Jugendliche machen ein Selfie (Foto: SWR, SWR -)

Das eigene Profil zählt

Die Gesellschaft der Einzigartigen (2/2)

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SWR2 Wissen: Aula. Gespräch mit Andreas Reckwitz. Online: Susanne Paluch

SWR2 Wissen: Aula

In Deutschland haben sich in den letzten Jahrzehnten Gesellschaftsklassen herausgebildet, die es früher so nicht ab. Welche das sind, zeigt der Soziologe Professor Andreas Reckwitz im Gespräch.

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Das Gespräch mit Andreas Reckwitz auf einen Blick:

"Diese Faktoren sind: 

  • wirtschaftlicher Wandel,
  • technologischer Wandel,
  • soziokultureller Wandel.

Verbunden damit ist die Entstehung einer neuen Mittelschicht. 

Unter dem ökonomischen Wandel versteht man den Wandel von der klassischen Industriegesellschaft hin zu einer postindustriellen Ökonomie.

Die Industrieökonomie hatte irgendwann ihre Wachstumsmöglichkeiten ausgeschöpft. Deshalb wachsen in der postindustriellen Zeit andere Bereiche. Das sind die Bereiche der singulären Güter, die sich kulturell fein voneinander zu unterscheiden versuchen. Dazu zählen z.B. Tourismus, Gesundheit, Bildung.

Dahinter steckt auch eine Bildungsexpansion, Stichwort Akademisierung. Leute mit Hochschulabschluss waren früher in den westlichen Gesellschaften eine winzige Minderheit von ungefähr fünf Prozent.

Heute sind es 25 Prozent mit wachsender Tendenz. Das ist natürlich ein ganz anderes Milieu, das sind Personen, die andere Lebensvorstellungen haben und die sehr stark diesen Wertewandel hin zu den Selbstentfaltungswerten tragen." (Andreas Reckwitz)

"Bildungsexpansion bedeutet, es gibt mehr höhere Bildungsabschlüsse, was eigentlich eine wunderbare Entwicklung ist.

Die Frage ist nur, was macht das mit denjenigen, die eben nicht diese höheren Bildungsabschlüsse haben.

Hauptschule (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture-alliance / Reportdienste -)
Laut Statistischem Bundesamt besuchten im Schuljahr 2017/2018 nur 387.395 Schülerinnen und Schüler die Hauptschule, aufs Gymnasium gingen dagegen 2.225.768.

In der klassischen Industriegesellschaft war ein einfacher Schulabschluss oder eine Ausbildung das Maß aller Dinge. Damit konnte man ein Mittelschichtsleben führen und sah sich selbst auch in der Mitte der Gesellschaft.

Das ist heute völlig anders. Bildungsexpansion bedeutet, dass diejenigen, die nicht von ihr profitieren, sich in vielerlei Hinsicht als abgewertet sehen und auch tatsächlich abgewertet sind.

Der Berufsabschluss erscheint dann eben nicht mehr als so lukrativ wie zum Beispiel der Hochschulabschluss. Man sieht sich in die Defensive gedrängt.

Und so ist natürlich auch ein altes Mittelstands-Selbstbewusstsein, das sich auf den Beruf bezogen hat, teilweise in der Defensive." (Andreas Reckwitz)

"Es gibt

  • die alte Mittelklasse
  • die neue Mittelklasse
  • die neue "Unterklasse" oder auch "prekäre" Klasse.

Die Unterklasse ist ein Phänomen der spätmodernen Gesellschaft. Die klassische Industriegesellschaft kannte eigentlich kaum eine solche Unterklasse. 90 Prozent der Gesellschaft war Mittelschicht oder Mittelklasse. Die neue Unterklasse ist ein Phänomen der letzten Jahrzehnte.

Und das hängt sehr stark mit dem ökonomischen Wandel zusammen, weg von der alten Industriegesellschaft.

Die hat nicht nur Gewinner hervorgebracht, also etwa die Hochqualifizierten der Wissensökonomie, sondern auch Verlierer, also diejenigen, die früher in Industrie beschäftigt waren und die heute vielleicht nur sogenannte einfachen Dienstleistungen ausführen, einen niedrigen Sozialstatus haben, vielleicht auch im Niedriglohnsektor arbeiten.

Da hat sich eine Art neuer Unterklasse herausgebildet, die von den Selbstentfaltungswerten der neuen Mittelklasse wirklich sehr weit entfernt ist, und die anfällig ist für populistische Ideologien." (Andreas Reckwitz)

Das vollständige Manuskript finden Sie hier.

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