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Wohin Europa seine Bauern lenkt

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Werner Eckert
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Ulrike Barwanietz
Ralf Kölbel
Ralf Kölbel, Online-Redakteur bei SWR Wissen aktuell sowie Redakteur bei SWR2 Wissen. (Foto: SWR, Christian Koch)

Die europäische Agrarpolitik entstand als Reaktion auf den Hunger der Nachkriegszeit. Doch die Probleme heute sind ganz andere: Naturzerstörung und Massentierhaltung.

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Wer durch die Agrarpolitik der EU wandert, gelangt vom Jammertal des Mangels über den Butterberg in die Quotenebene und schließlich auf den Weltmarkt. Die Wanderung führt vorbei an einer Agrarproduktion, die den Ansprüchen der Verbraucher kaum gerecht wird, an Bauern, die das weder glücklich macht noch reich, zu einer Politik, deren Auswirkungen auf arme Länder kritisiert wird.

Warum ist die Landwirtschaft so geworden, wie sie ist? Wohin entwickelt sie sich? In welche Richtung gehen die Ideen zur Weiterentwicklung der "Gemeinsamen Agrarpolitik" in der EU und welche alternativen Ansätze gibt es?

Für Europas Bauern gibt es künftig weniger Geld aus Brüssel. Die Subventionen wurden um 5 Prozent gekürzt. Das Verteilungssystem ändert sich aber nicht grundsätzlich. Die oft geforderten grundlegenden Reformen bleiben aus.

EU-Agrarpolitik: Ein Relikt der Nachkriegszeit

Wer die heutige europäische Agrarpolitik verstehen will, muss sich die Nachkriegszeit vor Augen halten. Der Weg aus dem damaligen Jammertal des Mangels führte im Lauf der Jahrzehnte über den Butterberg und die Rindfleischhalde in die Quotenebene und schließlich Richtung Weltmarkt.

Am Ende steht eine Agrarproduktion, die den Ansprüchen von Verbrauchern und Gesellschaft kaum gerecht wird. Die aber auch die Bauern nicht glücklich macht – und reich schon gar nicht. Und eine Politik, die den Bauern in ärmeren Ländern schadet. Die Kritik an dieser Politik ist umfassend und eint alle Beteiligten. Selbst die EU-Kommission ist sich dessen bewusst.

Defizite überall

58 Milliarden Euro gibt die Europäische Gemeinschaft im Jahr für die Landwirtschaft aus. Und dennoch geben viele kleinere Bauern auf, dennoch werden die Äcker größer und die Landschaft ärmer. Dennoch werden die Nahrungsmittel gleichförmiger und – bei sauberer technischer Qualität – weniger vielfältig und charakteristisch.
Die gemeinsame Agrarpolitik der Europäischen Union ist umstritten, seit es sie gibt. Wer verstehen will, warum sie ist, wie sie ist, der muss noch einmal zurückgehen, in die Nachkriegs-Zeit.
Die Bevölkerung, Einheimische wie zugewanderte Flüchtlinge, sollten satt werden. Das war die oberste Prämisse. Die Bauern sollten sich Dünger und Maschinen leisten können, um die Produktion zu erhöhen. Und deshalb setzte die Militärregierung und später die deutsche Regierung die Preise für die bäuerlichen Produkte fest.

Autarkie und Handel

Deutschland kam aus einer Phase der Autarkie. Ein Land, das sich selbst versorgte und von allen Weltmärkten abkoppelte – das war die Ideologie und damit auch das Erbe des sogenannten Dritten Reiches. Dieses Denken traf bei der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft – der EWG – auf die französische Philosophie.
Frankreich setzte nicht auf Selbstversorgung, sondern auf Handel. Und die Landwirtschaft war dort der wichtigste Exportsektor. Die Bauernhöfe waren modern und vergleichsweise produktiv.
Für die gemeinsame Agrarpolitik wurden die Ziele formuliert: Sie solle die Produktion ankurbeln, genug preiswerte Nahrung für die Bevölkerung sicherstellen und gleichzeitig für gute Einkommen der Bauern sorgen. Die Einigung zwischen den deutschen und den französischen Ansprüchen war einfach: Beide bekamen, was sie wollten: garantierte Preise für jedwede Menge.

Die Einladung zur Massenproduktion

In der Folgezeit entstanden Marktordnungen für fast alle Produkte. Und das Ritual der jährlichen Preisverhandlungen in Brüssel. Es war fast wie der Tarifstreit in der Industrie – nur dass hier nicht Arbeitgeber mit Arbeitnehmern stritten, sondern Agrar-Unternehmer mit dem Staat. Bauerndemonstrationen waren an der Tagesordnung.
Mitte der 1980er-Jahre reichte das Geld nicht mehr aus, um die unbegrenzten Mengen, die die Bauern produzierten, für teures Geld aufzukaufen und verbilligt wieder am Weltmarkt abzustoßen.

Das führte immer wieder zu Handelskonflikten mit starken Partnern wie den USA und in den schwächeren Volkswirtschaften der Entwicklungsländer dazu, dass die einheimische, bäuerliche Landwirtschaft verdrängt wurde.
In der alten Bundesrepublik türmten sich Butterberge, die für ein ganzes Jahr ausreichten. Alleine 1992 wurden in der EU 850.000 Tonnen Rindfleisch aufgekauft und tiefgefroren. Kosten: 4,4 Milliarden D-Mark.

Freier Markt

Dagegen wollten andere in der Europäischen Gemeinschaft die Märkte öffnen, Zölle und Importbeschränkungen abbauen und die Preise an den Weltmarkt heranführen. Die Bauern sollten als Ausgleich und nur für eine begrenzte Zeit zusätzliche Hilfen bekommen, damit sie sich an den freien Markt und seine Bedingungen anpassen könnten.
Immer mehr immer billiger zu produzieren, war und ist für viele der einzige Weg, um zu überleben. Das hat zu großen Betrieben geführt, aber auch zu einer immer hemmungsloseren Ausbeutung der Natur.

Trotzdem: Die Integration der Umweltziele der EG in die Landwirtschaftspolitik ist essentiell geworden. Reformen in immer kürzeren Abständen prägen das Bild. Und immer mehr musste die Landwirtschaft auf gesellschaftliche Forderungen eingehen: Tierwohl und gesunde Produkte. Nicht nur rückstandsfrei, sondern wertvoll und inhaltsreich.

Ungleiche Verteilung

Und doch hat sich im Wesentlichen nichts daran geändert, dass 20 Prozent der Subventionsempfänger 80 Prozent des Geldes bekommen. Das System belohnt Großbetriebe und Investoren. Die Besitzer von Land – und nicht die Menschen, die es bewirtschaften.
Außerdem hat die EU über Jahrzehnte ihre Überschüsse in aller Welt abgeladen. Auch in Entwicklungsländern. Das hat wesentlich dazu beigetragen, dass die Kleinbauern dort Absatzmärkte verloren haben. Legendär sind die Exporte von Hähnchenteilen, die in afrikanischen Staaten wie Ghana oder Kenia die heimische Erzeugung verdrängt haben.
Die EU hat zwar 2013 aufgehört, solche Exporte auch noch zu unterstützen, die Ausfuhrhilfen wurden abgeschafft. Aber: Nach wie vor bekommen die europäischen Bauern Geld pro Hektar. Und deshalb können sie billig erzeugen. Die ärmeren Staaten können sich solche Hilfen nicht leisten und ihre Landwirte sind deshalb chancenlos.

Der Verbraucher entscheidet

Und was ist, wenn der Bauer am Ende zwar Geld für die Landschaftpflege bekommt, für den Verzicht auf Pestizide, wenn er aber seine Produkte nicht mehr verkaufen kann?
Die gemeinsame Agrarpolitik ist ein Grundpfeiler der Europäischen Union. Die Landwirtschaft war einer der ersten Sektoren, in denen sie Verantwortung übernommen hat. Trotz der großen Unterschiede im Denken und in der Produktion haben die Mitgliedsstaaten bis heute daran festgehalten. Sie werden entscheiden müssen, ob das so bleibt.

(Produktion 2018)

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