hier unbedingt sein und ihre Wissenschaft ausführen, auch wenn oder gerade weil sie wissen, dass das hier ohne Netz und doppelten Boden ist.

Vom Geologen über die Biologin bis hin zum Mediziner, alle Nationalitäten, Temperamente, extrovertiert, introvertiert.

„Die Gruppe ist klein, die Zeit ist lang“, sagt Heitland. Und wenn alle von Anfang an genau gleich sind, glaub ich wird es eher langweilig. Man sucht nicht unbedingt nach einem bewusst herbeigeführten Störfaktor, das nun nicht. Aber man sucht natürlich nach einer Gruppe, die sich ergänzen kann, die verschiedene Positionen auch besetzt, die verschiedene Qualitäten mitbringt.

Die Wissenschaftler, die sich bewerben, haben eine viermonatige Vorbereitungszeit. Eine Testphase, in der jeder jederzeit ausgeschlossen werden kann.

„Wenn ich erst auf der Station feststelle, jemand ist aus diesem oder jenem Grund eigentlich ungeeignet, dann kann ich die Situation mitunter einfach nicht mehr ändern. Wenn der Winter begonnen hat, gibt es keinen Weg hin und keinen Weg zurück. Für neun Monate sind die Leute abgeschnitten.“

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