Vor allem in Städten in Städten und Ballungszentren kann man der Strahlung kaum entkommen. Irgendwo steht immer ein Mobilfunkmast, überall stehen Handys auf Empfang, und das WLAN des Nachbarn lässt sich auch nicht abschalten. Ob vom Elektrosmog wirklich Gefahren ausgehen, wird diskutiert, seit es Mobilfunk gibt. Fakt ist: Es gibt Menschen, denen es in einem "strahlenden" Umfeld deutlich schlechter geht - aus welchen Gründen auch immer.
Neuer Standard 5G – Mehr Strahlung?
Nun wollen die Mobilfunkbetreiber ab 2020 einen weiteren Standard für die Datenübertragung einführen. Zu WLAN, GSM, UMTS und LTE kommt der 5G-Standard. Die Bundesregierung will Deutschland zum Leitmarkt für 5G entwickeln. Vor diesem Hintergrund äußern 230 Wissenschaftler und Ärzte in einem Appell ihre Besorgnis. „Industrieunabhängige Forscher“ sollen den neuen Standard überprüfen, wie es auf den Internetseiten der Verbraucherschutzorganisation „diagnose Funk“ heißt.
Forscher fordern sicherere Grenzwerte
Mit „der immer umfangreicheren Nutzung kabelloser Techniken“ könne niemand Strahlungen aus dem Weg gehen. Die Forscher fordern eine Überprüfung der Technologie, die Festlegung von neuen und sicheren Grenzwerten, sowie den Ausbau der kabelgebundenen Telekommunikation. Das Bundesamt für Strahlenschutz wehrt sich gegen die Vorwürfe, die neue Technik würde krank machen und die Grenzwerte seien zu schwach. Man wolle bei neuen Techniken „proaktiv“ mögliche Risiken erforschen. Also bevor die neue Technik großflächig auf dem Markt ist. Aber das klappe nicht so ganz, gibt Gunde Ziegelberger vom Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) zu. Sie leitet dort die Arbeitsgruppe für WLAN- und Mobilfunkstrahlen.
Elektrohypersensibilität
Besonders für elektrohypersensible Menschen könnte der flächendeckende Ausbau von 5G eine weitere Verschlechterung ihres Gesundheitszustands bedeuten. Laut Bundesamt für Strahlenschutz bezeichnen sich zwei Prozent der Deutschen als „elektrosensibel“. Bei „Elektrohypersensibilität“, kurz EHS, handelt es sich um eine Gesundheitsstörung, die dann auftritt, wenn man mit elektrischen, magnetischen oder elektromagnetischen Feldern in Berührung kommt. Betroffene berichten von Kopfschmerzen, Schlaf- und Konzentrationsstörungen, Antriebslosigkeit oder Übelkeit. Als Krankheit wird EHS nicht eingestuft, obwohl dieses Krankheitsbild auf immer mehr Patienten zutreffe, so Umweltmediziner.
BfS: Betroffene sollten Strahlenbelastung reduzieren
Das Leben von Elektrosensiblen ist stark eingeschränkt. Deshalb sollten Betroffene die Strahlenbelastung in ihrem Umfeld reduzieren: Ballungsräume mit vielen Handynutzern und Mobilfunkantennen meiden, das WLAN ausschalten und mit dem Festnetz telefonieren. Oder ihre Wohnung mit speziellen Folien gegen die Strahlung abschirmen.
Betroffene fordern Anerkennung als Krankheit
In Deutschland fordern Betroffene eine Anerkennung der Elektrohypersensibilität als Krankheit, körperlich wie psychisch. Dafür müssten auch Allgemeinmediziner sensibilisiert werden. Umweltmediziner geben dabei allerdings zu bedenken, dass die Krankheit nicht isoliert betrachtet werden könne. Viele Patienten seien durch andere Umwelteinflüsse bereits vorbelastet.
Unbestritten: Thermische Effekte
Doch wie entsteht "Elektrosensibilität" und was weiß die Wissenschaft über die möglichen Gesundheitsgefahren? Unbestritten sind die thermischen Effekte hochfrequenter Felder, wie sie von WLAN-Routern und Handys ausgehen. Diese Felder können menschliches Gewebe erwärmen. Je näher sich die Geräte am Körper befinden, desto stärker.
Grenzwerte
Um die möglichen Gesundheitsschäden durch Handys oder WLAN-Router einzudämmen, hat das BfS Grenzwerte festgelegt. Um mehr als ein Grad sollte das Körpergewebe durch die Strahlen nicht erwärmt werden, so der Grenzwert. Bei Handys muss deshalb ein sogenannter SAR-Wert angegeben werden. Der beschreibt die Energieaufnahme im Körper. Um Gesundheitsrisiken auszuschließen, sollen zwei Watt pro Kilogramm Körpergewebe nicht überschritten werden.
Betroffene hingegen sehen die Erwärmung jedoch nur als einen von mehreren gesundheitsschädlichen Effekten von Strahlung. Sie sind überzeugt, dass andere negative Effekte für ihre Beschwerden mit verantwortlich sind.
Umstrittene Studienlage
Einen Überblick über die vorhandenen Studien gibt es im sogenannten EMF-Portal der Universität Aachen. Dort stehen auch jeweils Zusammenfassungen auf Deutsch und Englisch. Das Portal ist Referenzdatenbank für die WHO, über 25.000 Publikationen sind zurzeit erfasst. So ziemlich alles, was auf der Welt zur Wirkung von Elektrosmog erforscht wird.
Bisher gäbe es jedoch keine offizielle Stelle, die diese Studien systematisch auswertet, beklagt Peter Hensinger von der Verbraucherschutzorganisation „diagnose Funk“. "Von 800 Studien, die dort toxische Effekte zeigen, haben wir derzeit ungefähr 200 ausgewertet. Es gibt 130 Studien, die Schädigungen von Spermien und Embryo belegen, 80 weisen auf auf DNA-Strangbrüche hin. Also die Studienlage gibt uns von Jahr zu Jahr mehr recht."
Dr. Gunde Ziegelberger vom BfS ist zurückhaltend. "Für uns ist ein Effekt, eine Wirkung erst nachgewiesen, wenn sie bestätigt wurde in Wiederholungs-Studien. Also es ist die Gesamtheit der Studien, die Reproduzierbarkeit der Studien, die dann zu einer Bewertung führt."
Schweden als Vorbild im Umgang mit EHS
Im Internet finden sich Berichte von Elektrosensiblen aus der ganzen Welt. Im Jahr 2002 erklärte auch die ehemalige norwegische Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland in einem Interview, sie sei elektrosensibel.
Schweden wird beim Thema Elektrosensibilität immer wieder als Vorbild genannt. Dort bekommen Betroffene Unterstützung, sie sind als körperlich beeinträchtigt anerkannt, haben Rechte, und in Krankenhäusern gibt es strahlungsfreie Behandlungsräume.
SWR 2017 / 2019