Die Europäer setzen darauf, den Menschen vor Ort eine "Bleibeperspektive" zu geben. Doch die Jungen und Starken wollen nicht im Elend der Sahelzone bleiben. Um die Mittel für die Reise nach Europa zusammenzukratzen, riskieren sie alles. Sie schrecken vor nichts mehr zurück; auch nicht vor den einsturzgefährdeten Goldminen des Tibesti-Gebirges in der Sahara.
Vor sechs Jahren wurden hier im Norden des Tschad große Goldvorkommen entdeckt. Seitdem reisen tausende Flüchtlinge aus ganz Afrika dorthin. Mit Goldschürfen wollen sie sich Geld für die Flucht nach Europa verdienen. Bei der gefährlichen Arbeit werden viele von ihnen getötet oder schwer verletzt. So liegt der 29jährige Nasridin seit Jahren mit zerbrochenen Rückenwirbeln in einem Flüchtlingscamp.
Seit vier Jahren bewegungsunfähig
Seit vier Jahren liegt er nun hier, auf dieser Pritsche, in dieser Lehmhütte, in dieser gottverlassenen Gegend am Rande der bewohnbaren Welt. Er kann nur den Oberkörper bewegen. Die Beine liegen wie abgestorben unter der Decke.
Manchmal schlägt seine Schwester Manira die Plastikplane am Eingang zurück. Dann fällt etwas Sonnenlicht in den Raum, und er sieht einen Ausschnitt des Flüchtlingslagers Farchana. Aber meistens liegt er im Dunkeln und hadert mit seinem Schicksal.
Gold schürfen, um die Schlepper zu bezahlen
"Viele von uns wollten gehen", sagt Nasridin Omar Bachar, ein Sudanese, 29 Jahre alt, geboren im Dorf Tandikoro in West-Darfur. "Viele wollten in den Tibesti. Da gibt es jede Menge Gold. Damit kann man die Schlepper bezahlen, die uns nach Europa bringen."
Flucht vor dem Bürgerkrieg in Darfur
2007 haben arabische Milizen sein Dorf niedergebrannt, ein paar Männer erschossen, ein paar Frauen verschleppt. Das Übliche in Darfur. "Ich wollte weit weg von alldem. In ein Land, wo Frieden ist, wo es sicher ist – arbeiten, eine Familie haben, sie versorgen."
Aber er schaffte es - wie so viele der 300.000 Vertriebenen aus Darfur - nur über die Grenze in eines der Flüchtlingslager des benachbarten Tschad.
EU finanziert 14 Flüchtlingslager in der Sahelzone
14 Camps gibt es in diesem Teil der Sahelzone. Sie zählen zu den größten in Afrika, werden seit Jahren vom UNHCR, dem UN-Flüchtlingshilfswerk verwaltet und von der EU-Kommission finanziert.
Brüssel hat bislang knapp 260 Millionen Euro dafür ausgegeben, die Flüchtlinge mit Nahrungsmitteln am Leben zu halten. „Spoonfeeding“, nennt das Ante Galic vom UNHCR: „Wir füttern die Flüchtlinge irgendwie durch. Und sie - sitzen einfach nur da und warten."
Der Tschad ist das zweitärmste Land der Welt. Und die Farchana-Region ist die ärmste im Tschad. Es gibt keine Arbeit, kaum Wasser, kaum fruchtbares Land. Der Boden verkümmert, die Sahelzone dehnt sich nach Süden aus, jedes Jahr um etwa zehn Kilometer.
In 30, 40 Jahren wird hier niemand mehr leben, sagt Ante Galic: "Die Leute werden nach Süden gehen, in die afrikanischen Megastädte gehen. Oder sie gehen Richtung Norden und versuchen, zum Mittelmeer zu kommen. Irgendwo müssen sie ja hin."
Das Gold von Tibesti lockt auf den Weg nach Europa
Schiere Armut hatte die Flüchtlinge lange Zeit daran gehindert, sich auf den Weg nach Europa zu machen. Aber das hat sich 2013 mit der Entdeckung großer Goldvorkommen im Tibesti schlagartig geändert.
"Viele Flüchtlinge aus Darfur sind wie ich ins Tibesti gezogen", sagt Nasredin. "Sudanesen, aber auch Leute aus dem Tschad, aus Mali, aus Nigeria. Alle wollen dorthin, ihr Glück machen - und dann weiter nach Europa."
Ein rechtloser Raum der Gewalt: dort wollen alle ihr Glück machen
Das Vulkanmassiv liegt im Grenzgebiet zwischen Libyen und Tschad. Es ist ein rechtloser Raum der Gewalt mitten in der Sahara, Rückzugsgebiet für djihadistische Gruppen, Waffenhändler, Schlepper und Goldsucher. Nasredin brauchte fünf Tage, um vom Flüchtlingslager bis zu den Goldminen des Tibesti zu kommen:
"Der Bus fuhr nach Kouri, wo etwa 40.000 Goldsucher hausen. Die Minenbesitzer boten an, dass wir ein Drittel des Goldes behalten dürfen. Zwei Drittel sollten wir abgeben. Sie schauten sich jeden genau an. Sie nahmen nur die Jungen und Starken. Die Älteren jagten sie weg."
Was nun begann, war Sklavenarbeit, nicht in Stollen, sondern in Löchern. Die Arbeiter klettern an Strickleitern 30, manchmal 40 Meter hinab in die Tiefe, zertrümmern Gestein mit Hammer und Meißel und schleppen es in Eimern an die Erdoberfläche.
Länger als drei Stunden hältst Du es nicht aus
"Gearbeitet wird in Drei-Stunden-Schichten. Länger hältst Du es da unten nicht aus", sagt Nasredin. In den Pausen schlief er unter einer Plastikplane, vier Meter von den Bohrlöchern entfernt. Er aß Sorghum und Linsen. Manchmal fand er ein paar Goldklümpchen, groß wie ein Reiskorn.
Für ein Gramm Gold zahlen die Zwischenhändler im Tibesti umgerechnet 25 Euro. "Ein paar Monate noch", sagt sich Nasridin, "dann hast Du es geschafft": "Wenn Du immer wieder in die Tiefe steigst, um da unten Gold aus dem Fels zu schlagen, hast Du keine Angst mehr vor der Wüste oder vor den Booten, die übers Mittelmeer fahren."
Hin und wieder kamen Schlepper, machten Angebote für den Weg zur Mittelmeerküste. Für Nasredin schien sie mit jedem Goldklümpchen, das er fand, etwas näher zu rücken. Er kam niemals hin. "Eines Tages, als ich wieder unten in der Mine war, haben sich Gesteinsbrocken gelöst, sagt er.
Ich wurde verschüttet. Erinnern kann ich mich nicht mehr.
"Ich wurde verschüttet. Irgendwie hat man mich raus gezogen. Erinnern kann ich mich an nichts mehr." Auf einem Pritschenwagen brachten sie Nasridin ins Lager zurück. Und da liegt er nun, mit zerbrochenen Rückenwirbeln, gelähmt seit vier Jahren.
Er sagt, sein Körper sei wie in zwei Teile geschnitten: Der eine lebe noch, der andere sei schon tot.
Nasridins Unglück schreckt andere Goldsucher nicht ab
Sein Unglück hat sich herum gesprochen im Lager. Manchmal besuchen ihn junge Männer, um etwas von den Goldminen im Norden zu hören. Von Nasridins Geschichte werden sie sich nicht aufhalten lassen. "Ich muss in den Tibesti", sagt einer von ihnen, "anders komme ich hier nicht raus."