Bisher spielt die Vermeidung solcher Folgeschäden aber kaum eine Rolle. Dabei müssten Schwerkranke nach einer längeren Zeit auf der Intensivstation Wochen und oft Monate Krankengymnastik machen und ein kontinuierliches Atemtraining durchführen. Nur so kann es Schwerkranken gelingen, in ein normales Leben zurückzufinden.
Ehemalige Intensivpatienten brauchen mehr Unterstützung
Es gibt sogar ein eigenes Krankheitsbild, das die möglichen Folgen einer intensivmedizinischen Behandlung charakterisiert. Es nennt sich "Post Intensive Care Syndrome". Die häufigsten Krankheitssymptome sind Muskelerkrankungen. Außerdem ist oft das Zentralnervensystem betroffen, nach der Behandlung auf der Intensivstation treten oft auch Störungen der psychischen Gesundheit auf. In der Regel sind das Depressionen, Angststörungen und posttraumatische Belastungsstörungen.
Intensivmediziner Björn Weiß von der Charité Berlin erklärt, dass bettlägerige Menschen rasant schnell Muskelmasse abbauen. Diese Kraft fehlt dann, um Arme und Beine zu bewegen und den Rumpf zu stabilisieren. Aber auch das Zwerchfell ist betroffen. Die Patienten bekommen Schwierigkeiten mit dem Atmen. Ihnen fehlt dann die Kraft selbst zu atmen. Gegensteuern kann man zum Beispiel durch eine gezielte Physiotherapie schon auf der Intensivstation. Wirklich stoppen lässt sich der Kraftverlust aber bis heute nicht.
Die Entwöhnung vom Beatmungsgerät gelingt zu selten
Zu viele Patienten bleiben dauerhaft auf Beatmung angewiesen, sagt Simone Rosseau. Sie leitet eine Spezialabteilung für Patienten, die frisch von der Intensivstation entlassen wurden:
Pro Jahr haben wir in Deutschland ungefähr 400.000 beatmete Fälle auf den Intensivstationen. Manche Patienten können aber später nicht mehr vom Beatmungsgerät entwöhnt werden. Das sind pro Jahr geschätzt bis 8000 Patienten pro Jahr. Die müssen in eine sogenannte außerklinische Intensivpflege mit künstlicher Beatmung.
Rosseau bedauert, dass nur wenige medizinische Zentren die Entwöhnung vom Beatmungsgerät anbieten, das sogenannte Weaning Der Begriff „to wean“ stammt aus dem Englischen und bedeutet „entwöhnen“.Geschätzt rund 60.000 Plätze zur Entwöhnung vom Beatmungsgerät werden pro Jahr benötigt. Bisher gibt es nicht genügend Plätze. So verpassen zehntausende Intensivpatienten die Chance auf eine bessere Lebensqualität.
Intensivpatienten werden nicht mehr in künstliches Koma versetzt
Das künstliche Koma sollte dem Gehirn quasi über die kritische Phase hinweg helfen und die Betroffenen zudem gegen den Stress der Intensivstation abschirmen. Lange Jahre schien das den Intensivmedizinern die beste Lösung zum Schutz der Patienten. Schließlich hat rund ein Viertel der Intensiv-Patienten nach der Behandlung messbare Störungen im Nervensystem. Das typische Symptom dieser Gehirnschädigung ist der akute Verwirrtheitszustand, das Delir.
Heute weiß man, dass die tiefe Sedierung eine Vielzahl von Problemen auslöst, inklusive erhöhter Sterblichkeit auf Intensivstationen. Auch die erhoffte Schutzwirkung vor psychischen Folgen der Behandlung konnte nicht nachgewiesen werden.
Heute ist der ideale Intensivpatient wach und aufmerksam
Außerdem sollten auch Patienten auf Intensivstationen täglich mobilisiert werden. Das bedeutet, sie sollten zumindest das Bett verlassen. Es gibt Studien, die beweisen, dass Patienten, die wach waren und so an ihrer Genesung bewusst teilhaben konnten, deutlich besser gerade mit psychischen Folgen umgehen können.
Um Intensivpatienten Langzeitschäden weitgehend zu ersparen, ist aber nicht nur Mobilisierung und Physiotherapie wichtig, sondern auch die richtige Ernährung und eine optimale Einstellung des Beatmungsgeräts. Im Alltag einer turbulenten Intensivstation – in der das Pflegepersonal chronisch knapp ist - wird da schon mal das eine oder andere übersehen.
Der Aufenthalt auf einer Intensivstation führt oft zu psychischen Problemen
Auch die Psyche leidet auf einer Intensivstation. Intensivstationen sind laut und hektisch. Dauernd wird die Nachtruhe gestört. Dazu kommt bei vielen Patienten die permanente Angst um das eigene Leben. Das hinterlässt Spuren. Die Dacapo-Studie deutscher Mediziner von der Uniklinik Regensburg untersuchte knapp 1000 Patienten nach einer maximalen Intensivtherapie.
Alle hatten sich körperlich weitgehend erholt. Doch der Zustand ihrer Psyche war besorgniserregend. Jeder Zweite klagte über Schlafstörungen, Angstzustände und Konzentrationsprobleme. Jeder Vierte litt unter einer schweren Depression. Viele der Betroffenen sind dauerhaft arbeitsunfähig. Was genau zu diesem katastrophalen Befund führt, ist unklar. Sicher ist jedoch: Psychologische Begleitung nach der Behandlung ist wichtig. Denn Depressionen sind behandelbar. Und je früher man sie erkennt, umso besser die Prognose.
Während der Behandlung Tagebuch führen hilft
Der Kieler Pflegewissenschaftler Peter Nydahl propagiert die Idee, für jeden Intensivpatienten ein individuelles Tagebuch zu führen. Das hilft den Patienten, die sich in der Regel nicht mehr an ihre Zeit auf der Intensivstation erinnern können. Viele durchleben während dieser Zeit Albträume und verwechseln in der Erinnerung dann Traum und Wirklichkeit.
Die Idee zum Intensivtagebuch stammt aus Skandinavien. Peter Nydahl hat das Konzept aufgegriffen und versucht nun, die deutschen Intensivstationen davon zu überzeugen. Denn das Tagebuch hilft nachweislich auch gegen spätere Depressionen und Angstzustände.