Ein Modellprojekt für Medikamente aus dem Automaten an vier Apotheken in Rheinland-Pfalz wird nach Angaben des Gesundheitsministeriums nicht weitergeführt (Foto: Getty Images, Thinkstock -)

Bedrohliche Engpässe der Pharmaindustrie

Medikament nicht lieferbar

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Hellmuth Nordwig
Hellmuth Nordwig (Foto: Hellmuth Nordwig)
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Ralf Kölbel
Rabea Limbach

SWR2 Wissen. Von Hellmuth Nordwig

Ein Medikament soll schnell wirken, damit wir gesund werden. Was aber, wenn es gar nicht eingenommen werden kann, weil es nicht lieferbar ist? Das kommt immer häufiger vor. Die Politik muss reagieren.

Medikamente müssen stets verfügbar sein. Wer krank ist, kann nicht auf sie warten. Und doch kommt genau das immer häufiger vor. Manche Arzneimittel sind Wochen oder Monate lang nicht lieferbar. Behandlungen müssen verschoben werden. Für die Patienten eine quälende Zeit. Und es kann jeden Treffen: Menschen, denen eine Operation bevorsteht, Eltern mit Kleinkindern im Fall einer Impfung oder Krebspatienten. Die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie berichtet, dass zwischen Mai 2015 und April 2016 Krebsärzte mindestens 48 Mal Behandlungen verschieben mussten. Doch was ist der Ursprung dieses Problems und was tut die Politik dagegen?

Apotheken und Ärzte: Mehrarbeit aufgrund von Lieferstopps

Nicht nur Patienten, die nicht behandelt werden können und sich oft sehr hilflos fühlen, leiden unter Lieferschwierigkeiten bei Medikamenten. Auch Apothekern und Ärzten bereiten sie Sorgen. Für Jürgen Reh, Apotheker am Klinikum der Universität München, bilden die Lieferstopps eine alltägliche Belastung. Er versorgt rund 1.700 Mediziner mit Arzneimitteln. Seine persönliche Statistik vermerkt 222 Lieferengpässe seit Anfang des Jahres – darunter häufig verschriebene Multivitaminpräparate oder Schilddrüsenmedikamente.

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Keine Narkosemittel, keine Operation. - Lieferstopps bei Medikamenten können drastische Folgen haben. Thinkstock -

Ärzte müssen bei Medikamentenengpässen Therapien oder Operationen verschieben – auch im Fall von lebensbedrohlich erkrankten Menschen. Um dies zu verhindern suchen Apotheker bei Lieferstopps entweder nach alternativen Wegen zur Beschaffung der Präparate, in dem sie aus dem Ausland importieren oder noch verfügbare Waren bei anderen Apotheken und Krankenhäusern ausfindig machen, oder sie erarbeiten zeitaufwendig Alternativtherapien in Zusammenarbeit mit Ärzten - sofern das möglich ist. In beiden Fällen investieren sie viel Zeit und Energie, um die medizinische Versorgung sicherzustellen. Monika Andraschko, Leiterin der Klinikapotheke in München, geht davon aus, dass sie alleine durch diese Mehrarbeit fast eine Stelle zusätzlich besetzen muss.

Die Probleme der Pharmakonzerne

Lieferengpässe bei Medikamenten können viele Gründe haben. Medikamente sind häufig komplex. Ihre Komponenten werden an unterschiedlichen Orten produziert. Das birgt Risiken, können doch zum Beispiel Ausfälle von Maschinen oder Rohstoffknappheit an einem Standort die gesamte Produktion lahmlegen. Außerdem lässt sich mit einer Reihe von Medikamenten aufgrund der Preise, die Krankenkassen und Kliniken für sie zahlen, nur wenig Geld verdienen. Lediglich im ersten Jahr nach der Einführung eines neuen Produktes dürfen die Unternehmen den Preis selbst bestimmen. Danach wird die Produktion häufig unattraktiv. Aus diesem Grund gibt es in vielen Fällen (zu) wenig Produzenten, um eine zuverlässige Versorgung sicherzustellen. Dies kritisieren nicht nur nur Interessensvertreter der Pharmabranche, auch Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft, ist davon überzeugt, dass sich daran etwas ändern muss:

Die Preise, die derzeit für diese Medikamente erzielt werden, sind eindeutig zu niedrig, um letztlich auch einen gewissen Gewinn abzuwerfen. Das heißt, man muss sich bei diesen sehr billigen Arzneimitteln Gedanken machen, ob man nicht die Hersteller vollkommen demotiviert, diese wichtigen Arzneimittel zu produzieren.

Die Politik soll handeln

Das Bundesgesundheitsministerium und die Bundesregierung haben das Problem erkannt und von 2014 bis 2016 einen "Pharmadialog" veranstaltet, um mit der Industrie ins Gespräch zu kommen. In diesen Tagen berät der Gesundheitsausschuss des Bundestages nun über das neue Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz, das 2017 in Kraft treten soll.

Doch an den Lieferengpässen von Medikamenten wird das neue Gesetz kaum etwas ändern: Es bleibt bei einer freiwilligen Meldung von Lieferengpässen durch die Unternehmen, weil eine Liste mit unentbehrlichen Arzneimitteln nicht rechtzeitig fertig gestellt werden konnte. Und Sanktionen für Pharmafirmen, die nicht liefern können, sind im Gesetz auch nicht vorgesehen. Die Industrie hat in diesem Fall ihre Interessen erneut durchsetzen können – Patienten, Ärzte und Apotheker haben vorerst das Nachsehen.

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