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Diabetes vorbeugen – Hightech-Strategien für Kinder

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Ralf Kölbel
Ralf Kölbel, Online-Redakteur bei SWR Wissen aktuell sowie Redakteur bei SWR2 Wissen. (Foto: SWR, Christian Koch)

Heute erkranken doppelt so viele Kinder an Diabetes wie noch vor 30 Jahren. Forscher versuchen nun frühzeitig Risikobabys zu erkennen und deren Immunsystem umzusteuern. Helfen könnte unter Umständen auch eine künstliche Bauchspeicheldrüse.

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Die ersten Warnzeichen für eine beginnende Zuckerkrankheit:

Die angeborene Form der Zuckerkrankheit bricht oft mit schweren Symptomen aus. Typisch sind außerdem:

  • Enormer Durst, 3-4 Liter am Tag, 2-3 Liter nachts.
  • Häufiges Wasserlassen
  • Gewichtsabnahme

Warum hat Diabetes bei Kindern so stark zugenommen?

Die gute Nachricht: der Trend scheint gebremst: Die Zahl der Neuerkrankungen steigt zumindest in Skandinavien nicht weiter an; sie hat sich dort auf hohem Niveau eingependelt. Allerdings tritt die Krankheit nun bei immer jüngeren Kindern auf. Die Ursachen sind noch nicht zweifelsfrei geklärt. Vielleicht sind Atemwegsinfektionen ein Faktor oder eine zu keimfreie Umgebung der Kinder. Letztlich hat sich noch keine Hypothese verlässlich bestätigen lassen.

Für Eltern ist die Diagnose Diabetes oft ein Schock. Sie stellt sie vor große Herausforderungen.

Insulinwerte müssen regelmäßig kontrolliert werden. (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture alliance / BSIP - AMELIE-BENOIST)
Auch für die Angehörigen ist das Leben mit einem an Diabetes Typ1 erkrankten Kind oft eine große Herausforderung. Die Insulinwerte müssen auch regelmäßig in der Nacht kontrolliert werden.

Eltern müssen lernen, mit der Diabetes ihres Kindes umzugehen

Nahrungsmittel sind auf einmal nicht mehr nur lecker oder gesund, viel wichtiger ist ihr Zuckergehalt. Denn der muss ausbalanciert werden mit der genau passenden Menge an künstlichem Insulin. Mit einer Insulinpumpe kann ferngesteuert die berechnete Insulinmenge an den Körper abgegeben werden.

Von der Pumpe führt eine feine Kanüle unter die Haut, die alle zwei Tage neu gelegt werden muss. Das tut kaum weh, für betroffene Kinder meist kein Problem. Anders sieht es aus mit dem zweiten Gerät, dem Glukose-Sensor, der den Zuckergehalt im Gewebe misst. Das tut den Kleinen schon weh, aber es muss nur alle 14 Tage gemessen werden.

Der sogenannte Flashsensor speichert die Blutzuckerwerte eine gewisse Zeit. Alle paar Stunden und vor den Mahlzeiten werden die Daten abgerufen. Dann muss die Insulinpumpe entsprechend eingestellt werden. So lässt sich der Blutzuckerspiegel des Kindes nahe am Normalbereich halten. Das ist wichtig, denn nur so können mögliche Spätfolgen der Zuckerkrankheit vermieden werden: Nierenschäden, Erblindung, Schlaganfall.

Diabetes kennt keine Pause: Eltern sind Tag und Nacht im Einsatz

Auch nachts muss der Zuckerwert kontrolliert, die Insulinpumpe nachreguliert werden. Die Technik ist eben nicht perfekt. Im Internet gibt es Gruppen, in den sich Eltern betroffener Kinder austauschen und gemeinsam nach besseren Lösungen suchen:

Gibt es vielleicht in anderer Sensorsystem, das besser ist oder vielleicht die Flashmessung über Nacht besser hinkriegt ? Dass sich vielleicht jemand etwas Schlaues gebastelt hat?

Künstliche Bauchspeicheldrüse für Bastler

In der Bewegung: „We are not waiting“, auf Deutsch: „Wir warten nicht länger“ haben sich Betroffene handlungswillige Bastler organisiert. So genannte "Looper" tauschen Programmcodes aus, mit denen sich kommerziell verfügbare Insulin-Pumpen und Glucose-Sensoren hacken und vernetzen lassen. Das Ziel ist eine Art künstliche Bauchspeicheldrüse, ein System, das den Blutzuckerspiegel unter Kontrolle hält, ganze egal, ob der Mensch gerade eine Schokotorte isst oder eine Nacht durchtanzt.

Ein Loop ist eine Schleife. Der Glukosesensor misst den Blutzuckerspiegel und meldet diesen an die Insulinpumpe, die wiederum den Blutzuckerspiegel beeinflusst – der Loop ist geschlossen. Die technischen Geräte regeln selbstständig ihren Stoffwechsel, ohne dass Betroffene eingreifen müssen.

Ein an Diabetes Typ 1 erkranktes Mädchen pumpt Insulin durch den Katheter ihrer Insulinpumpe. (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture alliance / ZB - Foto: Jens Kalaene/dpa)
Ein an Diabetes Typ 1 erkranktes Mädchen pumpt Insulin durch den Katheter ihrer Insulinpumpe. Doch die Zukunft liegt möglicherweise in automatischen Systemen, so genannten Looper, die den Insulinspiegel im Körper automatisch regeln.

Künstliche Bachspeicheldrüse vereinfacht Therapie

Prof. Baptist Gallwitzer, Hormonspezialist vom Universitätsklinikum Tübingen, hat bislang selten davon gehört, dass es medizinische Probleme mit den selbst modifizierten Geräten gab. Er geht auch davon aus, dass Menschen die Looper werden, sich mit ihrem Diabetes und ihrer Diabetesbehandlung sehr gut auskennen. Auf der anderen Seite besteht möglicherweise Gefahr, wenn man nachts schläft und einen technischen Defekt nicht bemerkt.

Eine erste Studie aus den USA zeigt: Der Loop vereinfacht die Diabetestherapie nicht nur, er verbessert sie. Die Systeme können tatsächlich einen medizinischen Vorteil bringen: Die Blutzuckerschwankungen über den Tag waren geringer als bei einer konventionellen Insulintherapie.

Bevor die technische Bauchspeicheldrüse breit eingeführt wird, möchten Experten wie Baptist Gallwitz und die Deutsche Diabetes Gesellschaft noch einige Fragen geklärt haben. Eine ist der Datenschutz, hier geht es ja wirklich um Informationen direkt aus dem Körper der Patienten. Zweites wollen die Diabetologen genau wissen, nach welchen Regeln der Blutzuckerspiegel gesteuert wird.

Transparenz für die Insulin-Dosierung mit künstlicher Bauchspeicheldrüse

Ganz entscheidend ist für Baptist Gallwitz hierbei, dass ein Algorithmus entsteht, der quasi ärztliche Therapieentscheidungen nachmodellieren kann. Wichtig sei es, so Gallwitz, dass die Firmen, die solche integrierten Geräte bauen den Algorithmus für die Insulin-Dosierung offen legen. Diese ärztliche Therapieentscheidung müsse für Arzt und Patienten transparent und offen sein und sie muss auch durch den Arzt modifiziert werden können.

Sind diese Voraussetzungen erfüllt, dann würde auch der Tübinger Hormonspezialist Baptist Gallwitz vielen Patienten ein zugelassenes System aus Glukosesensor und Insulinpumpe empfehlen.

Früherkennung von Disposition zu Diabetes Typ 1 per Gentest

Der ganz große Traum, die ganz große Vision und das Ziel aller Forschungsbemühungen der Diabetesforscherin Prof. Anette-Gabriele Ziegler ist es, Typ 1 Diabetes zu verhindern. Es sollen Therapien entwickelt werden, die verhindern, dass die Störung des Immunsystems die für Typ 1 Diabetes verantwortlich ist, überhaupt auftritt.

Die Direktorin des Institutes für Diabetesforschung im Helmholtz Zentrum München will die Diagnose des Typ 1 Diabetes nach vorne verlagern, weit vor den Ausbruch der eigentlichen Symptome.

Wir wollen nicht nur Früherkennung von Typ 1 Diabetes, sondern wir wollen Prävention von Typ 1 Diabetes. Und das können wir nur erreichen, wenn wir schon bei Geburt Kinder identifizieren, die ein sehr hohes Risiko haben Typ 1 Diabetes zu entwickeln.

„Sche1sstyp“ steht auf den Plakaten, die den Gentest aktuell bewerben. Der Kraftausdruck soll den Typ 1 Diabetes erst einmal bekanntmachen. Allen frischgebackenen Eltern. in Bayern, Sachsen und Niedersachsen wird im Rahmen des Neugeborenen-Screenings angeboten, ihr Baby am zweiten oder dritten Lebenstag zusätzlich auf 47 Genvarianten untersuchen zu lassen.

In anderen Bundesländern können nur Familien teilnehmen, in denen bereits Typ 1 Diabetes vorkommt. Anette-Gabriele Ziegler betont, dass der Gentest nur ein grobes Risiko für die Zuckerkrankheit vom Typ 1 erfasst: Das sind keine Mutationen, keine kranken Gene. Also es ist nicht so dass ein Mensch, der Typ 1 Diabetes hat, irgendeine Fehlentwicklung hat, sondern er hat nur eine Genkonstellation, die eben mehr prädisponiert für so eine Fehlentwicklung, dass sich der Körper da zu sehr gegen sich selbst wendet. Insulinpulver trainiert Immunsystem

Die Forscher versuchen bei Kindern mit erhöhtem Risiko gegenzusteuern, mit einer Strategie, die einer etablierten Form der Heuschnupfenbehandlung ähnelt. Tochter oder Sohn bekommen bis zum dritten Lebensjahr täglich eine kleine Menge Insulinpulver mit der Nahrung.

Damit soll das Immunsystem gleich nach der Geburt sehr früh so trainiert werden, dass es die körpereigenen Strukturen wie Insulin akzeptiert und dagegen keine falsche Immunantwort entwickelt.

"Risikokind" durch Frühtest?

Aber erst in sieben Jahren wird sich zeigen, ob es tatsächlich möglich ist, auf diesem Weg den Typ1 Diabetes zu verhindern. Das wäre ein Durchbruch, doch der hat einen Preis. Aus dem frühen Eingreifen folgt notwendig, dass sehr viele Babys unnötige den Stempel „Risikokind“ erhalten.

Es gibt aber auch viele Eltern, die das Diabetes-Risiko ihres Kindes kennen wollen. Entscheidend ist, dass sie umfassend aufgeklärt werden, damit sie ihr Kind vor allem als ein lebensfrohes Baby und nicht als potentiellen Patienten sehen. Zusätzlich gibt es für sie die Chance, einem möglichen Diabetes mit Insulinpulver vorzubeugen. Ob das wirklich funktioniert, muss sich noch zeigen. Wenn dieser Ansatz fehlschlägt, gibt es aber weitere Therapieoptionen, wie z.B. die künstliche Bauchspeicheldrüse, die wohl in den nächsten Jahren in Deutschland zugelassen wird.

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