Gesunder Darm gleich gesundes Hirn?

Darmflora beeinflusst Immunsystem des Gehirns

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Professor Marco Prinz
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Ralf Kölbel
Ralf Kölbel, Online-Redakteur bei SWR Wissen aktuell sowie Redakteur bei SWR2 Wissen. (Foto: SWR, Christian Koch)
Luisa Domhan
Harald Lesch

Welche Bedeutung der Darm für den gesamten Organismus hat, das wurde lange unterschätzt. Erst in den letzten Jahren hat sich der Blick darauf geändert: Nun zeigt eine neue Studie, dass Bakterien im Darm für ein gesundes Gehirn sorgen und möglicherweise auch den Verlauf von Hirnerkrankungen wie Alzheimer und Multiple Sklerose beeinflussen können. Die Studie hat ein internationales Forscherteam um den Pathologen Professor Marco Prinz von der Uniklinik Freiburg durchgeführt. Die Ergebnisse wurden kürzlich veröffentlicht.

Eine gesunde Darmflora beeinflusst das Immunsystem des Gehirns – das klingt spektakulär. Können Sie uns erst einmal grob erklären, wie das Immunsystem des Gehirns überhaupt funktioniert?

Prinz: Die Daten, die wir erheben konnten, sind in der Tat sehr überraschend, da man bislang angenommen hat, dass das Gehirn eigentlich vom Immunsystem im Körper getrennt ist. So spricht man vom Immunprivileg des Hirnes. Das heißt, wir haben normalerweise keine Entzündungszellen im Hirn, keine Lymphozyten. Diese finden wir zum Beispiel bei der Verletzung der Haut - da haben wir schnell Lymphozyten, die in die Haut einwandern.

Grafik eines menschlichen Gehirns (Foto: SWR, AlexfiodorovA - AlexfiodorovA)
Das Gehirn ist vom Immunsystem des Körpers getrennt

Das ist im Hirn in der Regel nicht der Fall, das Gehirn ist abgeschottet. Wir haben dort keine Blutzellen, sondern im Gegenteil sehr spezialisierte Fresszellen, Makrophagen, die im Hirn Mikrogliazellen heißen. Wir haben übrigens in allen Körperorganen des Menschen diese Fresszellen, in der Leber, in der Niere, in der Haut. Und die fressen eben Erreger. Diese Zellen gibt es auch im Hirn, sie sind aber dort die einzigen Immunzellen. Also die Zellen, die die Immunantwort regulieren, die Erreger fressen oder kaputte Nervenzellen abräumen können.

Und jetzt kommen also die Darmbakterien ins Spiel, welche Rolle haben diese nach ihren Studien?

Wir haben in unseren Experimenten zunächst Mäuse genommen, die gar keine Bakterien hatten. Normalerweise hat ja jeder Organismus, sowohl der Mensch als auch die Maus, viele hundert verschiedene Bakterienstämme. Die sind auf und in dem Körper verteilt, auf der Haut, im Nasen-Rachen-Raum und auch im Darm. Wir haben aber zunächst spezielle Mäuse untersucht, die gar keine Darmflora haben – also keine Darmbakterien.

Bei denen haben wir festgestellt, dass die Immunzellen im Hirn, die Mikrogliazellen, völlig unreif und verkleinert sind. Das war zunächst überraschend und das war auch der erste Befund dieser Studie. In einem zweiten Schritt haben wir bei einer Maus die physiologisch normal vorkommenden Darmbakterien mit Antibiotika ausgelöscht. Dann haben wir überraschenderweise festgestellt, dass auch bei diesem normal entwickelten Tier durch die Veränderungen im Darm die Mikrogliazellen im Gehirn degeneriert sind und unreif wurden. Das spricht dafür, dass es auch unter normalen Bedingungen einen ständigen Austausch zwischen Darmbakterien und diesen Immunzellen im Hirn gibt.


Was bedeutet das jetzt zum Beispiel für Hirnkrankheiten?

Man weiß, dass die Mikrogliazellen zumindest bei der Maus, aber wahrscheinlich auch bei Menschen, eine große Rolle spielen. Weil es die Fresszellen und Immunzellen sind, weiß man, dass sie prinzipiell bei jeglichen Hirnpathologien beteiligt sind. Das heißt, bei der Alzheimer-Erkrankung sind sie zum Beispiel beim Fressen der Alzheimer-Plaques, der Amyloid-Plaques wichtig.

Auch bei entzündlichen Erkrankungen wie der Multiplen Sklerose sind diese Zellen ständig aktiviert und versuchen das Entzündungsgeschehen zu kontrollieren. Sodass alle Mechanismen, die uns zeigen, wie diese Zellen reagieren, was sie aktiviert und deaktiviert, auch bei neurodegenerativen Erkrankungen wichtig sind.

Wäre jetzt ein Ergebnis dieser Studie, soweit sie auf den Menschen zu übertragen ist, dass man beispielsweise durch eine besonders gute und ausgewogene Ernährung dafür sorgen kann, dass möglichst viele Darmbakterien unterwegs sind? Sodass man quasi auch einen Krankheitsverlauf im Gehirn positiv beeinflussen oder sogar verhindern kann?

Diese Vermutung liegt nahe. Um dem nachzugehen haben, haben wir einer keimfreien Maus, also einer, die keine Bakterien hat, normale Bakterien wieder gegeben. Das heißt: durch eine Re-Besiedlung des Darmes hat sich eine normale Darmflora eingestellt.

Hier konnten wir zeigen, dass die Mikrogliazellen auch wieder reifen konnten und funktionell wurden. Hier gibt es also eine ständige Wechselwirkung zwischen Darm und Hirn. Man könnte jetzt vermuten, dass man zum Beispiel bei einem Menschen, der eine gestörte Darmflora hat, durch die Gabe von Bakterien, die physiologisch vorkommen aber durch eine Erkrankung reduziert sind, auch das Immunsystem des Hirns regulieren kann. Was unsere Studie außerdem gezeigt hat ist, welche Signalmoleküle von diesen Bakterien ausgehen. Wir haben ja gezeigt, dass die Bakterien wichtig sind – jetzt war die Frage für uns aber, was die Abfall-Produkte dieser Bakterien sind, die das Immunsystem im Hirn stimulieren. Hier konnten wir nachweisen, dass bestimmt Stoffe, sogenannte kurzkettige Fettsäuren, die durch Bakterien produziert werden, auch wichtig für den Immunstatus des Hirns sind. Diese kurzkettigen Fettsäuren sind Spaltprodukte, die die Bakterien durch die Verdauung von Ballaststoffen herstellen. Das sind dann die Botenstoffe, die die Bakterien herstellen, die dann offensichtlich für diese Mikrogliazellen und für die Gesundheit im Hirn wichtig sind.

Das war eine Studie an Mäusen – für wie übertragbar halten Sie die Ergebnisse und was muss noch weiter erforscht werden?

Das war jetzt sozusagen der erste Schritt, man wusste bis jetzt noch nichts von dieser Verbindung Hirn-Darm, das konnten wir erstmalig zeigen. Was beim Menschen schon teilweise getan wird: Es gibt Versuche bei chronischen Darmerkrankungen, sowohl in Europa als auch in Übersee, mit Stuhltransplantationen. Damit konnte bei erkrankten Patienten die Darmflora normalisiert und der Verlauf der chronischen Darmerkrankungen positiv beeinflusst werden.

Unter anderem bei Morbus Crohn.
Was wir jetzt weiterhin zunächst im Tiermodell untersuchen ist, ob man die Rolle der Mikrogliazellen bei anderen Erkrankungen oder bei Erkrankungen im Hirn überhaupt modellieren kann. Das heißt, hier liegt es nahe, zu untersuchen: Wie sieht es aus im Mausmodell mit neurodegenerativen Erkrankungen wie zum Beispiel Alzheimer – ist es auch hier so, dass die Darmbakterien eine Rolle spielen? Und wenn ja, sind auch wieder die gleichen Botenstoffe, wie diese kurz-kettigen Fettsäuren, wichtig, um das Immunsystem des Hirns zu stärken? Das werden wir jetzt in den nächsten Jahren erforschen – und wenn es hier positive Ergebnisse gibt, wäre das sicherlich etwas sehr Ermutigendes, um auch über die Übertragbarkeit auf den Menschen nachzudenken.

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Ralf Kölbel, Online-Redakteur bei SWR Wissen aktuell sowie Redakteur bei SWR2 Wissen. (Foto: SWR, Christian Koch)
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