Szenarien für den Ernstfall gibt es zuhauf: Krankheiten mit schleichendem oder plötzlichem Ende, Suizide, Altersschwäche, Gewalttaten, Unfälle. Wenn sie geschehen, können sie nicht auf Dauer von Kindern ferngehalten werden. Doch wie werden sie an den Tod herangeführt? Wann begreifen sie und wie verarbeiten sie einen solchen Verlust?
Wie Kinder mit Sterben und Tod umgehen, hängt ab von ihrem Alter und Entwicklungsstand, ihrer Mentalität und den Umständen, wie sie damit konfrontiert werden. Normalerweise wenden sie sich dem Phänomen Tod ab dem dritten Lebensjahr zu.

Sie erlernen das Wort "tot" und sprechen davon; sie zertrampeln Käfer und wollen erforschen, was dann passiert. Auch das rituelle Totschießen gehört zum alltäglichen Spiel. Und natürlich quetschen sie die "Großen" bei Gelegenheit begierig aus.
Erwachsene sollten Kinder als Gesprächspartner ernst nehmen und mögliche Reaktionen bedenken. Doch die sind in der Tat nicht leicht einzuschätzen. Ihre Gefühle und Handlungen sind sprunghaft: Eben noch ganz ernst und in sich gekehrt, toben sie gleich darauf schreiend und lachend herum.
Dauerhafte neue Realität
Trauernde müssen den Tod als dauerhafte Realität erkennen und den Schmerz darüber aushalten. Sie müssen sich an die neue Situation ohne den verstorbenen Menschen anpassen und sich wieder dem Leben öffnen.

Dass sich Kinder zwischen fünf und zehn Jahren schwer tun, das alles geistig und emotional zu bewältigen, liegt auf der Hand. Voraussetzung dafür ist ein tieferes Verständnis für Zeit, damit sie die Bedeutung von "endgültig" und "nie wieder" erfassen können.
Paradoxerweise tun Erwachsene allerdings einiges dafür, dies noch zu verstärken und Kindern damit ein Stück wichtiger Lebenserfahrung vorzuenthalten. Viele nämlich kennen den Tod offenbar bloß noch aus Erzählungen, Märchen, Spielen, Medien.
Tod auf Distanz
Je näher das wirkliche Sterben ins Leben rückt, desto mehr wird der Tod auf Distanz gehalten, nicht nur durch verbrämte Floskeln. Viele Kinder werden ungefragt und aus vermeintlicher Rücksicht nicht an die Orte des Sterbens – ins Krankenhaus, Pflegeheim oder Hospiz – mitgenommen, auch nicht ins Bestattungsinstitut oder auf den Friedhof.

Doch Trauerarbeit kann nur gelingen, wenn Kinder Zeit bekommen, die Unabänderlichkeit des Verlustes zu verarbeiten, wenn sie gehört werden und Rückhalt bei Vertrauenspersonen spüren.
Kinder malen deshalb gerne für die Verstorbenen, die anderen schicken Luftballons in den Himmel, suchen sich einen Stern, den sie mit der toten Person verbinden, oder gestalten mit den Familienmitgliedern ein Buch, in das sie Fotos kleben, zeichnen und kleine Gedichte schreiben oder Briefe – jeder wann und was er möchte.
Wie lange trauern Kinder?
Kinder verlieren häufig irgendwann später nach einem Todesfall ihr inneres Gleichgewicht. Sie schlafen schlecht, stopfen sich mit Süßigkeiten voll oder haben gar keinen Appetit mehr. Viele rutschen in der Schule ab.
Andere stürzen sich in die Ablenkung und ins Spiel. Wieder andere schämen sich, Eis essen oder in die Disco gehen zu wollen, wo doch gerade der Vater verstorben ist. So kann die eigene Lebensfreude zum Konflikt und der Selbstwert zum Problem werden.
Manche Kinder zeigen sogenanntes "auffälliges Verhalten", sie schlagen, sind aggressiv und reizbar. Oder sie isolieren sich, verweigern sich, verstummen. Manche entwickeln psychosomatische Krankheiten, klagen über ständiges Bauchweh oder Kopfschmerzen.
Kinder haben keine Schuld
Wieder andere laufen Gefahr, sich selber zu überfordern bzw. überfordert zu werden. Und viele leiden an einer tiefliegenden Angst, nach dem Vater etwa auch noch die Mutter zu verlieren.

Die Therapeutin Daniela Tausch sagt: Wenn ein Kind länger als ein halbes Jahr auffällig ist, wenn es in der tiefen Trauer steckenbleibt, aggressiv wird oder von großen Ängsten, Schuld- und Schamgefühlen beherrscht bleibt, dann sollte man professionelle Hilfe suchen und es eventuell therapeutisch begleiten.
Wichtig ist dies aber auch, weil nicht zugelassene, nicht verarbeitete Trauer aus Kindertagen im späteren Leben zu einem guten Nährboden für Depressionen oder auch Panikattacken werden kann.
Abgrundtiefe Einsamkeit von Kindern
Was bedeuten Trauer, Sterben und Tod aber für Kinder, die in jungen Jahren selbst dem Tod ins Auge blicken? - Bei ihnen wird besonders offenbar, was es heißt, sie mit ihrer Trauer und Wut, ihren Zweifeln, Ängsten, Sorgen und Sehnsüchten alleine zu lassen.

Der Kinderonkologe Dietrich Niethammer, Jahrgang 1939, war bis zu seiner Emeritierung 2005 Ärztlicher Direktor der Tübinger Kinderklinik. Zahllose Geschichten sprudeln aus ihm heraus, viele hat er in seinen Büchern erzählt. Noch heute ärgert ihn, dass Kindern lange die Fähigkeit zu trauern abgesprochen wurde.
Auf welche Kosten dies aus dem Leben von Kindern verdrängt wurde und wie unmenschlich das eigentlich ist, zeigte sich ihm im Klinikalltag bei den Schwerstkranken. Noch in den 1960- und -70ern wurde Medizinern explizit gelehrt, nicht mit ihnen über das Sterben zu sprechen.
Erzähl mir, ob es weh tut
Umso erschütterter erkannte Dietrich Niethammer die abgrundtiefe Einsamkeit dieser Kinder. Denn er erlebte immer wieder, wie reflektiert und bewusst sie sich im Inneren mit dem Tod auseinandersetzen, und wie sehr sie trauern, um sich und ihre Angehörigen.
Mittlerweile hat sich in der Medizin einiges getan. Ärzte klären heute Kinder über ihre Krankheit auf und sprechen mit ihnen auch über Sterben und Tod – wenn die Eltern einwilligen. Dietrich Niethammer wird deshalb nicht müde, an Erwachsene und vor allem an Eltern zu appellieren, bereit und hellhörig zu sein, wenn Kinder mit ihnen reden wollen. Und ehrlich zu sein.
Allerdings sollten Kinder nicht zum Lesen und Reden über den Tod oder zur Begegnung mit dem Tod gezwungen werden. Sie selbst sind Gradmesser für das, was sie verkraften, verstehen und reflektieren können. Jedes Kind trauert anders. Aber: Keines sollte sich "wundschweigen" und zurücknehmen müssen.