Von der Einwohnerzahl her ist Zaatori die viertgrößte Stadt Jordaniens. Doch da Zaatari als Provisorium angelegt war, ist die Infrastruktur unzureichend: Strom, Wasser, Nahrung, Internet - für alles wurden zunächst Notlösungen geschaffen. Erst allmählich ändert sich das: Das Flüchtlingslager wird zur richtigen Stadt ausgebaut - ein großes Experiment. In mancher Hinsicht ist die Siedlung technisch extrem weit:
Großes Solarkraftwerk
In Zaatari steht das größte Solarkraftwerk, das jemals für ein Flüchtlingslager gebaut wurde. Errichtet wurde es auch mit Unterstützung der deutschen Entwicklungsbank KfW. Vorher gab es oft Stromausfall. Und der knappe Strom war teuer, was dazu führte, dass die Bewohner jede Menge Strom aus dem Netz gestohlen haben. Das neue Solarkraftwerk soll nun immerhin für 14 Stunden Strom produzieren. Und zu Spitzenzeiten soll der überschüssige Strom auch ins jordanische Netz eingespeist werden.
Einkauf per Iris-Scan
Was es in Deutschland nicht gibt, existiert im jordanische Flüchtlingslager: Bewohner bezahlen ihre Einkäufe per Iris-Scanner.
Das ganze funktioniert so: Anstatt Gutscheine zu verteilen, überweisen die Hilfsorganisationen Geld auf ein jordanisches Konto. Jede Familie hat eins. Anstatt jetzt mit EC-Karte und PIN-Nummer ihre Einkäufe zu bezahlen, autorisieren die Kunden hier die Zahlung mit einem Blick in den Iris-Scanner. Die Iris ist unverwechselbar bei jedem Menschen: Jede Iris ist somit eindeutig einem Konto zuzuordnen.
Dieser Iris-Scan verleiht den Flüchtlingen Würde, so das Fazit von SWR2-Wissen-Autor Sebastian Felser. So können sie einkaufen, wann sie wollen und genau das, was sie wollen. Sie müssen auch nicht alles Geld auf einmal ausgeben. Hier in Zaatari können Sie ohnehin ihre Einkäufe nicht lange aufbewahren, denn sie haben ja keinen Kühlschrank.
Es gibt auch Kritik
Kein Kühlschrank zu Hause, kaum Internetempfang - aber mit solar-betriebenen Iris-Scannern bezahlen: das ist Alltag in Zaatari. Kritiker der Technologie bemängeln, dass die Flüchtlinge hier keine Wahl haben. Sie müssen ihre biometrischen Daten für die Transaktionen hergeben. Damit seien sie die Versuchskaninchen für eine Technik, die noch in der Erprobungsphase sei. Die britische Firma, die die Iris-Scanner herstellt, sammle hier im Flüchtlingslager Erfahrungen, um irgendwann, in einer bargeldlosen Zukunft, auch uns in Europa per Iris-Scan bezahlen zu lassen.
Nächster Schritt: Transaktionen via Blockchain
Tatsächlich experimentiert das Welternährungsprogramm schon mit der nächsten Stufe des bargeldlosen Supermarkts: Anstatt mit regulären Bankkonten, sollen in Zukunft alle Transaktionen via Blockchain ablaufen. Das heißt, dass nicht mehr eine Bank überprüft, dass alle Buchungen korrekt sind, sondern ein dezentrales Computersystem, bei dem komplette Kassenbücher bei jeder Einheit des Systems liegen. Das soll das ganze fälschungssicher und noch effizienter machen. Ein erstes Pilotprojekt gibt’s schon.
Die Kritik daran prallt an Reema An-Najjar vom Welternährungsprogramm ab: "Die Flüchtlinge haben die neuen Technologie gut akzeptiert. Wir haben ja verschiedene Systeme ausprobiert: Zuerst haben wir die Lebensmittelspenden einfach so verteilt, dann hatten wir Papiergutscheine. Das System mit dem Iris-Scanner hat sich als das würdevollste herausgestellt."
Zaatari: Stadtentwicklung im Flüchtlingslager
An der Entwicklung von Zaatari hat auch Kilian Kleinschmidt mitgewirkt, der im Auftrag des UN-Flüchtlingshilfswerks das Lager lange geleitet hat. Wo immer er konnte, plädierte Kleinschmidt dafür, in Zaatari eine echte Stadtentwicklung zu betreiben – nicht gerade zur Freude seines damaligen Arbeitgebers, des UNHCR.
"Es waren nicht wir, die irgendwie entdeckt haben, dass es sich um eine Stadt handelt, sondern es waren eigentlich die Flüchtlinge, die uns gezeigt haben, dass sie diesen Raum – das 'Lager' – ganz anders begriffen haben als wir."
Zaatari ist kein Notlager mehr für Flüchtlinge. Zaatari ist aber auch noch keine Stadt. Zaatari ist irgendwo dazwischen. Und das wird wohl noch auf Jahre so bleiben.
SWR 2018