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Kampf dem Plastik – Sind die Meere noch zu retten?

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Gabi Schlag und Benno Wenz
Gabi Schlag und Benno Wenz (Foto: SWR, privat)
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Ralf Kölbel
Ralf Kölbel, Online-Redakteur bei SWR Wissen aktuell sowie Redakteur bei SWR2 Wissen. (Foto: SWR, Christian Koch)

In den Weltmeeren treiben riesige Strudel von Plastikmüll. Bisher ist es nicht gelungen, die Ozeane wieder davon zu befreien. Hilft letztlich nur die Behebung der Müllkatastrophe an Land?

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„Great Pacific Garbage Patch“ heißt die größte bekannte Ansammlung von Plastik-Müll in den Meeren zwischen Kalifornien und Hawaii. Der große Pazifische Müllstrudel ist fünfmal so groß wie Deutschland und enthält 1,8 Billionen Plastikteile. Roland Geyer von der University of California hat ausgerechnet, wieviel Müll weltweit in die Meere geleitet wird: Zwischen 1950 und 2017 hat die Menschheit etwa 9,2 Milliarden Tonnen Plastik hergestellt.

Geyer schätzt, dass von allem Plastik, das die Menschheit bisher hergestellt hat, etwa neun Prozent recycliert wurde. Und etwa zwölf Prozent verbrannt. Das heißt, dass 79 Prozent des weltweit produzierten Plastiks entweder noch im Gebrauch ist oder in Mülldeponien oder der Umwelt gelandet ist. In einer früheren Studie hat Geyer ermittelt, dass allein im Jahr 2010 zwischen fünf und 13 Millionen Tonnen Plastikmüll vom Land in die Ozeane der Welt gelangt sind. Vor Sardinien wurde unlängst ein schwangerer Pottwal entdeckt, der mit 22 Kilo Plastik im Magen starb.

Fünf dieser Müllstrudel gibt es bereits

Wird denn irgendetwas dafür getan, um die weltweite Vermüllung der Meere zu stoppen? Dafür gibt es eine Reihe von Versuchen, die Meere aktiv vom Müll zu befreien.

Der erste war der Niederländer Boyan Slat, der mit seinem Meeressauger namens „Wilson“ in seinem „Ocean Cleanup“-Projekt die Meere wie mit einem Staubsauger vom Plastikmüll befreien wollte. Und er schaffte es tatsächlich, von viel Medieninteresse begleitet, mit Spendengeldern einen riesigen Prototypen zu bauen und damit in See zu stechen.

Doch was in Computersimulationen und Labortests geklappt hatte, funktionierte in der Realität nicht. Und ohnehin kann dieses System ausschließlich den an der Oberfläche schwimmenden Plastikmüll erfassen. Der größte Teil schwimmt aber gar nicht an der Oberfläche, sondern schwebt in unterschiedlichen Tiefen weiter unten, von Wellen und Strömung herabgedrückt.

Das Meer durchkämmen

Dieses Problem glaubt Marcella Hansch aus Aachen gelöst zu haben. Die ehemalige Architektin hat ihren Job an den Nagel gehängt und mit ihrem Projekt „Pacific Garbage Screening“ einen eigenen Versuch gestartet, das Meer zu reinigen. Ihr Müllsammler, der noch um einiges größer und aufwändiger ist als der von Boyan Slat, sieht aus wie ein gigantischer Kamm.

Ein Kamm allerdings, dessen Zinken 35 Meter tief ins Meer hinunterreichen. Zwischen diesen Zinken, so die Überlegung, würde sich die Meeresströmung beruhigen und das Plastik, da es ja eigentlich leichter als Wasser ist, könnte aufsteigen, um an der Oberfläche eingesammelt zu werden. Der große Vorteil: es gibt keine Netze, in denen sich Fische oder andere Meeresbewohner verfangen könnten.

Die Anlagen, in denen dieses Plastik dann weiterverarbeitet wird, sind gleich mit an Bord und machen aus dem Müllsammler von Marcella Hansch zugleich eine Art schwimmende Fabrik. Ob allerdings dieses ehrgeizige und viele Millionen Euro teure Projekt jemals realisiert werden kann, bleibt fraglich.

Die Architektin Marcella Hansch hat die Plattform "Pacific Garbage Screening" zur Beseitigung von Plastikmüll im Meer entworfen. (Foto: dpa Bildfunk, dpa Bildfunk - Frank Rumpenhorst)
Die Architektin Marcella Hansch hat die Plattform "Pacific Garbage Screening" zur Beseitigung von Plastikmüll im Meer entworfen.

Plastik mit Netzen einfangen

Anders die „Maritime Müllabfuhr“ des Münchners Günther Bonin. 2016 wurde bereits das erste einer kleinen Flotte von Katamaran-artigen Müllsammelschiffen gebaut, die in Binnengewässern, an Flussmündungen und in Küstenregionen Müll einsammeln, bevor dieser das offene Meer erreichen kann.

Mit großmaschigen Netzen, die zwischen den beiden Bootsrümpfen angebracht sind, können Bonins „Seehamster“ und „Seekühe“ sehr effektiv schwimmenden Müll einsammeln. Derzeit in Planung ist ein größeres Schiff, das als schwimmende Chemiefabrik künftig aus dem gesammelten Plastik, so weit es sich nicht mehr recyceln lässt, wieder Öl herstellen soll.

Noch wissen die Forscher sehr wenig über Mikroplastik. Als Mikroplastik werden Kunststoffe bezeichnet, die kleiner als fünf Millimeter sind. Diese entstehen durch den Zerfall größerer Plastikgegenstände oder werden speziell in dieser Größe zur Anwendung in der Industrie gefertigt. Zum Beispiel als Bestandteil von Kosmetik. So gelangt Mikroplastik zu Tausenden Tonnen in die Meere. Auch in Flüssen und Seen wurde es nachgewiesen.
Mittlerweile ist auch evident, dass Mikroplastik mit dem Klärschlamm auf Felder aufgebracht wird und sogar über die Luft in entlegene Regionen gelangt.

Günther Bonin, Vorsitzender des Umweltschutz-Vereins "One Earth - One Ocean" (Foto: dpa Bildfunk, dpa Bildfunk - Foto: Christian Charisius/dpa)
Günther Bonin, Vorsitzender des Umweltschutz-Vereins "One Earth - One Ocean", will mit Booten wie der "Seekuh" Plastikmüll aus Gewässern herausfischen.

Mikroplastik überall

So gelangt Mikroplastik auch in Mineralwasser, Honig und Bier. Zuletzt wurde es im Stuhl von Menschen nachgewiesen – somit ist davon auszugehen, dass viele von uns Plastik in sich tragen. Weiterhin hat Mikroplastik die Eigenschaft, im Wasser oder im Boden vorhandene Umweltgifte an sich zu binden. So können diese in das Körperinnere von Lebewesen gelangen.

Und nur 40% des Plastikmülls in Deutschland kann – nach offizieller Darstellung - recycelt werden. Der Rest wurde bisher verbrannt oder größtenteils nach China verschifft. Doch seit Januar 2018 verweigern die Chinesen den Import von westlichem Plastikmüll, denn die ständig wachsenden Müllmengen hatten in China zu ernsthaften Umweltproblemen geführt.

Mikroplastik bezeichnet Plastikteilchen, die kleiner als fünf Millimeter sind (Foto: SWR, SWR -)
Mikroplastikteilchen sind kleiner als 5 Millimeter.

Exportschlager Plastikmüll

Seitdem dient Malaysia als Plastikmüllkippe der westlichen Welt, mit den gleichen Problemen, die in China zum Importstopp geführt hatten: Zahllose ungesicherte Deponien, illegale Entsorgung durch Verbrennen, völlige Überlastung der offiziellen Recyclinganlagen, wie ein Greenpeace-Report vom November 2018 nachweist. Demnach ist Deutschland der viertgrößte Plastikmüll-Exporteur, nach den USA, Japan und dem Vereinigten Königreich. Industrie, Politik, Zwischenhändler sehen anscheinend keinen Grund, ihr Verhalten in Bezug auf Müll zu ändern. Und die Welt erstickt im Müll.

Dabei könnte auch die Wissenschaft heute schon viel mehr. Stefan Hecht, Professor für Organische Chemie und Funktionale Materialien an der Humboldt-Universität Berlin, arbeitet an Methoden für umweltfreundliche Kunststoffe: sie sollen sich genauso abbauen lassen wie sie ursprünglich aufgebaut wurden – der Herstellungsprozess würde dabei einfach umgekehrt. Die EU hat das Ziel ausgegeben, dass ab 2030 alle Verpackungen recycelbar sein sollen, aber halten wir und die Umwelt bis dahin durch?
Der Ökologe Roland Geyer von der University of California ist da eher skeptisch:

Ich denke, kein Mensch weiß, was es für Umweltfolgen hat, dass der Erdboden und der Meeresboden immer mehr mit Plastik angereichert wird. Das Einzige, was ich mir nicht vorstellen kann ist, dass die Folgen positiver Natur sind.

Libanon, Keserwan: Plastikmüll liegt an einem Strand des Distrikts Keserwan nördlich der Hauptstadt Beirut. (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa -)
Libanon, Keserwan: Plastikmüll liegt an einem Strand des Distrikts Keserwan nördlich der Hauptstadt Beirut.

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